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Merken   Drucken   11.01.2012, 16:00 Schriftgröße: AAA

Abspaltung: Das Kreuz mit den Schotten

Ministerpräsident Alex Salmond betreibt die Loslösung von Großbritannien. Premier David Cameron hält dagegen - nach langem Schweigen. von Sebastian Borger, London
Während sich Europa um den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union sorgt, hat der Regierungschef in der Londoner Downing Street ganz eigene Ängste: David Cameron muss fürchten, dass das eigene Land schrumpft.
Seit die Scottish National Party (SNP) im Mai 2011 einen triumphalen Wahlsieg errang, betreibt der schottische Ministerpräsident Alex Salmond gezielt die langfristige Abwendung der Nordprovinz vom Königreich. Seinen jüngsten PR-Erfolg konnte der zum Politstar avancierte Regionalpolitiker einheimsen, als ihn die "Times" gerade zum "Briten des Jahres" erkor.
London hatte dem Treiben im Norden lange frustriert, aber tatenlos zugesehen. Nun holte Premier Cameron zum Gegenschlag zur Rettung der staatlichen Einheit aus. Am Dienstag forderte er, dass die Schotten binnen Kurzem über die Unabhängigkeit abstimmen. Sein Kalkül: Wenn die Schotten gezwungen werden, sich endgültig zu entscheiden, werden sie den Absprung doch nicht wagen.
Die derzeitige Unklarheit füge sowohl der schottischen wie der gesamtbritischen Wirtschaft Schaden zu, argumentierte Cameron in der BBC. "Ich werde alles dafür tun, dass Schottland Teil des Vereinigten Königreichs bleibt." Die geplante Volksabstimmung solle "lieber früher als später" innerhalb der nächsten 18 Monate kommen und eine eindeutige Fragestellung enthalten, heißt es in einer Vorlage, die das Kabinett nun berät. Hingegen will die vom "Ersten Minister" Salmond geführte Regionalregierung die Schotten frühestens 2014 befragen und ihnen zusätzlich die Option weitgehender Autonomie à la Katalonien anbieten. Die Strategie dahinter ist, dass man mit der steten Trennungsdrohung maximale Autonomie und Zugeständnisse von London erpressen kann.
Trotzdem hatte Cameron lange vor einer Kampfansage zurückgeschreckt. Denn die Regierung steht vor einem Dilemma: Einerseits muss London bei den Schotten für die Union werben, andererseits wird jenseits des Hadrianwalls jegliche Einmischung - der abfällig Sassenachs ("Sachsen") genannten Engländer - höchst ungern gesehen.
Eine überparteiliche Organisation zur Verteidigung des Vereinigten Königreichs lässt bis heute auf sich warten, prominente Labour-Leute haben bereits öffentlich mitgeteilt, sie würden mit Cameron "keinesfalls gemeinsame Sache" machen. "Die unionistischen Kräfte sind völlig am Boden" urteilte die "Times".
Konfliktgleichung: Seit 1707 besteht die Union zwischen Schottland ...   Konfliktgleichung: Seit 1707 besteht die Union zwischen Schottland und England, jetzt will Edinburgh die Unabhängigkeit
Konservative und Liberaldemokraten ebenso wie die lang unangefochtene Labour-Party erlitten bei den Wahlen in Schottland böse Abreibungen. Vor allem aber Camerons Tories, vor 50 Jahren noch die Mehrheitspartei, gelten seit den Brachialreformen Margaret Thatchers als erledigt. So vergiftet ist der Markenname, dass einer der Bewerber um das Amt des regionalen Parteichefs vorschlug, die Partei unter anderem Namen neu zu gründen.
So stichelt Salmond gern und ausführlich Richtung Zentrale. Er freue sich schon auf zahlreiche Besuche Camerons, erklärte der Regionalfürst etwa: "Je häufiger er spricht, desto besser für die Unabhängigkeit." Der 57-jährige Stratege, der die Regierung in Edinburgh seit 2007 führt, will den britischen Staat "lieber ein guter Nachbar sein als ein mürrischer Mieter". Gestützt auf seine disziplinierte und hochmotivierte Partei hält der Ministerpräsident die Öffentlichkeit mit Slogans in Atem, die allesamt auf eines abzielen: den 5,2 Millionen, zur Depression neigenden Schotten Lebensfreude und Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten einzuflößen "Yes, we can", predigte die SNP schon 1997. "Scotland, it's starting" (Schottland, es geht los) heißt es neuerdings.
Zu Salmonds Erfolg trägt bei, dass er sich als national gesinnter Sozialdemokrat geriert und damit dem schottischen Mainstream entspricht. Sein Nationalismus gibt sich modern und weltoffen, im Fall der Unabhängigkeit will er umgehend der EU beitreten und die Queen als Staatsoberhaupt behalten.
Das Programm seiner SNP zur Landtagswahl im vergangenen Jahr enthielt das Versprechen einer Volksabstimmung. Während aber die Partei den Urnengang mit absoluter Mehrheit der Mandate triumphal gewann, stößt die Unabhängigkeit von London in Umfragen auf die Begeisterung von höchstens 40 Prozent der Befragten. Hingegen wünschen sich regelmäßig rund zwei Drittel größere Autonomie von London. Diese Diskrepanz sucht Cameron zu nutzen: "Im Herzen wollen die Schotten keine vollständige Trennung", sagt Premier Cameron. Schließlich stelle die 1707 eingegangene Union zwischen Schottland und England "eine der erfolgreichsten Partnerschaften weltweit" dar.
Salmonds Lieblingstermin für das Referendum ist dagegen wohl der 24. Juni 2014: Es wäre der 700. Jahrestag der Schlacht von Bannockburn, einem legendären Sieg der Schotten über die Engländer.
  • FTD.de, 11.01.2012
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