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Merken   Drucken   11.01.2012, 07:00 Schriftgröße: AAA

Finanztransaktionssteuer: Steuerflucht nach London ist nicht so einfach

Was wird besteuert, wer muss zahlen, wie viel würde der Fiskus verdienen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur geplanten Finanztransaktionssteuer. von Jens Tartler  Berlin und Mark Schrörs  Kopenhagen
Die Finanztransaktionsteuer sorgt für Ärger - sowohl zwischen den EU-Staaten, aber vor allem auch in Deutschland zwischen Union und FDP. Wie der politische Streit ausgeht, ist derzeit völlig unklar. Die wichtigsten Sachfragen klärt die FTD.
Am stärksten setzt sich Frankreich dafür ein. Die französische Regierung wäre sogar bereit, die Finanztransaktionsteuer im Alleingang einzuführen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist aber mittlerweile damit einverstanden, die Steuer auf die Euro-Zone zu begrenzen. Zuvor hatte sie eine Einführung in der gesamten EU mit ihren 27 Staaten gefordert. Österreich tendiert zur Position Frankreichs und Deutschlands. Vor allem Großbritannien, das um den Finanzstandort London fürchtet, ist strikt dagegen. Unterstützung bekommt Großbritannien von Schweden und Irland.
Die dänische Regierung ist skeptisch gegenüber einem europäischen Alleingang. Nötig sei eine weltweite Lösung, sagte die dänische Wirtschaftsministerin Margrethe Vestager am Dienstag in Kopenhagen. Sie verwies darauf, dass die EU-Kommission selbst davon ausgehe, dass eine solche Steuer in Europa rund 1,7 Prozent Wachstum und einige Hunderttausend Jobs kosten werde. Das stehe im Widerspruch zum Ziel der EU, Jobs zu schaffen. Der aktuelle Vorschlag der Kommission sei nicht akzeptabel. Premierministerin Helle Thorning-Schmidt sagte, Dänemark habe "keine ideologischen Bedenken" gegen eine solche Steuer, es sei aber schwierig, sie so zu gestalten, dass sie die EU-Wirtschaft nicht belaste.
Nach dem Konzept der EU-Kommission sollen Käufe von Aktien und Anleihen mit einem Mindestsatz von 0,1 Prozent belastet werden. Für Derivate soll ein Steuersatz von 0,01 Prozent gelten. Die deutsche Regierung ist dafür, auch die sogenannten OTC-Produkte (over the counter) zu erfassen, die nicht an der Börse gehandelt werden.
Sie würde nicht von den Börsen gezahlt, sondern von Banken, Versicherungen oder Fonds, die mit Wertpapieren handeln. Die Banken führen als Argument gegen die Steuer an, dass sie die Belastung ihren Kunden in Rechnung stellen würden. Letztlich würde die Politik also nicht die Geldhäuser treffen, sondern die normalen Anleger. Das ist richtig, wenn die Bank oder der Fonds für die Kunden handelt. Experten wie Stephan Schulmeister vom Wifo-Institut in Wien halten es auch für sinnvoll, dass hier die Kunden belastet werden. Ein großer Teil des Wertpapierhandels der Banken entfällt aber auf den Eigenhandel. Dabei arbeiten die Banken nicht im Namen der Kunden, sondern auf eigene Rechnung. Da im Eigenhandel häufiger ge- und verkauft wird, wäre hier die relative Steuerbelastung höher als bei Kundengeschäften.
Die EU-Kommission rechnet mit Einnahmen von rund 57 Mrd. Euro pro Jahr in der EU. Allein für die Euro-Zone wäre das Steueraufkommen deutlich niedriger, genaue Schätzungen liegen aber noch nicht vor.
Das ist die entscheidende Frage, und sie ist sehr umstritten. Die deutschen Banken und die FDP behaupten, dass bei der Einführung der Steuer noch mehr Umsätze von Paris oder Frankfurt nach London abwandern würden. Die CDU hält mit dem sogenannten Sitzlandprinzip dagegen. Ihr Bundestagsfraktionsvize und Finanzexperte, Michael Meister, sagt, entscheidend sei, dass die Steuer nicht vom Ort des Handels abhängig sein werde, sondern vom Steuersitz. Im Klartext: Eine deutsche Bank oder ein deutscher Privatanleger, der ein Geschäft über die Londoner Börse abwickelt, muss trotzdem in Deutschland die Transaktionssteuer zahlen, wenn er dort gemeldet ist. Die FDP lässt sich davon aber nicht überzeugen. Ihre Finanzexperten wie Volker Wissing oder Otto Fricke sagen, der steuerliche Informationsaustausch in Europa funktioniere nicht so gut wie von der CDU dargestellt.
Der Finanzdistrikt in London   Der Finanzdistrikt in London
Ökonom Schulmeister verweist jedoch darauf, dass nach EU-Richtlinien alle Steuerbehörden in Europa anderen Ländern Auskunft geben müssen. Alle elektronischen Geldtransfers ließen sich über das Swift-System zurückverfolgen. Auch die Eigentumsverhältnisse von Tochtergesellschaften zum Beispiel in Großbritannien ließen sich nicht verheimlichen. Wer also über London der Transaktionssteuer entgehen wolle, habe ein großes Entdeckungsrisiko. "Das macht den britischen Premier David Cameron ganz nervös", so Schulmeister.
Experten wie Schulmeister sagen: Ja. Vor allem der Hochfrequenzhandel wäre betroffen. Diese Geschäfte in Sekundenbruchteilen würden unattraktiver. Sie machen bei der Deutschen Börse fast 40 Prozent des Handels aus.
  • Aus der FTD vom 11.01.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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