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Von Ulrich Leidholdt, ARD-Hörfunkstudio Amman
Schießbefehl - woher denn? Volksaufstand - keine Rede! Syrien eine Diktatur - lächerlich. Chefzyniker Assad hat wieder zugeschlagen. Diesmal verbal. Ist der Mann nun weltfremd, stur oder berechnend? Ein Verrückter, zu dem ihn viele abstempeln wollen, ist er jedenfalls nicht. Assad weiß sehr wohl, was er tut.
Der syrische Despot ist ein kühl kalkulierender Spieler. Er schindet Zeit und versucht den zehn Monate anhaltenden Aufstand gegen sein Regime weiter niederzuschießen. Gleichzeitig trickst er mit immer neuen Finessen die gelähmte Weltgemeinschaft erfolgreich aus.
Assad verlässt sich auf die abschreckende Wirkung seiner Prognose, der ganze Nahe Osten brenne, starte man gegen Syrien eine militärische Intervention wie in Libyen. Die Furcht in einen Flächenbrand mit ungeahnten Folgen hereingezogen zu werden versetzt das Ausland in Schockstarre - den Westen und ebenso die arabische Welt. Zudem darf sich Assad immer noch auf die beiden Vetomächte im UN-Sicherheitsrat verlassen, Russland und China, die jeden Versuch einer Anti-Assad-Resolution konsequent zu Fall bringen.
Der so ungewöhnliche, weil erstmals aktive Ansatz der Arabischen Liga, mit ihren Beobachtern Assad unter Kontrolle zu bekommen, ist krachend gescheitert. Klinkten sich schon bei Sanktionen einige Nachbarn Syriens aus, ist das Debakel der Beobachtermission so augenfällig, dass Assad das schon vor ihrem Ende als politischen Sieg verbuchen kann. Die Mission von seinen Gnaden, der mehr verboten als erlaubt ist, macht die Araber zu Marionetten und frustriert die syrische Opposition ein weiteres Mal.
Assads erst vierte Rede seit Beginn der Revolte verbucht die Opposition als Ausdruck von Zynismus und Schwäche. Sie hatte ohnehin nichts erwartet, würde sich mit dem todbringenden Regime nie an einen Tisch setzen.
Doch hatte die Anderthalb-Stunden-Rede mit Vorwürfen ans Ausland und Selbstdarstellung nach innen durchaus einen Adressaten: nämlich die schweigende Mehrheit der Syrer - jene Menschen, die sich nicht zum Protest auf die Straße trauen, ohne gleich Anhänger des Regimes zu sein. Sie fürchten das Chaos nach einem Sturz Assads noch mehr als seinen Unterdrückungsapparat. Assad hat ihnen gründlich die Angst vor einem jahrelangen ethnisch-religiösen Bürgerkrieg wie im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins eingeimpft.
Selbstmordanschläge wie vor Weihnachten und letzte Woche mit 70 Toten mitten in Damaskus wirken - egal ob vom Regime inszeniert oder von islamistischen Terroristen. Jahrzehntelang eingeschüchterte, verängstigte oder vom starken Führer überzeugte Syrer sowie Minderheiten lassen sich da schon beeindrucken. Auch davon, dass die uneinige Opposition für die Zeit danach bislang keinen Plan hat. Darauf setzt Assad - und darauf, dass das erneut geschmähte Ausland ihm nicht beikommen kann oder will.
Natürlich muss dieses Regime fallen - nur wann, das ist bei diesen Rahmenbedingungen nicht vorhersehbar. Geschweige denn, was danach kommt. So lange werden weiter Syrer sterben, beobachtet von der Welt und verhöhnt von Assad - denn der ist nicht nur stur, sondern auch berechnend.
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