Kemal Dervis
Das Thema sollten jedoch nicht nur auf Leistungsbilanzdefizite in Industrieländern und Überschüsse in Entwicklungsländern beschränkt werden. Viele Entwicklungsländer - darunter Indien, Südafrika, Brasilien und die Türkei - weisen Leistungsbilanzdefizite auf. Auch gibt es viele Industrieländer mit einem Leistungsbilanzüberschuss: Deutschland ist seit dem Beginn der Eurokrise ein bekanntes Beispiel, aber auch Japan, die Niederlande, Norwegen und Schweden produzieren Überschüsse.
Es geht also nicht nur darum, die Überschüsse der Entwicklungsländer abzubauen, um dadurch die Defizite der Industrieländer entsprechend zu verkleinern. Mit Beginn des Jahres 2012 könnte ein Abbau in Deutschland wichtiger sein als in China - dort würde die Reduzierung der deutschen Überschüsse sofort Vorteile für Europa und die dortigen großen Risiken für die weltweite Erholung bringen.
Darüber hinaus unterliegt der chinesische Renminbi einer ziemlich großen realen Aufwertung, da die Inflation in China stärker steigt als in den USA oder in der Eurozone. Dagegen verliert der "deutsche" Euro trotz des großen deutschen Überschusses an Wert, da er auch die Währung der angeschlagenen südeuropäischen Staaten ist.
Die chinesischen und deutschen Leistungsbilanzüberschüsse werden richtigerweise als Hindernis für eine Erholung betrachtet, da sie die potenzielle weltweite effektive Nachfrage verringern und global gesehen zu einem Überschuss der "geplanten Ersparnisse" gegenüber der "geplanten Investitionen" führen - das ist ein Rezept für Rezessionsdruck. Aber die zunehmende Konzentration von Einkommen und Reichtum innerhalb vieler Länder, an erster Stelle in den USA, sollte ähnliche "keynesianische" Ängste schüren.