FTD.de » Sport » Fish&Chips-Erinnerungen eines St.Pauli-Kickers

Merken   Drucken   29.02.2012, 09:23 Schriftgröße: AAA

Zeit in der Premier League: Fish&Chips-Erinnerungen eines St.Pauli-Kickers

Moritz Volz hat über zehn Jahre in der Premier League gespielt. Über seine Zeit auf der Insel hat der Paulianer ein kluges, witziges Buch geschrieben. von Elke von Berkholz  Hamburg
Der Profi kocht. Gefühlvoll gießt er flüssige Gewürzbutter über Toastscheiben. Reichlich Sushi für die Meute hat er bereits gerollt. Anschließend tunkt er Rotbarschfilets in Teig und heißes Fett. Moritz Volz lädt zur Premiere seiner klugen und witzigen Autobiografie "Unser Mann in London" ein, stilecht mit Fish & Chips. Autor und Koch ist Volz aber nur zum Spaß. Der 29-Jährige ist Fußballprofi, über zehn Jahre hat er in der englischen Premier League gespielt. Heute ist der Außenverteidiger beim Zweitligisten FC St. Pauli angestellt.
Seine Karriere begann mit einem Skandal. 1999, Volz war gerade 15 Jahre jung und spielte beim FC Schalke, machte der FC Arsenal dem Jugendnationalspieler ein lukratives Angebot auf Ausbildung und Profivertrag. Solche Möglichkeiten bot die Bundesliga nicht. "Ich wusste, dass ich diese Chance nutzen musste", sagt Volz. Trotzdem hätte er die Offerte fast ausgeschlagen. "Meine Familie hat dichtgehalten, der Verein leider nicht", kritisiert er das Mediengewitter, das damals über ihn hereinbrach. , von "Kinderhandel" war die Rede, vom "verkauften Jungen". Volz hat den Sprung gewagt und es nie bereut, obwohl sein Traum nicht ganz in Erfüllung gegangen ist.
St. Paulis Moritz Volz   St. Paulis Moritz Volz
Aufgrund seiner Erfahrungen ist Volz skeptisch, wenn heute 13-Jährige verpflichtet werden, wie jüngst von Hoffenheim und Wolfsburg: "Ich wäre mit 13 definitiv zu jung für einen solchen Wechsel gewesen. Junge Spieler sollten mehr Ruhe und Schutz bekommen und nicht schon in dem Alter unter Druck gesetzt werden, sie würden die Chance ihres Lebens verpassen. Zumindest die Schule sollten sie beenden können." Volz brauchte neben dem Profialltag einige Jahre Privatunterricht, um seine A-Levels, das britische Pendant zu Abitur, zu absolvieren. Deshalb dauerte es von der Idee für sein Buch bis zur Veröffentlichung genau fünf Jahre. Februar 2007 hatte eine Lektorin des Rowohltverlags eine Zeitungsnotiz gelesen, über einen deutschen Kicker, der eine eigene Kolumne in der "Times" hat. Intelligent und selbstironisch bewies er dem Mutterland des Fußballs, dass es nicht nur Deutsche mit Sinn für Humor, sondern sogar deutsche Fußballer mit Sinn für Humor gibt", wie der "Guardian" damals jubelte. "Unser Mann in London" lebt von liebevoll beschriebenen Beobachtungen, Details und Typen, wie den Van Man, Pubmannschaften oder konservative Bewahrer der Zweihahnkultur.
Bei Arsenal hat Volz viel gelernt, das moderne Kurzpassspiel auf Kleinfeldern bis zum Umfallen geübt. Er ist athletischer, wendiger und selbstbewusster geworden. Aber in Arsenals erste Mannschaft hat es Volz nach nur zwei Einsätzen im Ligapokal nicht geschafft. Dafür stand er beim FC Fulham sechs Jahre unter Vertrag, die ersten drei Jahre Stammspieler und eine feste Größe. April 2007 aber ging es abwärts mit dem Klub im Südwesten Londons. Und mit der Entlassung des sympathischen Coachs Chris Cookie Coleman begann auch Volz' Leidensweg. Schambeinentzündung lautete die niederschmetternde Diagnose nach zahlreichen Arztbesuchen bei diversen Spezialisten, die ihn ein Jahr außer Gefecht setzte. Manche lästern, das sei eine Modekrankheit wie Sexsucht. Obwohl anatomisch eine gewisse Nähe zu bestehen scheint, handelt es sich bei ersterer um eine sehr ernste, langwierige Verletzung mit ungewissem Heilungsverlauf. Sie entsteht durch chronischen Reiz und Überbelastung, wenn Muskeln von der Innenseite des Oberschenkels am Beckenknochen ziehen. Besonders beansprucht sind sie bei Sprints und schnellen Drehungen. In der Premier League sind Außenverteidiger schon länger viel dynamischer in das Spiel eingebunden. Volz hatte das hohe Tempo schon früh verinnerlicht. Nur bei seinen Gastspielen in der Juniorennationalelf forderte der damalige Trainer Uli Stielike, dass er bedächtiger und vorsichtiger spielen sollte.
Seinen prägenden Trainer, Arsenals Arsène Wenger, schätzt Moritz Volz nach wie vor. Zuletzt hatte er eine sehr nette Begegnung mit dem Elsässer bei der Heim-WM 2006, die der ehemalige Jugendnationalspieler Volz als Panini-Bildchen sammelnder Vollblutfan erlebte. Deshalb kann er sich das drohende Ende der Ära Wenger bei Arsenal nicht vorstellen: "Selbst wenn Arsenal diese Saison die Champions-League-Plätze verfehlen sollte, wird Wenger bleiben. Er hat soviel bei Arsenal angestoßen, das Team ist immer noch eine Wundertüte, wie man vergangenes Wochenende wieder sehen konnte", sagt Volz überzeugt.
Seine eigene Zeit in London endete 2009, als der Vertag bei Fulham auslief und nicht verlängert wurde. Es folgte ein kurzes Zwischenspiel beim Zweiligisten Ipswich Town. Die Schmerzen blieben. Jetzt versucht Volz bei den Kiezkickern Fuß zu fassen. Obwohl der Anfang denkbar schlecht war, nachdem er sich bei einem Trainingsunfall mit seinem damaligen Mannschaftskollegen Gerald Asamoah das Schienbein gebrochen hatte, ist er jetzt ganz optimistisch, noch ein paar Jahre als Profi erfolgreich zu sein. Wenn es mal nicht mehr läuft, kann er auf jeden Fall ein Restaurant mit der besten englischen Küche diesseits des Kanals eröffnen.
Unser Mann in London
Autor: Moritz Volz | Rowohlt | 256 S. | 9,99 Euro
  • Aus der FTD vom 29.02.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
Jetzt bewerten
Bookmarken   Drucken   Senden   Leserbrief schreiben   Fehler melden  

Den Parameter für die jeweilige Rubrik anpassen: @videoList
Tipp it, kick it: Die Bundesliga-Tipprunde der FTD
Tipp it, kick it: Die Bundesliga-Tipprunde der FTD

Tippen Sie mit - ohne Wetteinsatz - alle Begegnungen der 48. Bundesligasaison. Ein Einstieg ist jederzeit möglich. mehr

  15.06.2010 Fußball-WM Kennen Sie Südafrika?

Die Fußball-Weltmeisterschaft wird an der Südspitze Afrikas ausgetragen. Das ist bekannt. Aber wissen Sie, welche Länder an Südafrika grenzen? Welche Sprache zumeist gesprochen wird? Und was man unter Braai versteht?

Zum Einstieg Geografie: Welches Land grenzt nicht an Südafrika?

Fußball-WM: Kennen Sie Südafrika?

Alle Tests

Schlagzeilen
MOTORSPORT

mehr Motorsport

RADSPORT

mehr Radsport

TENNIS

mehr Tennis

 
© 1999 - 2012 Financial Times Deutschland
Aktuelle Nachrichten über Wirtschaft, Politik, Finanzen und Börsen

Börsen- und Finanzmarktdaten:
Bereitstellung der Kurs- und Marktinformationen erfolgt durch die Interactive Data Managed Solutions AG. Es wird keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben übernommen!

Über FTD.de | Impressum | Datenschutz | Disclaimer | Mediadaten | E-Mail an FTD | Sitemap | Hilfe | Archiv
Mit ICRA gekennzeichnet

VW | Siemens | Apple | Gold | MBA | Business English | IQ-Test | Gehaltsrechner | Festgeld-Vergleich | Erbschaftssteuer
G+J Glossar
Partner-Angebote