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Merken   Drucken   02.03.2012, 18:28 Schriftgröße: AAA

Iran: Eine Wahl als Waffe

Vor allem Konservative strömen an die Urnen. Die Wahlbeteiligung ist ein Politikum. Deshalb dürfen ausländische Journalisten im Iran nur unter Aufsicht recherchieren. von Silke Mertins  Teheran
"Allah uh Akbar!" - "Gott ist groß!" schreit eine alte Frau im schwarzen Tschador, als eine Gruppe ausländischer Journalisten die Hosseinijeh-Erschad-Moschee betritt. "Sagt der Welt, dass das unsere Waffe ist!" In der prächtigen Moschee im Norden Teherans, die zu einem Wahllokal umfunktioniert wurde, ist nicht viel Betrieb. Bald sind mehr Korrespondenten, Fotografen und Kamerateams zu sehen als Wähler. Auch iranische Fernsehteams sind gekommen. Sie wollen von den westlichen Reportern, die die Wahllokale nur ihm Rahmen einer staatlich organisierten Bustour besuchen dürfen, wissen, wie sie die Demokratie im Iran denn so finden.
Die Iraner, die an diesem Freitagmorgen dem Aufruf der iranischen Führung gefolgt sind und an die Wahlurnen strömen, unterscheiden sich fundamental von den erwartungsvollen Massen, die bei den Präsidentschaftswahlen 2009 vor den Wahllokalen Schlange standen: der aufgekratzten Stimmung von damals ist nüchterne Pflichterfüllung gewichen. Gekommen sind vor allem konservative Wähler. Denn unter den 3444 Kandidaten, die für 290 Parlamentsmandate antreten, sind so gut wie keine Reformer. Es treten lediglich die religiös-nationalistische "Widerstandsfront", die Präsident Mahmud Ahmadinedschad nahe steht, gegen die "Vereinte Front" an, die sich an Revolutionsführer Ali Chamenei orientiert, dem mächtigsten Mann im Staat. Die Oppositionsbewegung hat deshalb über soziale Netzwerke zum Boykott der Wahlen aufgerufen.
Sirin Mohammed   Sirin Mohammed
"Es ist unsere Pflicht zu wählen", sagt dagegen Sirin Mohammed, "unsere Wahl ist ein Schlag ins Gesicht unserer Feinde Amerika und Israel". Die 42-jährige Angestellte im öffentlichen Dienst zieht ihren Tschador tief ins Gesicht, bevor die den Stimmzettel in die Urne wirft. "Ich wähle die Kandidaten, die für Gott arbeiten." Dass die Reformer ausgeschlossen wurden, stört sie nicht. "Diejenigen, die das entscheiden, werden schon wissen, warum."
Ein anderer Wähler lobt sogar ausdrücklich die Disqualifizierung der Opposition. "Das ist auf jeden Fall die richtige Entscheidung", so Ehsan Mochtadi, der mit seiner langhaarigen Jesus-Frisur, dem rötlichen Bart und der Lederjacke eher wie ein Ex-Hippie als wie ein islamistischer Hardliner aussieht. Auch die wirtschaftlichen Probleme, vor allem die explodierenden Preise, über die viele Iraner klagen, hält der 29-Jährige Selbständige für nicht besorgniserregend. "Das wird vom Westen völlig übertrieben."
Ehsan Mochtadi   Ehsan Mochtadi
Um die Fortschrittlichkeit der islamischen Republik zu demonstrieren, wird die Auslandspresse auch gesammelt in eine Synagoge und eine Kirche gefahren, wo die beiden Minderheiten jeweils einen Repräsentanten wählen, mit dem sie im Parlament vertreten sein werden. In der jüdischen Gemeinde, wo sich die Männer erst dann ihre Kopfbedeckung, die Kippa, aufsetzen, wenn sie im sicheren Inneren des Gebäudekomplexes der Jusefabad-Synagoge sind, ist nur eine Handvoll Wähler anzutreffen. Offen reden will hier niemand.
Doch wenn man den Schreibblock aus der Hand legt, wird kein Hehl daraus gemacht, dass man die Wahlen hier für eine Show hält. In der armenischen Kirche, die von einem riesenhaften Chomeini-Porträt überragt wird, gibt es immerhin eine Schlange vor den Wahlurnen.

Teil 2: Ahmadinedschad könnte Amtsenthebungsverfahren drohen

  • FTD.de, 02.03.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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