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Merken   Drucken   18.03.2012, 16:35 Schriftgröße: AAA

Neuer Bundespräsident: Gaucks Glaubensbekenntnis

Er war der Wunschkandidat von SPD und Grünen für das Amt des deutschen Staatsoberhaupts. Viele Positionen des neuen Präsidenten passen aber eher zu Schwarz-Gelb. Wer Gauck zugehört hat, konnte das wissen.
© Bild: 2012 Reuters/THOMAS PETER
Er war der Wunschkandidat von SPD und Grünen für das Amt des deutschen Staatsoberhaupts. Viele Positionen des neuen Präsidenten passen aber eher zu Schwarz-Gelb. Wer Gauck zugehört hat, konnte das wissen. von Thomas Steinmann  und Maike Rademaker  Berlin
Einen besseren Kronzeugen hätten sie nicht finden können. Kaum dass Thilo Sarrazins Lob für Joachim Gauck über die Agenturen läuft, posten es seine Gegner in ihren Facebook-Gruppen. "Gute Freunde kann niemand trennen ...", lautet der hämische Kommentar in der Gruppe "Gauck: Nein, danke", die mittlerweile fast 1100 Anhänger hat.
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Noch bevor der sperrige Ex-Pfarrer am Sonntag zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt wird, formiert sich im Netz eine Protestbewegung. Gauck, der "Präsident der Herzen" von 2010, habe "unsere Herzen verloren", heißt es da. Zur Begründung werden zwei Links angeführt. Einer führt zu einem Interview, in dem Gauck dem Integrationsprovokateur Sarrazin Mut attestiert, weil dieser über ein Thema, das in der Gesellschaft bestehe, offener gesprochen habe als die Politik - wobei untergeht, dass er Sarrazin in der Sache widerspricht. Der andere Link geht zu Äußerungen über die bankenkritische Occupy-Bewegung mit der Überschrift: Gauck nennt Proteste "unsäglich albern".
Ausgerechnet im Internet, wo bei seinem ersten Anlauf der Gauck-Hype losbrach, machen nun seine Kritiker mobil. Und manche stellen überrascht fest, dass der Theologe in zentralen Fragen Positionen vertritt, die alles andere sind als links, wo die Parteien stehen, die ihn vorgeschlagen haben. "Gauck ist auch ein Befürworter von Hartz IV", postet ein User. Und ein weiterer fügt hinzu: "Gauck ist auch ein Befürworter des Afghanistan-Krieges." In Zitatsammlungen, die im Netz kursieren, ist sogar von "Worten eines Antidemokraten und Extremisten" die Rede.
Die Kommentare machen deutlich, wie wenig sich einige bislang mit den Positionen des früheren DDR-Bürgerrechtlers und späteren Stasijägers beschäftigt haben - auch solche, die sich im Sommer 2010 mitreißen ließen. Dass der Antikommunist ein glühender Marktwirtschaftler ist, der anders als viele in der SPD Gerhard Schröders Sozialreformen noch heute lobt und davor warnt, die Freiheit der Wirtschaft zu beschränken, hat jeder mitbekommen können, der einmal eine Rede von ihm gehört hat. Wenn Gauck über die Finanzkrise sprach, war klar, dass hier einer redete, der besser zu Union und FDP passt als zu SPD und Grünen. Die zentralen Positionen des künftigen Präsidenten im Einzelnen:
Sein Grundverständnis vom Sozialstaat hat Gauck im Juni 2010 in einer Grundsatzrede im Deutschen Theater in Berlin formuliert: "Eine solidarische Gesellschaft steht Hilfsbedürftigen bei, wenn sie in Not sind. Sie ermächtigt die Hilfsbedürftigen aber vor allem, wieder für sich selbst zu sorgen." Dahinter steckt das Prinzip des aktivierenden Sozialstaats, aber auch das Leitmotiv vom "Fördern und Fordern", das über Schröders Agenda 2010 steht. Dazu passt Gaucks Hinweis, dass ein System der sozialen Absicherung bislang nur in Staaten erwirtschaftet werden konnte, "die über eine funktionierende Marktwirtschaft verfügten".
In seinem gerade erschienenen Buch "Freiheit. Ein Plädoyer" schreibt der Theologe: "Ja, es gibt auch Mängel in unserer Demokratie und Marktwirtschaft. Wir wissen, dass dieses System nicht vollkommen ist und ständig Verbesserungen bedarf. Aber es ist ein lernfähiges System, das Vorbildcharakter hat." Dann verweist er darauf, dass sich andere Systementwürfe nicht behauptet haben, und schlussfolgert: "Deshalb gibt es keinen Grund für den neu-alten Versuch, eine neue Variante von Antikapitalismus in die politische Debatte zu bringen." Den Ruf nach einer Neuerfindung des Kapitalismus wies Gauck auch schon in seiner Rede im Juni 2010 zurück. "Wir schaffen auch den Fußballsport nicht ab, weil es immer wieder Spieler gibt, die Foul spielen" , sagte er da. Vielmehr gehe es darum, Regeln zu erlassen und Instanzen zu schaffen, die Regelverstöße ahnden.
Auf dieser Ansicht beruhen auch Gaucks heftig umstrittene Aussagen zu Occupy und anderen Systemprotesten. Auf einer Veranstaltung im Oktober 2011 nannte Gauck, der sich nach eigener Aussage "phasenweise" der 68er-Bewegung zugehörig fühlte, die Antikapitalismusdebatte allgemein "unsäglich albern". Der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, sei eine romantische Vorstellung. Der bankenkritischen Occupy-Bewegung sagte er ein baldiges Ende voraus: "Das wird schnell verebben."
Vor allem in der Internet-Community speist sich die Kritik an Gauck zudem daraus, dass ausgerechnet der Freiheitskämpfer offen für die umstrittene Vorratsdatenspeicherung ist. Nicht nur SPD und Grüne, auch die Liberalen werden sich daher an den Haltungen des künftigen Präsidenten reiben. Gauck wird genügend Gelegenheiten haben, das zu zeigen, was er im Herbst 2010 in der "Süddeutschen Zeitung" Zivilcourage nannte: "Zivilcourage ist jener Mut, der sich bewährt, wenn wir gegenüber unseren eigenen Freunden abweichende Meinungen vertreten.
  • FTD.de, 18.03.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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