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  FTD-Serie: Die Top-Ökonomen

Es gibt kaum eine heiße wirtschaftspolitische Debatte oder kluge ökonomische Analyse, in der ihr Name nicht fällt: Joseph Stiglitz, Kenneth Rogoff und Jagdish Bhagwati bilden mit einem guten Dutzend weiterer Top-Ökonomen einen einzigartigen Think Tank. So konträr ihre Ansichten auch sein mögen: Sie schreiben für eine exklusive Serie, die die FTD in Zusammenarbeit mit der internationalen Public-Benefit-Organisation 'Project Syndicate' veröffentlicht.

Merken   Drucken   10.03.2012, 14:00 Schriftgröße: AAA

Top-Ökonomen: DeLong - Vom Segen hoher Schulden

Kommentar Eine lockere Finanzpolitik auf Pump ist in normalen Zeiten eigentlich eine schlechte Idee. Aber die Zeiten sind alles andere als normal. Ein staatlicher Anschub der Produktion ist notwendig. von J. Bradford DeLong
J. Bradford DeLong ist Professor für Ökonomie an der University of California in Berkeley und Research Associate am National Bureau for Economic Research Genevieve Shiffrar

Überall in der euroatlantischen Welt verläuft die Erholung von der Rezession der Jahre 2008/09 weiter lustlos und schleppend - und verwandelt so eine ursprünglich problemlos behebbare zyklische Arbeitslosigkeit in eine strukturelle. Und was zunächst ein kleiner Betriebsunfall im Prozess der Kapitalakkumulation war, hat sich in eine anhaltende Investitionslücke verwandelt - das bedeutet einen geringeren Kapitalstock und ein geringeres reales Niveau des Bruttoinlandsprodukts (BIP), nicht nur heute (also zu einer Zeit, da die Erholung noch unvollständig ist), sondern möglicherweise noch für Jahrzehnte.
Die westeuropäischen Erfahrungen der 80er-Jahre haben eine Faustregel gebracht: Jedes Jahr, in dem infolge nachlassender Investitionen eine geringere Erwerbsbeteiligung und ein verringerter Kapitalstock die Produktion um 100 Mrd. Dollar unter ihr normales Niveau senken, impliziert, dass das Produktivpotenzial bei Vollbeschäftigung in künftigen Jahren 10 Mrd. Dollar unter dem Wert liegt, der ansonsten prognostiziert worden wäre.
J. Bradford DeLong, Professor für Ökonomie an der University of ...   J. Bradford DeLong, Professor für Ökonomie an der University of California in Berkeley
Dies hat enorme fiskalische Auswirkungen. Nehmen wir an, die USA oder die westeuropäischen Kernvolkswirtschaften würden ihre staatlichen Einkäufe für das nächste Jahr um 100 Mrd. Dollar steigern. Und nehmen wir weiter an, dass ihre Notenbanken zwar nicht bereit sind, weiter eine unkonventionelle Geldpolitik zu verfolgen, zugleich jedoch auch nicht geneigt sind, die Politik der gewählten Regierungen zu behindern. Zum Beispiel, indem sie deren Bemühungen zur Ankurbelung ihrer Volkswirtschaften durch gegenläufige Maßnahmen konterkarieren. In diesem Fall ergibt sich, bedingt durch konstante monetäre Rahmenbedingungen, ein simpler Multiplikator, gemäß dem wir rund 150 Mrd. Dollar zusätzliches BIP (durch die staatlichen Einkäufe) erwarten können. Dies wiederum sorgt für 50 Mrd. Dollar mehr Steuereinnahmen, sodass die Staatsverschuldung um lediglich 50 Mrd. Dollar steigen würde.
Was ist der reale (inflationsbereinigte) Zinssatz, den die USA oder die westeuropäischen Kernvolkswirtschaften auf diese zusätzlichen 50 Mrd. Euro an Schulden zahlen müssten? Falls er bei einem Prozent liegt, bedeutet eine Steigerung der Nachfrage und der Produktion um 150 Mrd. Dollar im nächsten Jahr, dass man in Zukunft 500 Mio. Dollar jährlich aufbringen müsste, um zu verhindern, dass diese Schulden real gesehen wachsen. Sind es drei Prozent, sind jährlich zusätzliche Steuereinnahmen von 1,5 Mrd. Dollar erforderlich. Und sind es fünf Prozent, braucht die Regierung pro Jahr zusätzliche 2,5 Mrd. Dollar.
Nimmt man an, dass die unterdurchschnittliche Produktion einen Schatten von zehn Prozent auf das künftige potenzielle Produktionsniveau wirft, so bedeutet die zusätzliche Produktionsmenge im Umfang von 150 Mrd. Dollar, dass die Produktion irgendwann, wenn sich die Konjunktur erholt hat, um 15 Mrd. Dollar höher liegen wird - und der Staat zusätzliche 5 Mrd. Dollar an Steuern einnimmt.
Die Regierungen müssen also die Steuern nicht erhöhen, um die zusätzlichen Schulden, die sie zur Finanzierung der fiskalischen Konjunkturimpulse übernommen haben, zu finanzieren. Vielmehr würde die angebotsorientierte Ankurbelung der potenziellen Produktion, die von dieser Lockerung der Fiskalpolitik langfristig ausgeht, höchstwahrscheinlich nicht nur die zusätzlichen Schulden zahlen, die man für diese Ausgabenerhöhung braucht, sondern bei ausgeglichenem Haushalt noch zusätzliche künftige Steuersenkungen ermöglichen.

Teil 2:

  • FTD.de, 10.03.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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