Patrick Dörings ungeschickter Ausspruch, das Politikbild der Piratenpartei sei sehr von der "Tyrannei der Masse" geprägt, hat ein breites Echo gefunden. Man kann ihn verstehen als den klassischen Reflex eines Karrierepolitikers auf eine konkurrierende, für ihn weder begreifliche noch berechenbare politische Kraft. Der politische Diskurs versucht, sich vor den Außenseitern zu schützen. Döring tut das, indem er einen Topos wiederbelebt, der aus der Zeit der römischen Demokratie stammt und von Tyrannen wie Robespierre und den Diktatoren des 20. Jahrhunderts weiter befeuert wurde. Die Netzgemeinde hat ihn dafür mit einem "Shitstorm" (eine Lawine von kritischen Äußerungen im Internet) bedacht. Dass er mit dem digitalen Zeitalter überfordert sei, war noch die mildeste Kritik. Auch das ein vorhersagbarer Reflex.
Man könnte den FDP-Generalsekretär aber auch ernst nehmen. Denn im Kern geht es um durchaus berechtigte Einwände gegen jede Form der Volksgewalt, die über das Maß der repräsentativen Demokratie hinausgeht: Was ist mit dem Schutz von Minderheiten? Hätten wir nicht längst eine Mauer gegen Einwanderer? Hätten wir nicht wieder die Todesstrafe, wenn es basisdemokratisch zuginge? Es ist das alte Misstrauen der politischen Kaste gegen Volkes Meinung, das alte Ringen um Legitimation und Effektivität und nicht zuletzt das alte Spiel mit und gegen den Populismus als hässlichen Vetter der Demokratie.
Im Konstrukt des Parlamentarismus fungiert der Volksvertreter im besten Fall als Knautschzone zwischen dem manipulierbaren und potenziell unvernünftigen Volkswillen und dem, was rationalerweise zu tun ist. Das funktioniert - vorsichtig formuliert - nicht immer und überall ideal. Man kann allerhand gegen eine exzessive Lobbydemokratie ins Feld führen. Man kann sich stemmen gegen Auswüchse der repräsentativen Demokratie, die mit den einschlägigen Amigo-, Parteispenden- und anderen Affären entlarvt wurden. Man kann angewidert sein von der Selbstbedienungsmentalität von Klientelpolitikern wie Christian Wulff.
Deshalb ist es legitim, über neue Wege nachzudenken, über mehr Transparenz und eine direktere Bürgerbeteiligung. Das haben vor einer Generation und noch vor dem digitalen Zeitalter die Grünen schon getan. Die Argumente, die ihnen seinerzeit entgegengehalten wurden, sind im Wesentlichen die gleichen wie die, mit denen sich die Piraten konfrontiert sehen.
Im Vergleich zu den 80er-Jahren aber gibt es Unterschiede. Zum einen die Geschwindigkeit. Und die damit einhergehende Beiläufigkeit, mit der man mal eben auf einen Like-Button klickt, einen Status postet oder einen Retweet. Das ist etwas anderes, als für mühsam in Bürgerinitiativen ausdiskutierte Positionen Demos oder Unterschriftenlisten zu organisieren. Politische Prozesse brauchen Zeit.