Bayern 2 - Diwan

Adam Zamoyski "1812 Napoleons Feldzug in Russland"

Heraklits berühmter Spruch vom Krieg als Vater und König aller Dinge findet seine wohl überzeugendste Widerlegung in Napoleons Russlandfeldzug von 1812. Der englische Historiker Adam Zamoyski beleuchtet diese militärische und humanitäre Katastrophe so spannend wie all umfassend.

Stand: 30.05.2012
Buchcover "1812 Napoleons Feldzug in Russland" von Adam Zamoyski | Bild: C.H.Beck, colourbox.com, Montage: BR

Die Krux dieses Feldzugs, für den sich Napoleon mit der größten Armee aller Zeiten rüstete, war, dass er lange keine klare Entscheidung brachte und - anders als der heraklitische Spruch verheißt - , beide Kriegsparteien, die Armee des Zaren und die Napoleons in der Illusion verharren ließ, dass sie eigentlich die Sieger waren.

Im Dezember 1812 aber war der Untergang der Grande Armée besiegelt und eine bis dahin beispiellose militärische und humanitäre Katastrophe perfekt: 400.000 Angehörige von Napoleons internationaler Armee – zusammengesetzt aus Italienern, Spaniern, Polen, Österreichern, Preußen, Bayern, Westphalen und vielen mehr -  waren erschossen, zerstückelt oder erfroren. Die Russen hatten noch mehr Tote zu beklagen: 300.000 Soldaten und ebenso viele Zivilisten.

Auch wenn Tolstoi sich in "Krieg und Frieden" bemühte, den Untergang der Grande Armée auf die Fahnen der tapferen und auf Gott vertrauenden russischen Seele, insbesondere der des Feldherrn Kutusows, zu schreiben: Der erbarmungslose russische Winter – 37 Grad Minus mussten Napoleons schlecht ausgerüsteten Truppen tagelang ertragen – und nicht die russische Kriegskunst hat zum Untergang der napoleonischen Truppen geführt.

Kriegsalltag hautnah

Napoleon

Mit hunderten von Zeitzeugen aus beiden Armeen, die in Tagebüchern, Zeichnungen und in Briefen an ihre Daheimgebliebenen von dem Kriegsgeschehen berichteten und mit etlichen Depeschen, militärischen Karten und anderen Zeitzeugnissen sonst erzählt Adam Zamoyski die Geschichte dieses totalen militärischen Debakels nach: angefangen von der Frage, was Napoleon mit diesem Feldzug im Schilde führte und wie er seine Truppen motivierte, über die erstaunliche Auf- und Preisgabe Moskaus, das Rostoptschin, der russische Gouverneur der Stadt allerdings vorher in Brand setzte, damit die Franzosen "nur noch einen Haufen Asche" vorfinden, bis hin zu dem massenhaften Sterben an der Beresina und in Wilna. Der Kriegsalltag ist sein Thema, mitsamt den klimatischen, logistischen, hygienischen und humanitären Bedingungen, die zu diesem gigantischen militärischen Debakel führten.

Beispiellose Verrohung

Zamoyski berichtet von unverzeihlichen Versäumnissen der Russen, die nach ihrem Sieg bei Beresina weder Napoleon noch seine Generäle verhafteten, und den Irrtümern und Versäumnissen der Franzosen, die siegesgewiss in Moskau Pelze für ihre Frauen suchten, anstatt sich mit Nahrung und Ausrüstung für den bevorstehenden Winter zu rüsten. Er montiert Hunderte von Dokumenten, die von einer bis dahin beispiellosen Verrohung der Sitten auf beiden Seiten zeugen, von einer stupenden Eskalation von Leiden und Gewalt.

"Die Verwundeten und Kranken lagen in der eisigen Kälte, ohne Essen und Pflege, in improvisierten 'Lazaretten', von denen es in Wilna und Umgebung etwa vierzig gab. Meist bestand deren Personal aus ein paar Sanitätern. Sie wurden von Kosaken und Milizionären unterstützt, die regelmäßig Grausamkeiten, aber kaum Essen und Wasser austeilten, geschweige denn eine medizinische Versorgung anboten. Viele Männer litten neben ihren Wunden auch an Typhus oder anderen Fieberinfektionen, aber sie alle litten vor allem Hunger und Durst, und so kam es, dass sie zu Kannibalen wurden, während in den von Napoleon angelegten militärischen Magazinen Lebensmittel im Überfluss vorrätig waren. Zehntausende, möglicherweise sogar dreißigtausend, starben innerhalb weniger Wochen"

. Adam Zamoyski in 1812, Napoleons Feldzug in Russland.

"1812 Napoleons Feldzug in Russland" von Adam Zaoyski ist bei C.H.Beck erschienen und hat 720 Seiten. Niels Beintker hat das Buch für den Diwan gelesen. Sie hören seinen Beitrag Samstag, 2. Juni 14.05 Uhr auf Bayern 2, Wiederholung 22.05 Uhr.


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