Bayern 2 - Nachtstudio

Redet Kunst Ich vergebe nicht, ich vergesse nicht

Vor zwei Jahren starb Louise Bourgeois in New York als bekannte Bildhauerin. Der Weg zur berühmten Künstlerin war stark von Kindheitserlebnissen geprägt.

Stand: 31.05.2012
Detail des Plakats zur Reihe "Redet Kunst" | Bild: BR / fpm

Die Kindheit

"Ich vertraue niemandem. Ich verlasse mich nur auf mich selbst: zum Glück bin ich ganz und gar unfähig, anderen zu vertrauen."

Louise Bourgeois

Geboren im Dezember 1911 in Paris, wuchs sie in einer Familie auf, in der Mädchen mehr toleriert als willkommen waren. Ihre Eltern besaßen eine Restaurierungswerkstatt für historische Stoffe. Dort kam sie schon als kleines Kind mit künstlerischem Schaffen in Berührung und fertigte Zeichnungen für verloren gegangene Teile an, um die Aufmerksamkeit ihres Vaters zu erregen und ihn stolz auf seine Tochter zu machen. Doch sie lebte unbeachtet in einer Familie, in der der Vater über Jahre die Familie mit dem englischen Kindermädchen betrog.

"When I was very little, in my house, my father talked all the time. So nobody had any room to say anything."

Louise Bourgeois

Die kleine Louise formte die Gestalt ihres Vaters aus Brot, um diese dann mit Genuss zu zerstören, sie kanalisierte ihre Tochterrolle in ersten bildhauerischen Versuchen. Die Mutter, eine Weberin, flickte die Hosen des Vaters.

"Meine Mutter war in meinen Augen vollkommen. … Sie war eine Weberin, wie eine „araignée“, eine Spinne."

Louise Bourgeois

Maman

Louise Bourgeois verewigte ihre beschützende Spinne 1999 in einer neun Meter hohen Skulptur aus Bronze, Edelstahl und Marmor, sie lässt ihre geliebte Mutter in gewaltiger Größe über die Besucher der Museen dieser Welt wachen lassen. Das Original ist im Besitz der Tate Modern in London, Bronzeabgüsse stehen beispielsweise vor dem Guggenheim Museum Bilbao oder dem Mori Art Museum Tokyo.

Nach dem Tod der Mutter, Louise ist 21 Jahre alt, unternimmt sie einen Selbstmordversuch und wird vom Vater gerettet. Ausgerechnet von dem, der ihr es in der Kindheit so schwer machte, der sie so selten beachtete und ihr den seelischen Schaden zufügte, der ihr restliches Leben stark beeinflusste.

Der Ausweg nach Amerika

Mit 27 übersiedelt Louise mit ihrem Mann, einem amerikanischen Kunsthistoriker, nach New York. Geplagt von Heimweh, obwohl doch der Umzug eine Flucht vor dem Vater war, lernte sie die Rebellion gegen jede Vaterfigur und kämpfte für die Anerkennung von Frauen im großen Kunstgeschäft. Sie litt an Selbstzweifeln, dem steten Versuch, als Mutter, Ehefrau und Künstlerin vollkommen zu sein und dem gleichzeitigen Gefühl des Scheiterns daran. Als dann der Vater stirbt, ist das keine Befreiung, sondern der Auslöser für eine schwere Depression.

Kunst als Medizin

"Der schöpferische Impuls für alle meine Arbeiten ist in meiner Kindheit zu suchen."

Louise Bourgeois

1990-1993 schafft sie ein originalgetreues Modell des Elternhauses, mit Drahtzaun und Guillotine. Die Botschaft: die Gegenwart soll die Vergangenheit zerstören, die Kunstwerke helfen ihr, ihre Kindheit aufzuarbeiten.

A l'infini

1994/1995 entstehen in zahlreichen schlaflosen Nächten die Insomnia Drawings, 220 Zeichnungen, abstrakte Gebilde, Blütenformen, Linien, Kreise, Figuren, Ornamente, gezeichnet mit Füllfeder - Die „Denkfedern“ einer chronisch Schlaflosen. Sie ist allzeit bereit, lässt den Kohlestift nicht los, wacht in der Nacht über ihren Gedanken und bringt diese wie Poesie aufs Papier. Blau ist ihre Lieblingsfarbe. Und rot die Farbe der Schlaflosigkeit.

1982 bekommt sie als erste Frau eine Einzelausstellung im Museum of Modern Art in New York. Erst danach wird sie einem größeren Publikum bekannt. Mit über 70.

"Nicht ich habe den Markt ignoriert. Der Markt hat mich ignoriert. Und das war gut so."

Louise Bourgeois

Über die Autorinnen

Heide Schwochow (*1953) Studium der Pädagogik und Schauspielregie, freie Theaterarbeit. 1996-2001 Dozentin an der Universität Leipzig, Freiberufliche Hörfunk- und Drehbuchautorin und Regisseurin. Drehbücher u.a. „Novemberkind“ (2008). Zahlreiche Feature, zuletzt: „Sturmwarnung. Über den Verkauf der ostdeutschen Seen (mit Rainer Schwochow, DLF 2011).

Ina Strelow (*1958), arbeitete als Buchhändlerin, Redakteurin, Synchronsprecherin, Dramaturgin. Studium am Literaturinstitut Leipzig, zahlreiche Stipendien. 2006 Teilnahme am Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Schreibt Prosa, Lyrik und Radio-Feature. 2011 erhält die Schriftstellerin das Projektstipendium der Autorinnenvereinigung e.V. für das Romanprojekt „Wolfswetter.“