FTD.de » Politik » International » Die verlorene Generation

Merken   Drucken   07.07.2012, 08:00 Schriftgröße: AAA

Jugendarbeitslosigkeit: Die verlorene Generation

Egal ob Industrienation oder Schwellenland - fast überall sitzen immer mehr junge Menschen auf der Straße. Besonders in Europa ist das Problem riesig. Die Financial Times beleuchtet in einer Reihe in vielen Ländern der Welt die verlorene Generation, wie die jungen Arbeitslosen häufig genannt werden. von Chris Giles, London
Studentenproteste in Barcelona: In Spanien stellt sich das Problem ...   Studentenproteste in Barcelona: In Spanien stellt sich das Problem der Jugendarbeitslosigkeit am drastischsten dar
Bob und John kommen aus derselben Stadt, haben denselben Hintergrund, dieselbe Ausbildung und beide machten 2009 auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise ihren Abschluss. Bob hatte Glück: Er hat schnell Arbeit gefunden und war seitdem ständig beschäftigt. John dagegen suchte zwei Jahre, bevor er eine Anstellung fand. Dass Bob aktuell mehr verdient als John, überrascht nicht, aber die Historie zeigt, dass John wegen seines Spätstarts einen deutlichen Rückstand erlitten hat. In zehn Jahren wird er voraussichtlich 16 Prozent weniger als Bob verdienen.
Das hypothetische Beispiel zeigt: Arbeitslosigkeit in der Jugend kann für ein Leben lang zum Problem werden. In Industrienationen wie auch in Schwellenländern verpasst die Jugend stärker denn je den Anschluss. Wo sich eine Kluft bildet, ist sie meist von Dauer und nur schwer zu überbrücken.
Die Politik ist sich der Thematik bewusst. Frankreichs neuer Präsident François Hollande beispielsweise versprach im Wahlkampf Hilfe für die Jugend. Viele Beobachter sorgen sich jedoch, dass die politischen Maßnahmen nicht ausreichen werden. Angesichts des Ausmaßes der Krise droht eine verlorene Generation. Dass die Weltwirtschaft ins Stocken gerät, dürfte die Krise nur erschweren.
Die Statistiken sind beunruhigend. Seit die OECD die Zahl der Arbeitslosen unter 25 misst, waren die Werte in Europa noch nie so hoch. Jeder zweite junge Grieche und Spanier ist ohne Arbeit. In Ländern wie Italien sind vier Mal so viele Junge arbeitslos wie Alte. "Ein beträchtlicher und wachsender Anteil der Jugendlichen - selbst die, die in guten Zeiten Arbeit gefunden hätten - läuft stark Gefahr, länger arbeitslos oder inaktiv zu sein", warnt die OECD. "Es droht ihnen Schaden für ihre gesamte Karriere und ihr Auskommen."
Einige Länder konnten Erfolge bei der Eindämmung der Jugendarbeitslosigkeit erzielen. In Deutschland beispielsweise lag die Quote im Jahr 2007 noch bei über elf Prozent, im Mai 2012 waren es noch 7,9 Prozent, während die allgemeine Arbeitslosenrate 5,6 Prozent betrug.



Klicken Sie auf die Pins in der Karte, um die jeweiligen Jugend-Arbeitslosenquoten für das Jahr 2011 in Prozent angezeigt zu bekommen. Zusätzlich sind die Gesamt-Arbeitslosenquoten für 2011 angegeben. Die Zahlen sind nicht saisonbereinigt. Die Zahlen von Litauen, Lettland, Griechenland, Italien und des Vereinigten Königreichs geben die Jugendarbeitslosenquoten des Jahres 2010 an. Aktuellere Daten lagen nicht vor.

Quelle: Eurostat

 

Darüber hinaus können die offiziellen Zahlen auch irreführend sein. Deutlich weniger als die Hälfte aller Spanier unter 25 muss ohne Beschäftigung auskommen, denn bei den Arbeitslosenzahlen wird nur der Anteil der Arbeitslosen im Vergleich zu den Menschen gemessen, die auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind. Studenten beispielsweise zählen nicht.
Das bedeutet aber keineswegs, dass man Jugendarbeitslosigkeit auf die leichte Schulter nehmen sollte. Kurzfristig belastet eine hohe Jugendarbeitslosigkeit die Staatskassen, sorgt für höhere Verbrechensraten und gefährdet das soziale Gefüge.
"Ohne die richtigen politischen Maßnahmen besteht das Risiko, dass nicht nur ein Jahrzehnt Wachstum, sondern eine ganze Generation verloren geht", sagt Nemat Shafik vom Internationalen Währungsfonds.
Auf mittlere Sicht nehmen die Probleme noch zu. Junge Menschen mit schlechten Jobaussichten verschieben die Gründung stabiler Familien. Wer mehr Energie aufbringt und besser qualifiziert ist, geht oftmals ins Ausland. Die Daheimgebliebenen wiederum sind nicht selten überqualifiziert für die Jobs, die ihnen angeboten werden.
Auf lange Sicht werden viele, die längere Phasen der Arbeitslosigkeit erlebt haben, die Folgen davon noch Jahrzehnte zu spüren bekommen. In den USA etwa haben diejenigen, die nicht rasch Karriere machen, noch lange mit den Schulden ihrer Studienzeit zu kämpfen. Die Gefahr, dass sie ihre Schulden nicht begleichen können, untergräbt darüber hinaus die finanzielle Stabilität.
Europaweit klagen viele junge Menschen darüber, dass die Firmen nicht dazu ermuntert werden, langfristige Verträge anzubieten. Der 28-jährige Paolo beispielsweise hat vor zwei Jahren in Mailand sein Studium beendet und schlägt sich seitdem mit befristeten Arbeitsplätzen durch. "Jedes Mal bin ich ganz begeistert, aber das legt sich schnell wieder, wenn mir klar wird, dass sie mich aus irgendeinem Grund, der nichts mit mir zu tun hat, nicht behalten", sagt Paolo.
Unterschiedliche Länder gehen bei dieser Art weltweitem Experiment unterschiedlich mit dem Problem Jugendarbeitslosigkeit um. In Frankreich wird Hollande Firmen Steuervergünstigungen anbieten, wenn sie jungen Menschen langfristige angelegte Arbeitsplätze geben. Die Rezession in Portugal treibt unterdessen junge Menschen kurzfristig in die Emigration. Und in Algerien bezeichnet die Regierung die jungen Leute, die gegen kleinliche Auflagen protestieren, als realitätsfremd.
Für eine ganze Generation hängt viel davon ab, wie erfolgreich die Maßnahmen sind. In mehrerern Folgen beleuchtet die Financial Times die verlorene Generation, besucht ihre Protagonisten und analysiert die Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit auf die Volkswirtschaft.
Jetzt bewerten
Bookmarken   Drucken   Senden   Leserbrief schreiben   Fehler melden  

Den Parameter für die jeweilige Rubrik anpassen: @videoList
  • Entwurf zum Meldegesetz: Die Kehrtwende macht es nicht besser

    Die 180-Grad-Wende der Regierung signalisiert ein eigentümliches Demokratieverständnis: Die Länder sollen das unliebsame Meldegesetz stoppen. Dabei stehen die Bürger mit der alten Version sogar noch schlechter da. mehr

  •  
  • blättern
Tweets von FTD.de Politik-News

Weitere Tweets von FTD.de

  26.05. Der Test zu Pfingsten Kennen Sie sich mit Feiertagen aus?

Wann gilt ein bundesweites Tanzverbot? Existiert ein offizieller Vatertag? In Deutschland gibt es viele gesetzliche und kirchliche Feiertage: Was wissen Sie darüber?

An welchem Feiertag gilt ein gesetzliches Tanzverbot in Deutschland?

Der Test zu Pfingsten: Kennen Sie sich mit Feiertagen aus?

Alle Tests

FTD-Wirtschaftswunder Weitere FTD-Blogs

alle FTD-Blogs

Newsletter:   Newsletter: Eilmeldungen Politik

Ob Regierungsauflösung oder Umfragehoch für die Linkspartei - erfahren Sie wichtige Politik-Nachrichten, sobald sie uns erreichen.

Beispiel   |   Datenschutz
 



DEUTSCHLAND

mehr Deutschland

EUROPA

mehr Europa

INTERNATIONAL

mehr International

KONJUNKTUR

mehr Konjunktur

 
© 1999 - 2012 Financial Times Deutschland
Aktuelle Nachrichten über Wirtschaft, Politik, Finanzen und Börsen

Börsen- und Finanzmarktdaten:
Bereitstellung der Kurs- und Marktinformationen erfolgt durch die Interactive Data Managed Solutions AG. Es wird keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben übernommen!

Über FTD.de | Impressum | Datenschutz | Nutzungsbasierte Online Werbung | Disclaimer | Mediadaten | E-Mail an FTD | Sitemap | Hilfe | Archiv
Mit ICRA gekennzeichnet

VW | Siemens | Apple | Gold | MBA | Business English | IQ-Test | Gehaltsrechner | Festgeld-Vergleich | Erbschaftssteuer
G+J Glossar
Partner-Angebote