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Merken   Drucken   07.07.2012, 12:00 Schriftgröße: AAA

Schwellenländer: China sollte sich Indien zum Vorbild nehmen

Kommentar Chinas zentralistisch verordnete Wirtschaft stößt an ihre Grenzen. Indien zeigt, wie es besser geht. von Mathias Ohanian 
An der China University of Political Science and Law in Peking gibt es einen Experten fürs Regelbrechen. Pi Yijun erforscht Abweichungen von der Norm. Seine Studenten sind ihm dabei oft zu unkreativ - und nicht nur die. Der BBC sagte er kürzlich, dass die traditionelle chinesische Gesellschaft zu sehr auf Regeln fixiert ist und damit zu wenig Raum für Innovation lasse. Wenn sich das nicht ändere, werde Chinas Wirtschaft wohl nicht das nächste Level erreichen, sagte Yijun.
Der Professor trifft damit einen Nerv. Chinas Wirtschaft steht vor einem großen Wandel. In Peking wünscht man sich, dass die Zeiten der massenhaften Billigproduktion einer moderneren Wirtschaftsära weichen, in der Chinas Firmen echte Innovationen produzieren. Doch Chinesen mögen zwar herausragend bei der Massenproduktion sein, bei der Produktion von Ideen könnten ihnen andere aber überlegen sein.
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Allen voran ein Land: Indien.
Im Verkehr von Mumbai muss man niemanden im Regelbrechen unterrichten. Das hupende Chaos ist berühmt-berüchtigt und treibt Touristen zur Todesbleiche. Was gemeinhin als Nachteil ausgelegt wird, könnte auf den zweiten Blick zum Vorteil werden. Denn das Gewusel, das Indien ausmacht, hat auch Kreativität zur Folge - wie sich nicht nur in den äußerst einfallsreichen kleinunternehmerischen Ideen am Straßenrand zeigt.
Schon jetzt scheint klar: Indien wird in diesem Jahrzehnt zu Chinas großem Herausforderer. Es ist das Wettrennen der Dekade - einer Ära, in der Schwellenländer nicht mehr nur die Fabriken der Welt sein wollen. Und bei diesem Kampf kommt es eben nicht mehr nur auf Billiglöhne an.
Keine Frage, bislang hat China klar die Nase vorn. 1980 war das chinesische Pro-Kopf-Einkommen im Schnitt nur etwa halb so groß wie das indische. Heute verdient ein Chinese mehr als doppelt so viel wie ein Inder. Das durchschnittliche Pro-Kopf- Einkommen ist nach Daten des Internationaler Währungsfonds (IWF) auf mehr als 7500 Dollar gestiegen, mehr als doppelt so viel wie das indische Durchschnittseinkommen von etwa 3340 Dollar.
Dieser Wohlstandssprung schafft natürlich Vorteile bei der Innovationskraft, allein durch das schiere Volumen an Forschungsangaben und Patenten, das in China deutlich höher als in Indien ist.
Doch mit dem Wandel zu einer modernen Wirtschaft könnte sich diese Überlegenheit abschwächen. Denn Indien steht für mehr Dynamik - nicht nur im Straßenverkehr. Bis zum Jahr 2050 wird ein Drittel der Einwohner Chinas über 60 Jahre alt sein, dreimal so viel wie heute. Laut Allianz Research wird sich das bereits in diesem Jahrzehnt auf dem chinesischen Arbeitsmarkt bemerkbar machen: Wenn die Regierung am derzeitigen Renteneintrittsalter festhält, rechnen die Experten damit, dass der chinesische Arbeitsmarkt schon 2013 einen Wendepunkt erreichen wird. Von da an dürften Arbeitsknappheit und Lohnsteigerungen deutlich zunehmen. Und die Wachstumsdynamik abnehmen.
Indiens Bevölkerungszahl wächst hingegen weiter: Schon bald wird das Land mit mehr als 1,2 Milliarden Menschen China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen. Einst war Chinas Wachstumsrezept der schier unaufhörliche Zufluss junger Arbeitskräfte in die städtischen Fabriken. Bald wird dieses Privileg nur noch für Indien gelten. In Indien strömen weiter unaufhörlich Massen an hungrigen jungen Menschen auf den Arbeitsmarkt. Und das hat in der Regel eine höhere Wachstumsdynamik zur Folge. Und das in einer Wirtschaft, die bereits heute einen hohen Entwicklungsstand verzeichnet.
Indiens Wirtschaft verfügt über moderne Sektoren, die sie weiterentwickeln kann - während sie im Gegensatz zu China zugleich die Dynamik eines Entwicklungslands beibehält. China hingegen erntet die demografischen Probleme eines Industrielands, ohne dessen Technologie und Wohlstand zu besitzen.
Doch damit nicht getan: Beim Sprung zu einer modernen, vom Dienstleistungssektor geprägten Wirtschaft ist Indien bereits jetzt eine Schritt weiter. In China liegt der Anteil der Industrie bei 47 Prozent, in Indien sind es nur 28 Prozent. Servicefirmen machen in China etwas über 40 Prozent aus, in Indien sind es bereits 55 Prozent.
Hinzu kommt, dass Indien ein dezentrales Land mit einer ausgeprägten Entrepreneurkultur ist. Das zeigt sich hinunter bis auf die kleinste Ebene, die Hunderttausende fliegenden Händler.
China ist eine zentral durchregierte Wirtschaft. Die zentralistisch verordnete Wirtschaft ist gut für industrielle Massenproduktion, aber nicht für modernes Wirtschaften. Kleine, nichtstaatliche Firmen beklagen in China gerade aktuell wieder viele Hürden für das Unternehmertum. Zwar kann China auch durch konzertierte, enorme Forschungsausgaben ein gewisses Maß an Innovationskraft erreichen. Die moderne wissensbasierte Wirtschaft von morgen braucht aber Gewusel und Unternehmertum, manchmal gar etwas Chaos.
Das zeigt sich auch in westlichen Wachstumssektoren wie der IT-Branche. Bisher wurde noch kein Facebook  oder Google  auf Verordnung einer Regierung erfunden. Ein Vorteil für Indien - das nicht durch Zufall im IT-Bereich bereits weiter ist als China. Das hat in China nicht nur der Professor fürs Regelbrechen erkannt.
  • FTD.de, 07.07.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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Kommentare
  • 08.07.2012 16:07:13 Uhr   Brandt: China sollte sich am Silicon Valley, Israel, ...

    Der Artikel ist sehr wenig mit fundierten Wissen unterfüttert. Innovation hat sehr wenig mit Regelbrechen zu tun, sondern mit dem Vorhandensein von Institutionen. Eine Volkswirtschaft braucht Forschungsuniversitäten, Technologieparks, Enterpreneurship-Netzwerke und Wagniskapitalgeber, um Technologie marktfähig zu machen. Typischerweise braucht eine High Tech Firma 2 Mio bis sie schwarze Zahlen schreibt. Die wenigsten indischen Dienstleistungsunternehmen werden so hohe Anschubsfinanzierung benötigen. Sehr gut in der Innovationsförderung ist das Silicon Valley und Israel, weshalb da auch sehr viele Technologie-Einkäufer sind. Bei Luftfahrt, Raumfahrt, Energieversorger braucht man staatliche Planung. Erfolgreiche Staaten sind Japan und Korea, die mit grossen Wirtschaftsministerien arbeiten. Bei Familienunternehmen tut sich Taiwan hervor. Sehr viele Zulieferer für Elektronik kommen aus Taiwan.

    Innovation wird auch über das Patentrecht reguliert. Es gibt einen grossen Streit unter Ökonomen, wie das Patentrecht auszusehen hat für optimale Innovation.

    Natürlich braucht man geeignete Refinanzierungsmöglichkeiten für Wagniskapitalgeber. Typischerweise sind das Pensionsfonds, Banken, Versicherungen oder eben die Regierung. Moderne Bewertungsmethoden für IP (Intellectual property) sind IP Auktionen. Inzwischen gibt es auch Anleihen basierend auf IP.

    Ein grosser Anteil an Dienstleistungsindustrie ist eigentlich kein makroökonomisches Ziel. Dienstleistungen sind an einem Ort und an eine Person gebunden: z.B. Haareschneiden, Schulbildung, Massage etc. Software ist keine Dienstleistung sondern ein digitales Gut. Eine grosse Güterindustrie hat den Vorteil, dass man komparative Handelsvorteile ausnutzen kann.

    China hat eigentlich keine Probleme mit kreativen Köpfen. Sehr viele Fachkräfte an den National Laboratories und im Silicon Valley kommen aus China. Die Publikationsanzahl spricht für sich. China hat ein Problem sie zurück zu holen und leidet sehr schwer am Brain Drain durch die USA, Kanada, Australien,Taiwan und Singapur. Mit Steuervorteilen war bisher nicht viel zu machen. Die chinesische Massenkultur ist auch nicht so trendy und hip, um den Rückehrern ausser Geld einen aufregenden Lebensstil anbieten zu können. Viele chinesische Unternehmen haben kein Karriere Track oder "Training on the Job", um Rückkehrer eingliedern zu können.

    Die Existenz von endlosen Nachschub an Billigarbeitskräften nützt nur, wenn die urbane Stadtplanung beherrscht. Städte brauchen eine Gesundheitswesen, Wohnungspolitik, Schulsystem, Rechtssystem und Regeln neben überlegter Infrastrukturpolitik, um Entwicklungsbedingungen für Migranten anzubieten.

    China hat die Sonderwirtschaftszonen sehr erfolgreich mit Hong Kong und einer Vielzahl von Trabantenstädten pioniert, dass weltweit imitiert wird.

  • 08.07.2012 12:05:14 Uhr   Rationalist: Teil 2: Einschätzung
  • 08.07.2012 11:53:48 Uhr   Rationalist: Teil 1: Einschätzung
  • 08.07.2012 09:54:03 Uhr   Werbepause: Indien?
  • 08.07.2012 03:27:28 Uhr   MehrSinn: China sollte sich Indien zum Vorbild nehmen
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