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Merken   Drucken   27.06.2012, 19:11 Schriftgröße: AAA

Geschichtskenntnisse: Deutsche Schüler erschreckend unwissend

Die Schüler in Deutschland zeigen große Wissenslücken über die jüngere Geschichte. Die Hälfte von ihnen kann den Nationalsozialismus nicht als Diktatur einorden. Auch der Unterschied zur Demokratie ist vielen nicht klar. von Kai Beller  Berlin
"Deutsche Schüler sind Realisten." Klaus Schroeder, Professor an der Freien Universität Berlin, meint das nicht so positiv, wie es zunächst klingt. "Sie wissen, dass sie wenig wissen", sagt er zur Selbsteinschätzung der Schüler über die deutsche Geschichte zwischen 1933 und heute. Schroeder hat mit Wissenschaftlern des Forschungsverbundes SED-Staat mehr als 5000 Schüler in fünf Bundesländern über Nationalsozialismus, die Zeit der Teilung und das wiedervereinigte Deutschland befragt.
Die Erkenntnisse der Studie "Später Sieg der Diktaturen" sind zum Teil erschreckend: Knapp die Hälfte der Schüler weiß nicht, ob sie den Nationalsozialismus als Diktatur einordnen soll. Umgekehrt halten nur knapp 50 Prozent der Jugendlichen die alte Bundesrepublik für eine Demokratie. Jeder zehnte Befragte hat ein positives Bild von der Nazidiktatur, etwa jeder Vierte hat zumindest eine neutrale Einschätzung. "Wir hätten nicht erwartet, dass so viele den Nationalsozialismus neutral sehen", sagt Schröder.
Ein Schulklasse im Unterricht   Ein Schulklasse im Unterricht
Noch positiver fällt das Urteil von Migrantenkindern mit türkischen oder kurdischen Wurzeln über den NS-Staat aus: 12,7 beziehungsweise 15,6 Prozent haben ein positives Bild von der faschistischen Diktatur.
Das passt nicht mit der Einschätzung demokratischer Werte zusammen, denn die große Mehrheit der Befragten zeigt Sympathie für liberale und freiheitliche Ideen. In der Realität, so die Forscher, könnten die Schüler aber nicht erkennen, wann diese Werte bedroht sind. Knapp 40 Prozent waren nicht in der Lage, die charakteristischen Merkmale von Diktaturen und Demokratien auseinanderzuhalten. Nicht einmal jeder Zweite wusste die Frage, was die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme zuerst abschafften, richtig zu beantworten: Knapp ein Viertel entschied sich für die Reichsmark statt für die Grundrechte. Und gut jeder Vierte hält den Nazi-Staat sogar durch demokratische Wahlen für legitimiert.
Schroeder plädiert für eine stärkere Gewichtung der Zeitgeschichte im Unterricht. Historisches Wissen könne die Jugendlichen vor totalitären Systemen bewahren. Deshalb müssten im Unterricht auch Werte vermittelt werden, damit die Kenntnisse richtig eingeordnet werden könnten. Auch bei der deutschen Nachkriegsgeschichte gibt es große Wissenslücken, etwa beim Begriff "Deutscher Herbst": Nur 13,3 Prozent wussten, dass damit die Auseinandersetzung zwischen dem bundesrepublikanischen Staat und dem Terror der Roten Armee Fraktion gemeint ist, der 1977 seinen Höhepunkt erreichte. Gut 46 Prozent ordnen den Deutschen Herbst den letzten Wochen vor dem Fall der Mauer zu.
"Einige Schüler haben den Eindruck, dass es den Nationalsozialismus gab, dann die DDR und dann das wiedervereinigte Deutschland", sagt Schroeder. Die alte Bundesrepublik komme in den Lehrplänen dagegen zu wenig vor. Die 60er-, 70er- und 80er-Jahre würden kaum behandelt.
Nicht immer hilft die Behandlung eines Themas im Unterricht. Schüler im Westen hielten die DDR vermehrt für eine Demokratie, nachdem der real existierende Sozialismus thematisiert worden war. Westdeutsche Schüler haben aber durchgängig ein negativeres Bild von der DDR als die Jugendlichen im Osten.
Die bekannten Schwachstellen des deutschen Bildungssystems werden auch an dieser Studie wieder deutlich: Migrantenkinder wissen im Durchschnitt besonders wenig. Der hohe Anteil an Zuwanderern sei auch für das schlechte Abschneiden der westdeutschen Länder verantwortlich. Insgesamt gelte aber, dass Schüler mit in der Bundesrepublik geborenen Eltern besser abschnitten als Kinder von Eltern, die in der DDR geboren wurden.
  • Aus der FTD vom 28.06.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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