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  FTD-Serie: Die Top-Ökonomen

Es gibt kaum eine heiße wirtschaftspolitische Debatte oder kluge ökonomische Analyse, in der ihr Name nicht fällt: Joseph Stiglitz, Kenneth Rogoff und Jagdish Bhagwati bilden mit einem guten Dutzend weiterer Top-Ökonomen einen einzigartigen Think Tank. So konträr ihre Ansichten auch sein mögen: Sie schreiben für eine exklusive Serie, die die FTD in Zusammenarbeit mit der internationalen Public-Benefit-Organisation 'Project Syndicate' veröffentlicht.

Merken   Drucken   06.09.2012, 10:00 Schriftgröße: AAA

Top-Ökonomen: Joseph Stiglitz - Was auch Romney kapieren muss

Kommentar Die Reichen einer Gesellschaft dürfen sich nicht um die Finanzierung des Staates herummogeln. Sonst wird die Marktwirtschaft als System nicht überleben. von Joseph Stiglitz
 
Joseph Stiglitz ist Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft

Die Einkommensteuern von Mitt Romney haben sich im US-Wahlkampf zu einem großen Thema entwickelt. Ist dies nur ein politisches Detail oder tatsächlich wichtig? Doch, es ist wichtig - und nicht nur für Amerikaner. Ein Hauptthema der momentanen politischen Debatte in den USA ist die Rolle des Staates und die Notwendigkeit gemeinschaftlichen Handelns. Der private Sektor ist zwar für eine moderne Volkswirtschaft von entscheidender Bedeutung, reicht aber für ihren Erfolg allein nicht aus. Durch die 2008 begonnene Finanzkrise beispielsweise wurde die Notwendigkeit angemessener Regulierung deutlich.
Joseph Stiglitz   Joseph Stiglitz
Regulierung sorgt im Wettbewerb für gleiche Regeln für alle. Darüber hinaus sind moderne Volkswirtschaften auf technologische Innovation angewiesen, die durch Regierungen finanzierte Grundlagenforschung voraussetzt. Dies ist ein Beispiel für ein öffentliches Gut - etwas, von dem wir alle profitieren, was aber vom privaten Sektor allein nur ungenügend (wenn überhaupt) zur Verfügung gestellt werden kann. Konservative Politiker in den USA unterschätzen die Wichtigkeit öffentlich bereitgestellter Ausbildung, Technologie und Infrastruktur. Volkswirtschaften, deren Regierungen diese öffentlichen Güter bereitstellen, sind viel erfolgreicher als diejenigen, wo dies nicht der Fall ist.
Aber öffentliche Güter kosten Geld, und es ist wichtig, dass jeder sich angemessen an ihrer Finanzierung beteiligt. Darüber, was dies bedeutet, kann man zwar unterschiedlicher Meinung sein, aber diejenigen an der Spitze der Einkommenspyramide, die 15 Prozent ihres angegebenen Einkommens versteuern (Geld in Steueroasen wie den Kaimaninseln und anderen muss den US-Behörden nicht bekannt gegeben werden), zahlen sicher keinen angemessenen Beitrag. Ein altes Sprichwort besagt, dass ein Fisch vom Kopf her zu stinken beginnt. Wenn Präsidenten und ihre Angehörigen keine fairen Steuern zahlen, wie können wir dann erwarten, dass es alle anderen tun? Und wenn es keiner tut, wie können wir dann die öffentlichen Güter finanzieren, die wir brauchen?
Voraussetzung für das Steuersystem in Demokratien ist ein Geist von Vertrauen und Zusammenarbeit. Würde jeder so viel Zeit und Ressourcen in die Vermeidung von Steuern stecken wie die Reichen, würde das Steuersystem entweder zusammenbrechen, oder es müsste viel mehr Überwachung und Zwang geben. Beide Alternativen sind nicht akzeptabel. Eine Marktwirtschaft kann nicht funktionieren, wenn jede Vereinbarung gesetzlich durchgesetzt werden muss. Sie kann nur überleben, wenn das System allgemein als fair wahrgenommen wird. Neue Forschungen haben ergeben, dass die Ansicht, das Wirtschaftssystem sei unfair, sowohl Zusammenarbeit als auch Initiative unterminiert. Immer mehr Amerikaner glauben, ihr Wirtschaftssystem sei unfair. Diese wahrgenommene Ungerechtigkeit spiegelt sich im Steuersystem.
Der Milliardär Warren Buffett sagte, er würde nur die Steuern zahlen, die er zahlen müsse, aber an einem System, das seine Einkünfte geringer besteuert als die seiner Sekretärin, sei etwas grundlegend falsch. Damit hat er recht. Würde Romney eine ähnliche Position vertreten, könnte man ihm verzeihen. Ein reicher Politiker auf der Höhe seiner Macht, der für die höhere Besteuerung von Reichen eintritt, könnte den Lauf der Geschichte ändern. Aber Romney hat sich dagegen entschieden. Offensichtlich erkennt er nicht, dass ein System, das Spekulation geringer besteuert als harte Arbeit, die Wirtschaft verzerrt. Tatsächlich besteht ein Großteil des Geldes, das die Reichsten anhäufen, aus dem, was Ökonomen Rendite nennen. Diese entsteht nicht aus der Vergrößerung des Gesamtreichtums, sondern aus dem Bedürfnis, sich einen größeren Anteil am bestehenden Reichtum zu sichern.
An der Spitze der Einkommenspyramide finden wir immer mehr Monopolisten, die ihr Einkommen durch Produktionseinschränkung und wettbewerbsfeindliche Aktionen erwirtschaften, und Unternehmensvorstände, die Gesetzeslücken ausnutzen, um einen größeren Anteil des Unternehmensgewinns für sich zu bekommen (was weniger für die Arbeiter übrig lässt). Heute ist in fast allen Industrieländern die Gesamtnachfrage schwach, was zu hoher Arbeitslosigkeit, niedrigeren Löhnen, größerer Ungleichheit und letztlich geringerem Konsum führt - wodurch der Teufelskreis geschlossen wird. Die Verbindung zwischen Ungleichheit und wirtschaftlicher Schwäche und Instabilität wird immer stärker erkannt.
Es gibt einen weiteren Teufelskreis: Wirtschaftliche Ungleichheit führt zu politischer Ungleichheit und umgekehrt. Dies wird durch ein Steuersystem verstärkt, das es Menschen wie Romney - der betont, er hätte in den letzten zehn Jahren "mindestens 13 Prozent" Steuern zu zahlen gehabt - ermöglicht, keinen fairen Anteil beitragen zu müssen. Die daraus resultierende wirtschaftliche Ungleichheit trägt zur heutigen allgemeinen wirtschaftlichen Schwäche bei.
Vielleicht ist Romney kein Steuerhinterzieher - nur die US-Steuerbehörde könnte zu einer solchen Einschätzung kommen. Aber angesichts des US-amerikanischen Einkommensteuer-Spitzensatzes von 35 Prozent kann man sicher sagen, dass er in hohem Maße Steuern vermeidet. Und das Problem ist natürlich nicht nur Romney: Auf größerer Ebene erschwert seine Art von Steuervermeidung die Finanzierung der öffentlichen Güter, ohne die eine moderne Volkswirtschaft nicht auskommen kann. Aber wichtiger ist noch, dass eine solche Vorgehensweise den Glauben an die grundlegende Fairness des Systems unterminiert und so den Zusammenhalt der Gesellschaft schwächt.
  • Aus der FTD vom 06.09.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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Kommentare
  • 10.09.2012 08:45:13 Uhr   Sputnik1969: Nichts begriffen

    @ Lupus
    Was falsch läuft? Ganz klar, die Menschen werden zu alt und wollen auch noch vernünftig leben. Wäre doch viel schöner, wenn wir wieder den "Zehnt" einführen und gleich dazu wieder die Leibeigenen, Hexenverbrennung und wenn die Menschen entkräftet nach 35-40 Jahren irgendwo verscharrt würden würden. Dann würden wir auch wieder mit einem "zehnt" hinkommen, gell
    @ Toni-Ketzer
    Neiddebatten werden nicht von den "Sozis" initiert sondern von geldgeilen Kapitalisten. Menschen die irgendetwas mit SOZIAL in ihren bezeichnungen tragen regen Debatten um VERTEILUNGSGERECHTIGKEIT an. Solange wenige fast alles besitzen und die Mehrheit fast nichts können sich Menschen eben nicht auf "Augenhöhe" begegnen, sondern einer sitzt auf dem hohen Sockel und die anderen müssen zu ihm hinauf schauen. Nicht redliche Mitbürger werden zu Steuersündern gemacht sondern Verbrecher werden zu dem gemacht, was sie wirklich sind: Die eigentlichen SOZIALSCHMAROTZER, ein Begriff der von Menschen wie ihnen lieber für die Verlierer des Verteilungskampfes genutzt wird um Hilfeempfänger zu Parasiten zu degradieren. Nicht Sozialismus ist die schlechteste Art von Marktwirtschaft, Kapitalismus ist die übelste Pervertierung der sozialen Gemeinschaft und der Demokratie.
    @ Tim
    An Ihnen kann man sehen, was ein durch Raubtier-Kapitalismus zugrunde gerichtetet Schulsystem für Schwächen hat: Romney verdient ein mehrtausendfaches dessen, was ein normaler US-Amerikaner verdient, verbraucht zum Leben jedoch nur einen weitaus geringeren Bruchteil seines Einkommens im Verhältnis dazu, während ein normaler Bürger in der Regel 80 oder mehr Prozent seines Einkommen benötigt, um überhaupt zu überlerben. Wenn sie nicht vernünftig rechnen und nachdenken können, müssen wir uns also nicht wundern, wenn es nur Abwärts geht anstelle von Aufwärts. Ihr Arbeitgeber sollte mal überlegen, sie rauszuwerfen, da sie dringend erneut für weitere 10-12 Jahre die Schulbank drücken müssten, damit wenigstens eine geringe Chance besteht, das Menschen wie sie zur Vernunft kommen.

  • 07.09.2012 16:34:59 Uhr   H.Ewerth: Prozent Rechnung für einige wohl zu schwieri...
  • 07.09.2012 10:47:53 Uhr   Tim: Gezahlte Steuern
  • 06.09.2012 20:56:39 Uhr   DrBalthar: Romney ist ein frechner Luegner
  • 06.09.2012 14:43:23 Uhr   Lupus: Steuern
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