FTD.de » Politik » Deutschland » "Das soll's schon gewesen sein?"
Merken   Drucken   22.09.2012, 09:00 Schriftgröße: AAA

Pressestimmen zur Frauenquote: "Das soll's schon gewesen sein?"

Die deutschen Leitartikler begrüßen den Vorstoß des Bundesrats, eine gesetzliche Frauenquote in Spitzenpositionen einzuführen. Die Quote dürfe aber nicht "windelweich" sein, sondern müsse richtig ausgestaltet werden - und über die DAX-notierten Häuser hinausgehen.
"Berliner Morgenpost"
"Die Argumente pro Quote sind längst hinreichend diskutiert. Nun darf gehandelt werden. Wir werden uns in Deutschland schnell an die Frauenquote gewöhnen, wenn sie denn tatsächlich kommt, und der Alltag mit ihr wird viele Vorurteile entkräften. Die Unternehmen, die nicht mehr Frauen aufrücken lassen wollen oder können, werden ohnehin versuchen sich freizukaufen - so wie bei der Quote zur Beschäftigung Schwerbehinderter. Hier zahlen einige Arbeitgeber lieber eine Ausgleichsabgabe, anstatt den vorgeschriebenen Prozentsatz zu erfüllen."
"Egal, ob die von der Bundesratsmehrheit geforderte Frauenquote letztlich Gesetz wird oder nicht: Der Trend ist unumkehrbar, der Sinneswandel zumindest in den großen Unternehmen längst im Gange. Dafür brauchte es allerdings tatsächlich die Drohung mit der Quote und ernste Gespräche der Konzernchefs im Kanzleramt. So haben es sich die Unternehmen selbst zuzuschreiben, wenn jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht wird, das zwar viel guten Willen, aber auch ein sehr fragwürdiges Verständnis von Unternehmertum zeigt. Sollte es den Bundestag passieren, darf man auf Verfassungsklagen gespannt sein. Es ist ein Unterschied, ob man Diskriminierung im beruflichen Umfeld verbietet, was längst geschehen ist, oder ob man feste Quoten vorschreibt."
"Konfliktpotenzial ist reichlich erkennbar. So ist Familienministerin Schröder strikt gegen die Quote, Arbeitsministerin von der Leyen strikt dafür. Letztere steht damit nicht allein da. Allerdings fehlt dem Thema die politische Tragweite, um Auseinandersetzungen darüber eskalieren zu lassen und die Koalition in Schwierigkeiten zu bringen. Andererseits neigten Unions-Frauen bei anderen Fragen zuletzt durchaus zu Unberechenbarkeit und einem gewissen Rigorismus. Vermutlich werden sie es sein, die am Ende den Ausschlag geben."
"Die Politik sollte nicht versuchen, Unternehmen zu ihrem Glück zu zwingen. Eine staatlich verordnete Quote bringt nicht nur Frauen in Führungspositionen in den ärgerlichen Verdacht, ihre Karriere sei nicht nur der eigenen Leistung, sondern einer gesetzlichen Vorgabe geschuldet. Sie geht auch nicht die grundlegenden Probleme an, die die weibliche Hälfte der Bevölkerung davon abhält, im Beruf durchzustarten. Statt Arbeitgebern vorzuschreiben, wie viele Frauen sie befördern müssen, könnte sich die Politik zum Beispiel um eine flexible und qualitätsvolle Kinderbetreuung verdient machen, die es Frauen ermöglicht, ohne schlechtes Gewissen auch mal Überstunden zu machen."
"Nur etwa zehn Prozent der Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft sind mit Frauen besetzt. In der Breite dürfen sie überall mitarbeiten. Aber wenn es um die Posten ganz oben geht, fallen plötzlich die Jalousien. Notorischer Beharrungswillen oder männliche Seilschaften? Woran immer es liegt: Die wachsende Zahl frauengeführter Mittelstandsbetriebe jedenfalls hat gezeigt, dass es auch anders geht. Frauen stellen andere Frauen ein. Und sie sorgen für gute Strukturen, damit Frauen, wenn sie wollen, auch als Mütter Karriere machen können."
"Wer will, dass Frauen mehr Einfluss in den Chefetagen haben, kommt um eine Quote nicht herum. Und zwar nicht nur eine windelweiche, wie sie Bundesfamilienministerin Kristina Schröder unter dem feschen Namen "Flexi-Quote" anpreist. Solange jedes Unternehmen sich aussuchen kann, welchen Frauenanteil es wann haben will, werden die Ziele nicht sonderlich ambitioniert ausfallen. Wenn sie so um ihr positives Image in Sachen Chancengleichheit besorgt wären, hätten die Firmen schließlich längst eine Quote einführen können, wie es ja auch fast alle Parteien inzwischen getan haben."
"Es gibt wenig, was gegen die Idee einer Frauenquote spricht, die der Bundesrat parteiübergreifend in den Bundestag trägt. Eher müsste man sich über deren Ausgestaltung aufregen. Die Pläne umfassen lediglich die Aufsichts- und Verwaltungsräte großer börsennotierter Unternehmen. Und das soll's schon gewesen sein? Was ist mit dem Rest der Arbeitswelt? Einfach ausgeblendet? Die Ungerechtigkeit der gläsernen Decke herrscht überall vor, nicht nur in den wenigen Dax-notierten Häusern. Wenn sich also jemand über die Frauenquote beschweren will, sollte er hier ansetzen. Gesellschaftspolitische Verantwortung geht jeden an, nicht nur ein paar wenige."
  • dpa, 22.09.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
Jetzt bewerten
Bookmarken   Drucken   Senden   Leserbrief schreiben   Fehler melden  

Den Parameter für die jeweilige Rubrik anpassen: @videoList
  • Betreuungsgeld: Koalition der Komplexe

    Niemand kann es der FDP ernsthaft vorwerfen, dass sie sich ihre Zustimmung zum Betreuungsgeld von der Union abkaufen lassen möchte. Zu glauben, dass es in Regierungen und Parlamenten nur danach geht, ob man etwas für richtig hält oder nicht, ist - so schön es wäre - naiv. mehr

  •  
  • blättern
Tweets von FTD.de Politik-News

Weitere Tweets von FTD.de

  12.09. Wissenstest zum Euro E wie kompliziert?

Das Bundesverfassungsgericht urteilt über den ESM, in Brüssel tagt die Euro-Gruppe, Bundespräsident Gauck fordert von Kanzlerin Merkel Klartext zur Euro-Rettung. Blicken Sie noch durch? Testen Sie Ihr Euro-Wissen.

Wie hoch soll das Stammkapital des Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM sein?

Wissenstest zum Euro: E wie kompliziert?

Alle Tests

Newsletter:   Newsletter: Eilmeldungen Politik

Ob Regierungsauflösung oder Umfragehoch für die Linkspartei - erfahren Sie wichtige Politik-Nachrichten, sobald sie uns erreichen.

Beispiel   |   Datenschutz
 



DEUTSCHLAND

mehr Deutschland

EUROPA

mehr Europa

INTERNATIONAL

mehr International

KONJUNKTUR

mehr Konjunktur

© 1999 - 2012 Financial Times Deutschland
Aktuelle Nachrichten über Wirtschaft, Politik, Finanzen und Börsen

Börsen- und Finanzmarktdaten:
Bereitstellung der Kurs- und Marktinformationen erfolgt durch die Interactive Data Managed Solutions AG. Es wird keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben übernommen!

Impressum | Datenschutz | Nutzungsbasierte Online Werbung | Disclaimer | Mediadaten | E-Mail an FTD | Sitemap | Hilfe | Archiv
Mit ICRA gekennzeichnet

VW | Siemens | Apple | Gold | MBA | Business English | IQ-Test | Gehaltsrechner | Festgeld-Vergleich | Erbschaftssteuer