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Merken   Drucken   27.09.2012, 07:03 Schriftgröße: AAA

Pressestimmen zur Kirchensteuer: "Glaube und zahle"

Die Leitartikler sind sich einig: Wer Mitglied eines Vereins wie der Kirche sein will, muss zahlen. Uneinig sind sie sich bei der Frage, ob das etwas mit dem Glauben,  der Religion oder gar dem Staat zu tun haben muss.
© Bild: 2009 Nigel Treblin/ddp
Die Leitartikler sind sich einig: Wer Mitglied eines Vereins wie der Kirche sein will, muss zahlen. Uneinig sind sie sich bei der Frage, ob das etwas mit dem Glauben, der Religion oder gar dem Staat zu tun haben muss.
"Zapps Kritik am Kirchensteuersystem lief im Endeffekt auf die Stammtischforderung hinaus, das eingesammelte Geld der Bürger - hier der Gläubigen - dürfe nur für Zwecke ausgegeben werden, die dem einzelnen Steuerpflichtigen genehm sind. So etwas kann in keiner Organisation funktionieren, egal ob Staat, Unternehmen oder Konfessionsgemeinschaft. Eine völlige Zerbröselung der Verwendungszwecke wäre die Folge. Nun ist es aber gerade der Vorteil des deutschen Kirchensteuersystems, dass die Mittel gezielt für Zwecke eingesetzt werden können, von denen die ganze Gesellschaft profitiert. Diese Durchschlagskraft einer tätigen Nächstenliebe darf nicht durch private Egoismen aufs Spiel gesetzt werden."
"Das eine wäre, an das Gute im Menschen zu glauben, der für das Notwendige schon genug spenden würde. Das andere ist aber, ein vom Staat garantiertes System zu haben, mit dem gut zu rechnen ist. Wer sich über zu satte Kirchenleute ärgert, wünscht sich schon mal, diese müssten sich mehr anstrengen, damit die Gläubigen freiwillig geben, was nötig ist. Eines steht fest: Die Kirchensteuer darf nicht als gottgegeben betrachtet werden. Sie wird immer wieder angegriffen werden und weiter durch Kirchenaustritte unter ständiger Erosion leiden."
"Keine Kirchensteuer mehr zahlen wollen, aber weiterhin gläubiges Mitglied bleiben: Diese Art von Kirchenaustritt "light" geht in Deutschland nicht. Das hat gestern das Bundesverwaltungsgericht unmissverständlich klargestellt. Die Kirchen hatten dieses Urteil mit Spannung und auch mit Bangen erwartet. Ihnen dürfte nun ein Stein vom Herzen gefallen sein - hatte doch zuvor das Verwaltungsgericht Freiburg in erster Instanz anders entschieden. Möglicherweise hat ein vom Vatikan bestätigtes Dekret der Bischofskonferenz aus der vergangenen Woche die Entscheidung der Richter beeinflusst. Denn das Schreiben geht in die gleiche Richtung. Die in den vergangenen Jahren verstärkt geführte Debatte um das Verhältnis von Staat und Kirche ist damit noch lange nicht beendet."
"Wer von den Segnungen einer kirchlichen Glaubensgemeinschaft profitieren und an eben diesen teilhaben möchte, sollte sich solidarisch einbringen und seinen Anteil leisten. Das gilt heute mehr denn je. Sparen und gleichzeitig alles Verfügbare "abgreifen" - das mag in der "Geiz-ist-geil-Gesellschaft" zwar angesagt sein, unmoralisch ist es aber allemal."
"In der Sache ist das Urteil einleuchtend. Wer austritt, egal wo, kann nicht Mitglied bleiben. Wer das will, muss - so jedenfalls der Umkehrschluss - Kirchensteuer bezahlen. Das ist in Deutschland der Preis des Glaubens. Die Sicht der Richter kommt den durch sinkende Mitgliederzahlen gebeutelten Religionsgemeinschaften entgegen und entspricht dem, was allgemein üblich ist: kein Training ohne Vereinsbeitrag. In einer Zeit, in der sich religiöse Kräfte aller Schattierungen immer lauter Gehör verschaffen, gewinnt ein säkularer Staat an Bedeutung. Das zu unterstreichen, haben die Verwaltungsrichter redlich versucht. Ihre Entscheidung beschränkt sich auf die weltlichen Folgen des Austritts, macht sich jedoch im Ergebnis letztlich die Linie des Papstes zu eigen."
"Was wäre das für ein System, in dem Verwaltungsrichter sich mit der kirchlichen Lehre über die Taufe befassen - mit der Zapp allen Ernstes argumentierte? Hätte sich das Gericht darauf eingelassen, dann wäre das vielleicht ein Erfolg für Zapp gewesen und mit ihm für viele - progressive wie reaktionäre - Kirchenrebellen. Aber der Erfolg wäre zu Lasten der Religionsfreiheit gegangen, also des Rechts, Glaubensentscheidungen ohne staatlichen Einfluss zu treffen."
"Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Selbstverständlichkeit formuliert, die für jeden Dorfverein gilt: Wer seine Mitgliedschaft freiwillig kündigt, der ist kein Mitglied mehr. Warum sollte für die katholische Kirche nicht gelten, was für den Dorfverein gilt? Weil die Kirche Gläubige nicht vom Glauben ausschließen darf? Das tut sie nicht. Dem Kläger, einem Freiburger Professor, stehen die Kirchentüren genauso offen wie jedem anderen Menschen. Glauben darf er sowieso, was er will. Er hat nur, nachdem er erst austrat, dann die Kirchensteuer nicht mehr zahlte und schließlich Mitglied bleiben wollte, als sei nichts geschehen, nun kein Recht mehr auf sogenannte Amtshandlungen der Kirche."
"Der Steuereinzug - auch das gehört zur Wahrheit - macht Kirche und Klerus vergleichsweise unabhängig. Wer einzig von Spenden lebt, darf Wohltäter nicht vergrätzen. Andererseits täte manchem Geistlichen mehr Leistungs- und Kundenorientierung - in Kirchensprache: mehr Dienen - ganz gut. Die Kirchen schlagen den falschen Weg ein, wenn sie - wie ehedem Strom- oder Mobilfunkriesen - auf Knebelverträge setzen und zugleich hoffen, dass Teile der Kundschaft schlicht aus Bequemlichkeit bleiben. Von wem die Kirche Geld verlangt, den muss sie überzeugen. Ein Rechtstitel, schon gar einer des Staates, wird auf Dauer nicht reichen."
"Von "ora et labora" (bete und arbeite) zu "pay and pray" (zahle und bete)? Ist das der Weg der katholischen Kirche? Die Bischofskonferenz selbst hat diesen Eindruck erweckt, als sie in der vergangenen Woche per Dekret verfügte, dass jemand, der aus der Kirche austritt, kein Katholik mehr ist. Das hat das Bundesverwaltungsgericht gestern so bestätigt. Und dennoch zeigt der Erlass, wie hilflos die Kirche den Abgängen gegenübersteht - auch wenn es aus ihrer Sicht konsequent ist, einen "Teilaustritt" nicht zu akzeptieren. Warum sollte man jemandem die Segnungen der Kirche zuteilwerden lassen, wenn er ihr den Rücken kehrt? Andererseits ist das Signal an die Gläubigen verheerend. Mit Drohungen werden die Schäfchen nicht bei der Herde bleiben."
"Da ist ein Mann gläubiger Katholik, will aber keine Kirchensteuer zahlen. Geht nicht, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden: In Deutschland hat, wer glaubt, zu zahlen. Das ist nicht ganz korrekt. Nur, wer an den christlichen oder jüdischen Gott glaubt, hat zu zahlen. Alle anderen dürfen glauben, an wen sie wollen, beispielsweise an Allah - ohne dafür zahlen zu müssen. Dafür spenden Sie. Nun könnte man sagen: Wer die Kirchensteuer nicht zahlen will, kann austreten. Warum die Säkularisierung vorantreiben, wo uns das partnerschaftliche Miteinander von Staat und Kirche kaum Probleme bereitet? Weil das Gerechtigkeitsprinzip berührt wird. Oder aber der Staat stellt diese Dienstleistung allen zur Verfügung, die sich ums Gemeinwohl verdient machen. Auch dem örtlichen Turnverein."
  • dpa, 27.09.2012
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