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Merken   Drucken   27.09.2012, 14:20 Schriftgröße: AAA

Gorleben-Ausschuss: Merkels Ausflug in die Vergangenheit

Das Land hat den Atomstreit beigelegt. Nur in einem Ausschuss in Berlin wird noch gestritten - sogar mit der Kanzlerin. Heute holt das Thema Gorleben Angela Merkel ein. Was der Untersuchungsausschuss bezwecken soll.
© Bild: 2012 DPA/Stefan Hesse
Das Land hat den Atomstreit beigelegt. Nur in einem Ausschuss in Berlin wird noch gestritten - sogar mit der Kanzlerin. Heute holt das Thema Gorleben Angela Merkel ein. Was der Untersuchungsausschuss bezwecken soll. von Nikolai Fichtner  Berlin
Als Arbeitstag konnte Angela Merkel diesen Donnerstag vergessen. Um 10 Uhr stand sie dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zu Gorleben Rede und Antwort. Nach dreistündiger Sitzung bot die Ausschussvorsitzende Maria Flachsbarth der Kanzlerin um 14 Uhr eine halbe Stunde Pause an. Die wies sie lapidar zurück: "Ich brauch' das nicht." Also ging es direkt weiter.
Schließlich will Merkel ab halb sechs Ex-Kanzler Helmut Kohl feiern. Dazwischen muss sie tief in ihrem Gedächtnis kramen. Denn es sind Fragen aus einer anderen Zeit. Es geht um Vorgänge aus Merkels Zeit als Umweltministerin. Haben frühere schwarz-gelbe Regierungen den Endlagerstandort Gorleben politisch durchgedrückt, gegen wissenschaftliche Bedenken?
Bei ihrem Auftritt zeigte sich Merkel erwartungsgemäß ungerührt. Sie stritt ab, bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager auf eine Billig-Lösung gesetzt zu haben. Alle Mutmaßungen, Verdächtigungen und Unterstellungen, die Bundesregierung sei in den 1990er-Jahren nicht nach Recht und Gesetz vorgegangen, weise sie entschieden zurück. "Bis zum Ende der 13. Legislaturperiode gab es keinen belastbaren Beleg, der auf eine Nicht-Eignung Gorlebens hingewiesen hätte", sagte Merkel.
Hier ein Blick darauf, was der Gorleben-Ausschuss soll und ob er der Bundeskanzlerin gefährlich werden kann.
Im Gorleben-Ausschuss geht es nicht nur um Aufklärung, sondern immer auch um parteistrategisches Kalkül. Als die Opposition den Ausschuss Anfang 2010 einrichten ließ, arbeitete Schwarz-Gelb an der Verlängerung der Atomlaufzeiten. SPD, Grüne und Linke wollten die Regierung an den wunden Punkt der Atompolitik erinnern - das immer noch fehlende Endlager. Gorleben war ein parteipolitisches Kampfthema. Schwarz-Gelb setzte auf weitere Erkundung, Rot-Grün auf deren Ende.
Ein Jahr lang erfüllte der Ausschuss seinen parteipolitischen Zweck. Dann kam Fukushima, die Energiewende und mit ihr auch die Bereitschaft zu einem neuen Endlagerkonsens. Jetzt sind sich fast alle einig, dass man transparent vorgehen und auch Alternativen zu Gorleben prüfen muss, damit ein Endlager später auf Akzeptanz stößt. Aber der Ausschuss macht trotzdem weiter. Während Gremien wie der NSU-Ausschuss neue Akten und Skandale ans Licht fördern, wird der Gorleben-Ausschuss zur Historikerkommission mit begrenztem aktuellen Nutzen.
Beträchtlich. Mindestens 2 Mio. Euro kostet die Untersuchung, hat das Ausschusssekretariat ausgerechnet: Papier, Kopien, eigens eingestellte Mitarbeiter. Ein Juristenteam hat 6500 Akten aus Behörden und Ministerien vorsortiert, 2800 Ordner haben die Abgeordneten selbst angefasst, rund 60 Zeugen wurden befragt. Während ihre Kollegen Politik machen, müssen die Ausschussabgeordneten die Sitzungswochen mit alten Akten verbringen. Kein Wunder, dass die Ausschussarbeit zu den unbeliebtesten im Parlament gehört - gerade wenn sie wie in diesem Fall die Öffentlichkeit kaum interessiert.
Das ist parteipolitische Ansichtssache. Für Schwarz-Gelb ist der Ertrag "gleich null", wie CDU-Obmann Reinhard Grindel sagt. Alles andere hätte ihn auch überrascht, sagt Grindel. Schließlich konnten SPD und Grüne zu ihrer Regierungszeit die Akten ja längst durchflöhen.
Die Opposition dagegen sieht nun noch mehr Hinweise auf Fehlverhalten von CDU-Politikern. Am Pranger steht dabei der frühere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, der den Salzstock Gorleben 1977 wohl weniger wegen der geologischen Eignung auswählte als wegen seiner Lage im Zonenrandgebiet. Die Regierung Kohl wiederum soll 1983 Zweifel am Standort Gorleben aus einer Studie getilgt haben. Viel Neues ist bei den Zeugenbefragungen aber nicht herausgekommen. Die meisten konnten sich nicht mehr erinnern.
Bringt der Ausschuss Merkel in Bedrängnis? Ernsthaft rechnet damit nicht einmal die Opposition. Aber Merkel wird zwei Vorgänge erklären müssen. Der erste ist eine Pressemitteilung vom 28. August 1995. "Gorleben bleibt erste Wahl", erklärte die Umweltministerin damals und berief sich auf eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Doch die Studie untersuchte gar nicht die Eignung von Gorleben, sie kam ohne Vergleich zu dem Schluss, dass auch andere Salzstöcke und Granitformationen "potenziell untersuchungswürdig erscheinen". Die Grüne Sylvia Kotting-Uhl spricht darum von einer "glatten Lüge". Und Greenpeace behauptet, dass Gorleben bei einem echten Vergleich ausgeschieden wäre.
Als Zweites muss Merkel erklären, warum sie 1997 das Konzept der Gorleben-Erkundung verändert hat. Die Opposition wirft ihr vor, sie habe den Atomkonzernen eine "Billiglösung auf Kosten der Sicherheit" ermöglicht.
Für die Grünen geht es um politische Hygiene. Man dürfe den Verantwortlichen auch vergangene Verfehlungen nicht durchgehen lassen, sagt Kotting-Uhl. Die Ausschussvorsitzende Maria Flachsbarth (CDU) versucht ein versöhnliches Fazit. "Transparenz und Bürgerbeteiligung" würden heute anders gesehen als damals, sagt sie. Die Kanzlerin wiederum hat ihre Lehren aus der Geschichte längst gezogen. "Zwischen meiner Zeit als Umweltministerin und dem Energiekonsens 2011" habe eine Bewegung stattgefunden, sagte sie vergangene Woche. Dass Gorleben erste Wahl sei, wird sie heute wohl nicht mehr sagen.
  • Aus der FTD vom 28.09.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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