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Merken   Drucken   28.09.2012, 17:17 Schriftgröße: AAA

Öldämpfe im Flugzeug: Lebensgefahr fliegt immer mit

Seit Jahrzehnten treten in Passagierflugzeugen Probleme mit Öldämpfen in Kabine und Cockpit auf. Hohe Kosten verhindern bislang die Lösung - der Boeing Dreamliner zeigt, wie es geht. von Bernd Hops  Berlin, Gerhard Hegmann  München und Kai Beller  Berlin
Wenn die Triebwerke bei einem Flugzeug angelassen werden und die Lüftung pustet, merkt man es schnell. Ein paar Sekunden lang riecht es in der Kabine nach Abgasen, dann atmet der Passagier die übliche trockene - und neutrale - Flugzeugluft.
Manchmal stinkt es aber auch während des Flugs so richtig. Und das kann eine ernste Bedrohung darstellen, wie der jetzt öffentlich gewordene Fall einer Germanwings-Maschine zeigt. Beim Anflug auf Köln kurz vor Weihnachten 2010 blieb den Piloten buchstäblich die Luft weg. Nur mit starken Nerven und mit Hilfe der Sauerstoffmasken brachten sie ihr Flugzeug mit 160 Passagieren sicher zur Landung.
Germanwings kann solch eine Negativwerbung derzeit überhaupt nicht gebrauchen. Die Fluggesellschaft soll den Kern des neuen Billigablegers der Lufthansa  bilden, in der sie ihr Europageschäft jenseits der Drehkreuze Frankfurt und München zur Kostensenkung bündeln will. Nur: Ist Germanwings überhaupt zuverlässig? Entsprechend heftig wehrt sich ein Sprecher der Lufthansa-Tochter gegen den Vorwurf, das Unternehmen habe den Vorfall auf die leichte Schulter genommen. Er sei schließlich den Behörden umgehend angezeigt und auch von Germanwings selber als "gravierend" eingestuft worden. Allerdings habe der Flugzeugkapitän jederzeit "alles unter Kontrolle" gehabt.
Bei einem Airbus A 319 der Fluggesellschaft Germanwings kam es im ...   Bei einem Airbus A 319 der Fluggesellschaft Germanwings kam es im Dezember 2010 zu einem gefährlichen Zwischenfall
Außerdem meldet nahezu jeden Monat eine von Deutschland aus fliegende Linie eine Störung durch Ölgeruch in der Kabinenluft. Dies geht aus den Monatsberichten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) hervor. Die Schwere der Störung reicht von einer an der physischen Grenze handelnden Cockpit-Crew, die nach der Landung ins Krankenhaus muss, bis hin zum leichten Ölgeruch, der wieder verfliegt. So listet die BFU allein in diesem Jahr, mit Ausnahme des Februars, jeden Monat einen oder mehrere Zwischenfälle mit Ölgeruch in der Kabine oder dem Cockpit auf. Mehrmals mussten die Piloten Sauerstoffmasken aufsetzen. So kam es am 3. Juni 2012 zu einem Zwischenfall bei einem Flug von Frankfurt nach Hannover mit einem Airbus-Modell.
Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit (VC) und selber Flugkapitän, warnt seit Jahren vor den potenziellen Gefahren von Öldämpfen. "Es kann jede Fluggesellschaft treffen, die modernes Fluggerät einsetzt. Germanwings ist keine Ausnahme", sagte er der FTD. Dass Öldämpfe oder andere giftige Gase über die Lüftung in das Cockpit oder die Passagierkabine gelangen, gebe es immer wieder. Extreme Folgen wie Lähmungen seien selten. "Viele Kollegen haben sich wegen Ölgeruchs schon beschwert. Einige, die krank wurden, führen das auf häufige Vorfälle zurück. Nur ist ein Zusammenhang zwischen Krankheit und dem Öldampf in der Kabinenluft sehr schwer zu beweisen."
Mit dem Problem hat die Luftfahrt schon seit den 1960er Jahren zu kämpfen. Die Kabinenluft wird nämlich seitdem aus dem Verdichterteil des Triebwerks abgezweigt. Experten sprechen von der "Zapfluft". Eigentlich sollte dieser technische, kostengünstige Fortschritt keine Gesundheitsprobleme bereiten. Gegen verbranntes Öl zum Beispiel soll die Luft durch Dichtungen in den Triebwerken geschützt werden. Nur: die Dichtungen sind nicht immer zu 100 Prozent zuverlässig.
Auch wenn die Maschine noch am Boden ist und der Wind ungünstig weht, können Abgase eingesogen werden. Und wenn zu viel von den Dämpfen eingeatmet wird, können Übelkeit bis hin zu Lähmungen und Ohnmacht die Folgen sein. In der Branche gilt der sogenannte "Malmö Incident" als bisher schlimmster Vorfall. Im November 1999 waren bei einem Inlandflug in Schweden beide Piloten minutenlang handlungsunfähig. Nur dank der Sauerstoffmaske konnte der Co-Pilot bald wieder die Kontrolle übernehmen. Der Kapitän war sogar für etwa zehn Minuten bewegungsunfähig und konnte nicht mehr sprechen.
"Seit Mitte der 90er Jahre wird die Diskussion über das Problem international geführt. Politik und Unternehmen haben es aber lange ignoriert", sagt der Pilotenfunktionär. "Es ist für mich unbegreiflich, weshalb die europäische Zulassungsstelle EASA bisher keinen Handlungsbedarf sieht, obwohl sie auch von dem Germanwings-Vorfall seit Längerem weiß. Ganz offensichtlich ist sie in der Hand der Politik - und die scheut die Kostenlawine."
Auch an diesem Freitag ist wieder eine Initiative gegen die gefährlichen Dämpfe in der Politik gescheitert. Der Antrag der Grünen im Bundestag, gesetzlich dagegen vorzugehen, wurde mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition abgelehnt.
Pilotenvertreter Handwerg weiß allerdings: "Eine Lösung des Problems wäre nicht ganz einfach. Ein effektiver Filter steht bisher nicht zur Verfügung." Umso wichtiger wäre es, aus Vorfällen wie bei Germanwings, schnell Schlüsse zu ziehen und Empfehlungen abzugeben. Da gibt aus seiner Sicht auch die zuständige Behörde BFU kein gutes Bild ab. "Warum hat die BFU solange für die Untersuchung gebraucht? Der Fall war nicht komplett unbekannt", fragt Handwerg. Er legt nach: "Warum gibt die BFU in dem Zwischenbericht keine Handlungsempfehlungen? Und wieso gibt es noch keinen Abschlussbericht? Die noch verfügbaren Fakten liegen alle vor. Was will die BFU überhaupt noch untersuchen?"
Die BFU wich dem öffentlichen Druck am Freitag aus. Im Internet teilte die Behörde mit, dass aufgrund des Umfangs des gerade veröffentlichen Zwischenberichts zum Germanwings-Fall zunächst keine weitere Auskünfte zu dem Fall gemacht werden.
Immerhin beginnt der Branche zu dämmern, dass sie das Problem doch lösen muss. Fluggesellschaften, Flugzeughersteller und die Pilotenvereinigung sprechen mittlerweile darüber. In Deutschland leiste der junge Branchenverband der Luftverkehrswirtschaft BDL "schon gute Arbeit", meint VC-Sprecher Handwerg. "Öldämpfe haben nichts in der Kabine verloren."
Bei einem neuen Flugzeugtyp ist der Wunsch schon wahr geworden. Der "Dreamliner" des US-Konzerns Boeing holt sich die Luft über Elektrogeneratoren unterhalb des Rumpfs - weit weg von den Triebwerken.
  • FTD.de, 28.09.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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