Kardinal Carlo Maria Martini
Die Frage berührt ein grundsätzliches Thema. Es geht um das Verhältnis zwischen Kirche und Staat und um das Verständnis der Kirche von Weltlichkeit. Die Kurie, also den Verwaltungsapparat des Papstes, gibt es seit dem elften Jahrhundert. Sie verfügt über ein eigenes Rechtssystem, das sich aus den katholischen Glaubensregeln herleitet. In einem gewissen Sinn grenzt sich die Kirche ab vom Rest der Gesellschaft. Sie ist ein Sondersystem oder - laut einer Idee zu Zeiten der Gegenreformation - eine "Societas perfecta", die ihren Bestand aus sich selbst heraus garantiere, wie es der Theologe Gregor Maria Hoff in einem Kommentar ausgedrückt hat.
Skandale und Skandälchen wurden immer intern geregelt. Transparenz, Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit? Fehlanzeige. In den 60er-Jahren während des Zweiten Vatikanischen Konzils wagte die Kirche eine Öffnung. Doch seitdem geht es wieder in die andere Richtung. Benedikt XVI. ist sicherlich nicht der Richtige für "Glasnost und Perestroika", wie sie der Tübinger Theologe Hans Küng einfordert. Der deutsche Papst sieht in der Weltlichkeit eher eine Sünde als einen Segen. Er sperrt die Moderne aus, die er für relativistisch hält.
Doch ist das noch möglich in Zeiten von Facebook und Twitter, wo sich Gerüchte in Sekunden über den Globus verbreiten? Vatileaks berührt genau diesen Punkt: Weil die Kirche alles zur Privatsache erklärt, wird jedes Gerücht, jedes Schreiben zur öffentlichen Sensation. Die Deutungshoheit überlässt der Heilige Stuhl all den anderen. Er rückt nichts in den Kontext, er erklärt sich nicht.
Dass selbst der Heilige Stuhl lernfähig ist, zeigt sich überraschenderweise in Finanzfragen. Mit dem schnöden Mammon tat sich die Kirche schon immer schwer. Durch die Cluniazensische Reform im Hochmittelalter erhielt sie direkten Zugriff auf diverse Klöster und dadurch auch auf hübsche Einnahmen. Ab diesem Zeitpunkt fragte sie sich in regelmäßigen Abständen, wie sie das Geld vermehrt. Ende des 19. Jahrhunderts setzte Papst Leo XIII. die Kommission "ad pias causas" ein. Er machte so den Weg frei für Spekulationen an den Börsen in London, Paris und Berlin.