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Merken   Drucken   25.09.2012, 19:00 Schriftgröße: AAA

China: Kauf die Nuss

Die Chinesen entdecken immer absurdere Anlageobjekte. Besonders beliebt: möglichst ähnliche Walnusspaare. Manche Neureiche zahlen dafür mehrere Hunderttausend Euro. von Ruth Fend 
Wenn Herr Wang im Stau steckt und kein Geld verdient, so hat er doch stets zu tun. Die linke Hand hält das Lenkrad seines Taxis, die rechte lässt, klick-klack, zwei Walnüsse rotieren. "Sie stehen für Sonne und Mond", sagt Wang. "Und sie trainieren Körper, Geist und Muskeln und machen die Hände sensibler."
Für Wang sind die glatt gerubbelten Nüsse aber auch eine lohnende Investition. 1000 Yuan (115 Euro) hat er vor zwei Jahren gezahlt - ein Drittel seines Monatsverdiensts. Aber er glaubt: "Wenn ich noch ein Jahr weiter mit ihnen spiele, kann ich sie für 5000 verkaufen!" Denn dann wird das stete Reiben die Nüsse so glänzend rot gemacht haben wie die Digitalanzeige auf seinem Taxameter. Und je röter, desto wertvoller.
Die Schale der Chinesischen Walnuss ist rotbraun - und erhält ...   Die Schale der Chinesischen Walnuss ist rotbraun - und erhält durch langes Reiben einen feinen Glanz
Um Walnüsse ist in China in den vergangenen Jahren ein irrer Hype entstanden. Umgerechnet 244.000 Euro hat ein Käufer dieses Jahr bei einer Onlineauktion für ein altes Paar gezahlt. "Das war bisher Rekord", sagt Chi Rui, der Betreiber der Handelswebsite. Dass der 28-Jährige schon ein kleines Vermögen mit Walnüssen gemacht hat, verdankt er seiner Großmutter und einem Nebenjob als Student. Wie viele ältere Pekinger spielte auch Chis Oma mit einem Paar Nüsse - bis sie ihr zerbrachen. Als der Enkel ihr ein neues besorgen sollte, behielt er es selbst. "Es war der Beginn einer Liebesgeschichte", sagt Chi. Anstatt E-Commerce-Seiten ins Chinesische zu übersetzen beschloss er, seine eigene Website aufzumachen, nur für Nüsse. Ein Jahr später verdiente der Student knapp 3700 Euro im Monat - das Zehnfache eines Durchschnittslohns. Und das war noch vor 2007. Bevor der Boom begann und die Preise durch die Decke gingen.
Die Tradition reicht 600 Jahre zurück, bis in die Ming-Dynastie. Schon damals waren sie Statussymbol unter den Mandarinen, wie das Züchten von Ziervögeln oder Teetrinken - zeigt all dies doch, dass man sich Müßiggang leisten kann. Das ideale Nusspaar ähnelt dabei eineiigen Zwillingen, die Linien der Schale sind nahezu identisch. "Für einheimische Pekinger ist es ein kulturelles Symbol", sagt Chi. "Die Nüsse haben nostalgischen Wert, sind aber auch ein sehr persönliches Produkt, wie ein Haustier oder die eigene Zahnbürste. Du berührst sie jeden Tag, und je mehr du sie benutzt, desto schöner werden sie."
Während Maos Kulturrevolution wurde die bourgeoise Sitte unterdrückt, im Kapitalismus aber erlebt sie ihre Renaissance. Neureiche Chinesen wissen nicht, wohin mit ihrem Geld. Banken bieten negative Zinssätze, die chinesische Börse gleicht einem Kasino - also stecken Anleger ihr Geld in echte Werte. "Von Pu-Erh-Tee bis Jade kaufen reiche Chinesen alles, was sie können. Deshalb schießen die Preise für wertvolle Sammelgegenstände in die Höhe", sagt der Ökonom Michael Pettis.
Dem jungen Chi bereitet der Hype schon Sorge: Um die Nüsse habe sich eine Blase gebildet. Als regelmäßiger Gast einer Sendung zu Kunstinvestitionen im Staatssender CCTV warnte er die Zuschauer vor deren finanziellen Risiken - bis die Regierung ihn aufforderte, den Kulturbetrieb nicht herunterzureden. "Der Partei macht es Sorgen, dass die Leute über soziale Konflikte und Zusammenstöße reden. Sie fördern Bereiche wie die Kulturindustrie, um das Interesse auf andere Themen zu lenken. Da sind Walnüsse harmlos."
Wenn Chi durch die Hutongs, Pekings alte Wohngebiete, zieht, sieht er den Erfolg der Nusspredigten: Wo man früher auf Plastikschemeln in den Gassen gehockt und über Politik und Skandale debattiert habe, vergleiche man heute seine Nüsse. "Ich fühle mich daran schuldig", sagt Chi.
Die politische Kampagne verliert jedoch an Schwung. Für den Onlinehändler geht es den Rekordnüssen zum Trotz seit Jahresbeginn bergab: "Ich mache derzeit jeden Tag 10.000 Yuan (2300 Euro) Verlust", sagt Chi. Von den einst 42 Mitarbeitern seines Unternehmens mit 37 Mio. Euro Umsatz hat er dieses Jahr schon 16 entlassen. Einerseits lädt die schwächelnde Wirtschaft weniger zum Spekulieren ein, andererseits hat der Nussboom das Angebot in die Höhe schießen lassen: Bis 2009 waren praktisch nur alte Nüsse von einer besonderen Baumsorte aus Nordchina auf dem Markt. Dann begannen Bauern rund um Peking, die Sorte mit herkömmlichen Walnussbäumen zu kreuzen - und stellen nun jährlich neue Spielnüsse in Massen her.
Der Handel mit Massenware macht Chi keinen Spaß mehr. Er hofft, dass die Blase möglich bald platzt. "Dann kann ich wieder von vorn anfangen."
  • Aus der FTD vom 26.09.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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