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Merken   Drucken   23.09.2012, 17:30 Schriftgröße: AAA

Kriminalfall Jakob von Metzler: Schwierigster Fall

Vom Entführungsdrama zum Polizeiskandal: Vor zehn Jahren erschütterte der Mord an Jakob von Metzler das Land. Nun beschreibt ein Fernsehfilm das moralische Dilemma der Ermittler.
© Bild: 2012 ZDF
Vom Entführungsdrama zum Polizeiskandal: Vor zehn Jahren erschütterte der Mord an Jakob von Metzler das Land. Nun beschreibt ein Fernsehfilm das moralische Dilemma der Ermittler. von Klaudia Wick, Berlin
Der Junge ist seit zehn Jahren tot, sein Mörder seit neun Jahren verurteilt. Doch der Fall ist in vielen Köpfen nicht abgeschlossen. Denn auf der Suche nach dem entführten Bankierssohn Jakob von Metzler überschritt die Polizei 2002 eine Grenze, die Empörung schlug hoch, schließlich befasste sich sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Um einen Hinweis zu bekommen, ließ Frankfurts damaliger Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner dem Entführer "unmittelbaren Zwang" androhen.
Was genau Hauptkommissar Ortwin Ennigkeit dem Jurastudenten Magnus Gäfgen im Vieraugenverhör sagte, ist bis heute unklar. Es wird in der filmischen Rekonstruktion "Der Fall Jakob von Metzler", die am 24.09.12 im ZDF läuft, deshalb auch nicht gezeigt. "Wir wollten nicht polemisch sein", sagt Drehbuchautor Jochen Bitzer. Jedenfalls gab der Entführer anschließend das Versteck des Kindes preis, nachdem er zuvor vier Tage geschwiegen hatte. Wie sich erwies, kam jede Hilfe zu spät: Gäfgen hatte den Jungen bereits kurz nach dem Kidnapping getötet. Bis heute wird der Fall Metzler als Fall Daschner unter Juristen kontrovers diskutiert. Was die einen als illegitime Folter bezeichnen, erscheint anderen als berechtigte Nothilfe.
Bereits 2006 begannen beim ZDF die Überlegungen, mit einem Dokumentarspiel den Ereignissen noch einmal emotional wie faktentreu nachzuspüren. In Kooperation mit Daschner und der Familie von Metzler, aber ohne Gäfgen hinzuziehen, wurde ein Konzept entwickelt, das im vergangenen Jahr unter großer Geheimhaltung mit Robert Atzorn als Polizeivizepräsidenten realisiert wurde. Das Drehbuch von Bitzer ("Der Mann aus der Pfalz"), das sich nur auf belegbare Fakten stützt, ist fein austariert wie eine Goldwaage: Auf jeder Schale hat Bitzer die moralischen Fragen den handelnden Figuren zugeordnet. Da gibt es einen bis zur Unkenntlichkeit verhärmten Atzorn als grundkorrekter Polizeivizepräsident, der dem Vater des entführten Jungen (Hanns Zischler als Friedrich von Metzler) versprochen hat, "alles ihm in der Macht Stehende" zu tun, um das Leben des Kindes zu retten. Ihm zur Seite der zupackende Uwe Bohm als Hauptkommissar Ennigkeit, der seinen Vorgesetzten noch eben fragt, ob denn auch alles juristisch abgesichert sei, dann aber mit Wucht ins Verhör einsteigt. Und schließlich sind da noch der eitle und selbstvergessene Entführer Gäfgen (Johannes Allmayer), den man so gar nicht bemitleiden mag, sowie die tapfere Familie von Metzler, die in ihrem Bemühen, alles richtig zu machen, wiederum sehr anrührend wirkt.
Aber da sind auf der anderen Seite auch das Entsetzen in den Augen der übrigen Ermittler, als sie von Daschners Strategie erfahren, das Kopfschütteln des Polizeipsychologen, der Zwang für kein geeignetes Mittel hält, und das bohrende Nachfragen des Gerichts, vor dem Daschner und Ennigkeit sich später verantworten müssen. Die Entscheidung für den spröden Atzorn und den wuchtigen Bohm fiel nach reiflicher Überlegung: "Ich wollte eine Besetzung, die für den Zuschauer alle Möglichkeiten offenhält", sagt Regisseur Stephan Wagner.
Wagner, sonst ein Virtuose in der Erzeugung dramatischer Thrillerspannung, hat alles in den Dienst der dokumentarischen Inszenierung gestellt. Präzise, aber nie zu effektvoll lädt er die Rekonstruktion mit jenem Handlungsdruck auf, unter dem die Beteiligten seinerzeit standen. Kaum ist man als Zuschauer emotional eingefangen, entlässt einen die Inszenierung aber wieder in eine dokumentarische Distanziertheit, die in ihrer Wirkung an Brechts Verfremdungseffekt erinnert. All dies ist von Senderseite gewollt: Durchaus wolle man mit diesem Film "eine Debatte anzetteln", wie es ZDF-Redakteurin Carolin von Senden bei der Vorstellung des Films ausdrückte. Aber eben eine, in welcher der Zuschauer nicht emotional überwältigt wird, sondern als Souverän mitdiskutieren kann.
Vor allem diese artifizielle Note, die bei allem künstlerischen Gestaltungswillen doch stets über dem Film liegt, unterscheidet "Der Fall Jakob von Metzler" von den früheren rein fiktiven Bearbeitungen im "Tatort" oder in "Kommissarin Lucas". In diesem Dokumentarspiel geht es immer um beides: ums Mitleiden und um Mitdenken. Um einen unlösbaren Konflikt und die Notwendigkeit, ihn zu entscheiden. Um Anteilnahme und Urteilskraft. Um ein einzelnes totes Kind und um den Verständigungsprozess einer ganzen Gesellschaft. Und um ein Fernsehen, das nicht nur durchlitten, sondern auch wieder durchdacht werden will.
Der Fall Jakob von Metzler, ZDF, 24.09.2012, 20.15 Uhr
  • Aus der FTD vom 24.09.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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