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Merken   Drucken   28.09.2012, 21:05 Schriftgröße: AAA

Uno-Vollversammlung: Netanjahus übertriebene Drohung

Die Kriegsdrohung von Benjamin Netanjahu an den Iran ist weniger klar und eindeutig, als er es mit seiner "Roten Linie" suggeriert. Israels Regierungschef lässt zumindest durchblicken, dass ein Angriff noch in diesem Jahr unwahrscheinlich ist. von Max Borowski  Jerusalem
Die Netzgemeinde war schnell mit Hohn und Spott zur Stelle. Israelische Blogger reagierten auf die Rede ihres Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in der Generaldebatte der Uno am Donnerstag mit Karikaturen und Bildmontagen, in denen sie sich vor allem über die Comic-hafte Grafik lustig machten, die er vor der versammelten Weltgemeinschaft hochhielt. Der rechts-konservative Politiker, hatte auf einer stilisierten Bombe mit einem dicken Filzstift im wörtlichen Sinne die Rote Linie markiert, die der Iran bei seinem umstrittenen Atomprogramm nicht überschreiten dürfe.
Die kugelrunde Bombe mit brennender Zündschnur erinnere eher an einen Bugs Bunny Cartoon als an eine mögliche iranische Atomwaffe, so die Meinung im Netz. Auf Bildern in israelischen Blogs ist Netanjahu unter anderem mit verkohltem Gesicht und zu Berge stehenden Haaren zu sehen wie eine Comic-Figur nach einer Explosion im Trickfilm. Doch es ist keineswegs nur die Zeichnung des Regierungschefs, die in Israel auf Widerspruch stößt. Experten und viele Politiker zweifeln auch inhaltlich am Sinn der Roten Linie, mit der Netanjahu dem Iran mit Krieg drohte, und so gleichzeitig den Frieden retten will.
Nachdem jahrelange diplomatische Bemühungen gescheitert seien, gebe es "nur einen Weg zu verhindern, dass Iran Atombomben bekommt. Der besteht darin, eine klare Rote Linie vor Irans Atomwaffenprogramm zu ziehen." Beim Überschreiten dieser Linie müssten Irans Atomanlagen militärisch zerstört werden.
Mit Hilfe seiner inzwischen berühmten Bombengrafik legte Netanjahu einen Angriff auf den Iran für den Zeitpunkt fest, an dem das Land die Menge Uran, die es für eine Atombombe benötige, auf eine mittlere Stufe angereichert haben werde. Denn danach, so Netanjahu, sei es nur noch eine kleiner Schritt, das Uran zu waffenfähigem Material hoch anzureichern, und zu spät, um den Bau einer Atombombe zu verhindern. Gleichzeitig erklärte Netanjahu, dass der Iran mit seinem derzeitigen Programm zur Urananreicherung diese Rote Linie wohl "im nächsten Frühjahr, spätestens im nächsten Sommer" überschreiten wird.
Die Drohung gegen den Iran, von dem Israel laut seinem Premierminister "existenziell" bedroht sei, ist damit konkreter als je zuvor. "Wenn man Netanjahus Erklärung ernst nimmt, wird Israel innerhalb von Monaten allein angreifen, wenn der Iran sich nicht abschrecken lässt und die USA nicht angreifen", kommentierte etwa die israelische Tageszeitung "Jediot Achronot".
Dass es so schnell so weit kommt, ist jedoch weit weniger klar, als Netanjahu mit seiner sehr einfachen Zeichnung versuchte zu erklären. In einem Punkt enthalten seine Ausführungen sogar eine Entwarnung. Klar ist nun, dass der israelische Regierungschef keinen Grund sieht, noch in diesem Jahr oder sogar vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November den Iran anzugreifen. Diese Möglichkeit hatte er mehrfach in den vergangenen Monaten angedeutet und damit Entsetzen vor allem bei US-Präsident Barack Obama ausgelöst, dem ein solcher Krieg den Wahlkampf vermasseln könnte.
Viele Experten und auch Regierungsmitglieder in Israel teilen den von Netanjahu als unumkehrbar dargestellten Ablauf des iranischen Bombenbaus nicht. Man gehe davon aus, dass es noch keine Entscheidung der iranischen Führung gebe, tatsächlich Atomwaffen herzustellen, sagte etwa Dan Meridor, Netanjahus Vize und Minister für Atomenergie und Geheimdienste, vor wenigen Tagen gegenüber Journalisten in Jerusalem. Wenn eine solche Entscheidung in Iran falle, blieben nach Meridors Einschätzung immer noch mehrere Monate für ein militärisches Eingreifen. Denn anders als von Netanjahu dargestellt, müssten die Iran noch weitere wesentliche technische Hürden überwinden. Für rote Linien sieht Meridor deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Bedarf.
Die linksliberale Tageszeitung "Haaretz" unterstellt Netanjahu noch ein anderes Motiv für die Festlegung seiner roten Linie auf das kommende Frühjahr, außer der Abschreckung des Iran. Dann, aller Voraussicht nach, wird Wahlkampfzeit sein in Israel. Und der Regierungschef habe vor dem Hintergrund der von ihm beschworenen "existenziellen Gefahr" durch den Iran mit seiner Rede am Donnerstag nicht nur einen möglichen Angriff auf den Iran vorbereitet, "sondern auch eine Wahlkampagne, die ‚die schicksalhafteste' seit Staatsgründung genannt werden wird."
  • FTD.de, 28.09.2012
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