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Merken   Drucken   30.09.2012, 18:20 Schriftgröße: AAA

Kanzlerkandidatur: Warum Merkel Steinbrück noch überlegen ist

Peer Steinbrück gilt als der SPD-Kandidat, der Kanzlerin Angela Merkel am ehesten gefährlich werden kann. Doch ein direkter Vergleich zeigt: In mehreren Punkten liegt der Herausforderer zurück.
© Bild: 2012 DPA/Bildfunk/EPA/Wolfgang Kumm
Peer Steinbrück gilt als der SPD-Kandidat, der Kanzlerin Angela Merkel am ehesten gefährlich werden kann. Doch ein direkter Vergleich zeigt: In mehreren Punkten liegt der Herausforderer zurück. von Ulrike Sosalla  , Claudia Kade  und Thomas Steinmann  Berlin
Peer Steinbrück ist ein brillanter Rhetoriker und reißt an guten Tagen jede größere Menschenansammlung mit. Allerdings geht die Freude an seiner eigenen Wirkung dabei gern mal mit ihm durch. Dann flicht er volkswirtschaftliche Exkurse ein, die nur eine Minderheit versteht, oder er redet sich um Kopf und Kragen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist keine geborene Rednerin. Doch in den beiden Bundestagswahlkämpfen 2005 und 2009 hat die CDU-Chefin an sich gearbeitet, sodass ihre Auftritte nun rhetorisch durchaus annehmbar, stellenweise sogar beinahe mitreißend sind. Dass sie zur Einpeitscherin und Marktplatzschreierin nicht taugt, passt außer dem zu ihrem sorgsam aufgebauten Image als präsidialer Euro-Kanzlerin und verständnisvoller Landesmutter.
Steinbrücks Pech ist, dass er Merkels Schwachpunkt gar nicht voll ausnutzen kann. Denn der Sozialdemokrat, geborener Hamburger wie die Kanzlerin, punktet beim ungefilterten Wählerkontakt auch nur bedingt. Zu sehr merkt man ihm die Ungeduld mit ahnungslosen Fragestellern und belanglosen Dialogen an.
Hier hat Merkel ganz klar einen schwachen Punkt: Wo immer die Kanzlerin auf ganz normale Bürger trifft, fremdelt sie merklich. Die Merkel’schen Wahlkampfstrategen streuen solche Begegnungen daher eher sparsam ins Programm ein und setzen lieber auf Formate, die Merkels Bürgerkontakten einen festen Rahmen geben, ähnlich dem Bürgerdialog, den sie als Kanzlerin führt.
Steinbrück ist unter führenden Sozialdemokraten zwar am engsten mit der Wirtschaft verbunden. Doch genau das könnte zum Problem werden: Denn erstens beäugt die Parteilinke misstrauisch, ob der Kandidat nicht zu viel Verständnis für Konzerne, Banken und die Oberschicht zeigt. Und zweitens bringen ihm seine ausgezeichneten Wirtschaftskontakte viel schlechte Presse derzeit ein, weil er sich für Vorträge, Reden und selbst Interviews in den Jahren, in denen er einfacher Abgeordneter war, gut bezahlen ließ.
Als Kanzlerin hat Merkel die deutschen Wirtschaftslenker zwar mehrmals gegen sich aufgebracht – zuletzt mit der Energiewende –, doch insgesamt bekommt sie passable Noten. Nicht zuletzt, weil den meisten Chefs eine rot-grüne Koalition noch viel mehr Sorgen bereiten würde.
Steinbrück gibt sich gern kämpferisch - und ist selten um markige Worte verlegen. Ob er sich als Finanzminister mit der Schweiz anlegte ("Kavallerie") oder als Sozialdemokrat mit der eigenen Partei ("Heulsusen"): Seine Tiraden zielen dahin, wo es weh tut. Ob seine Angriffslust im Wahlkampf gegen die präsidiale Attitüde der Kanzlerin ankommt, muss sich zeigen. Für Steinbrück spricht, dass er wenig zu verlieren hat: Klappt es 2013 nicht mit dem Wahlsieg, kann er sich zurückziehen und es anderen überlassen, die Scherben aufzusammeln.
Der politische Langstreckenlauf ist Merkels Königsdisziplin. Allein schon die Tatsache, wie viele laute, rauflustige Politiker sie im Lauf ihrer politischen Karriere hinter sich ließ, zeigt, was Merkels Kampfkraft ausmacht: langer Atem und zäher Durchhaltewillen. Ihr kommt daher zugute, dass die SPD die Nominierung ihres Kandidaten nun doch vorgezogen hat. Denn ein Jahr bis zur Bundestagswahl ist im politischen Berlin eine sehr, sehr lange Zeit.
Mit Steinbrück hat die SPD einen Kandidaten, der als Finanzminister 2008/09 bewiesen hat, dass auch er "Krise kann" - und damit der Euro-Kanzlerin Paroli bieten will. Ob das klappt, dürfte weniger an seiner Performance liegen, sondern an der Entwicklung in den Euro-Krisenstaaten.
Wenn es hart auf hart kommt - falls etwa die Euro-Krise eskaliert -, hofft die Kanzlerin, damit zu punkten, dass viele Wähler ihr den besten Überblick in einer Krise zutrauen. Gerade im Euro-Drama kann das allerdings auch schiefgehen: Falls eine Mehrheit nämlich zu dem Schluss kommen sollte, dass Merkels Politik die Misere verschlimmert hat.
  • Aus der FTD vom 01.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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