Der Zielpunkt des Massentourismus sind die Mittelmeerküste und das unmittelbare Hinterland. Zwar ist die Wasserqualität des Mittelmeers relativ gut, aber der Schutz des Meeres, etwa bei der Vermeidung weiterer Überfischung, ist auch hier geboten. Das Mittelmeer ist, wie die meisten Ozeane und Meeresregionen der Welt, zum Brunnen und zur Rinne (oder Kloake) degradiert worden. Und das wiederholt sich auch bei der symbolischen Ausplünderung des Mythos Mittelmeer, der als Projektionsfläche für alle möglichen individuellen Ambitionen und Nostalgien dient, aber als kollektive Identität stiftendes Europa-Narrativ an Glanz verloren und ausgedient hat. Die Méditerranée ist nur noch ein Flair, eine Marke, ein App.
Die europäische Öffentlichkeit, darunter die professionelle Außen- und Europapolitik, Denkfabriken und Beratungseinrichtungen, auch die meisten Unternehmen, Universitäten und Interessenverbände, haben solche Perspektiven bisher weitgehend ignoriert und entwickeln kaum Szenarien jenseits von Grexit, der Ausstiegsoption für Griechenland oder für die anderen "Pigs". Das Zerrbild der Mittelmeerregion als Sorgenkind, Gefahrenzone und Austrittskandidatin hat sich verfestigt. Auch der Arabische Frühling von 2011 war im Norden weder gewollt, noch wurde er tatkräftig unterstützt. Wenn daraus in
Tunesien,
Libyen und
Ägypten islamistische Regierungen hervorgegangen sind, sieht man sich in der europäischen Wagenburg, ähnlich wie im Staat Israel, in der Einschätzung des Arabischen Herbstes als Sicherheitsrisiko bestätigt. Stabilität geht immer noch vor Freiheit.
Das Krisenmanagement von Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Hollande für den Süden inszeniert die Scheinalternative Totsparen oder Kaputtwachsen. Die Schuldenbremse allein stranguliert jede Initiative, die Wachstumspakete lassen jede sozialökologische Perspektive auf Nachhaltigkeit vermissen. Die oben exemplarisch genannten Bereiche Energieunion, fairer Handel, sanfter Tourismus und interkulturelle Lerngemeinschaft (weitere sind denkbar) können sich dagegen zu einem alternativen Entwicklungspfad vereinen, der dem Norden ebenfalls gut anstünde.
Vitale PeripherienEin solcher "Herkules-Plan" muss einhergehen mit der Verfassungsentwicklung der gesamten EU. Nicht nur die "Problemländer" verlieren an nationaler Souveränität, auch Deutschland wird künftig ein Land des vereinten Europa sein, wie jetzt das Saarland, Nordrhein-Westfalen und der Freistaat Bayern Länder der Bundesrepublik sind. Deutschland kann auch nicht mehr, im Bunde mit Frankreich oder nicht, der Hegemon sein.
Solche Erwägungen sind nicht nur in Paris und Berlin (oder analog in London und Warschau) schwer auszuhalten, würde man nur die Nationalstaaten und die an sie gebundene Volkssouveränität relativieren und nicht gleichzeitig für eine Struktur sorgen, die ihnen in einem subsidiär und föderal aufgelockerten Bundesstaat neuen Typs Raum gibt. Zu einem vereinten Europa gehören starke Kerne ebenso wie vitale Peripherien, verbunden durch subregionale föderale Zusammenschlüsse.
Keime solcher Zusammenschlüsse sind die informelle Ostseeunion mit den baltischen und skandinavischen Staaten,
Polen und
Deutschland, oder die Alpen-Adria-Union (mit Österreich, Italien, Slowenien), auch die Balkanunion und die privilegierte Partnerschaft der EU mit
Russland und der
Türkei.