Die Debatten im EZB-Rat bleiben 30 Jahre lang geheim. Zwar rätseln Ökonomen, was dort besprochen wird. Doch vielen wird beim Gedanken an öffentliche Protokolle mulmig.
von Reinhard HönighausFrankfurt
Wenn der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) an diesem Donnerstag im slowenischen Brdo zusammentrifft, dann wird jemand Protokoll führen, wie jedes Mal. Öffentlich wird die Niederschrift aber erst in 30 Jahren: Dann interessiert nur noch Historiker, wie EZB-Präsident Mario Draghi den unbegrenzten Kauf von Anleihen der Krisenstaaten gerechtfertigt und was Bundesbankpräsident Jens Weidmann dagegen vorgebracht hat. Die Protokolle sind geheim, weil die EZB mit einer Stimme sprechen soll.
Welche Zinsänderung erwarten Sie für ...
Viele Investoren wüssten dagegen gern rasch, welche Debatten laufen. Neuerdings ist auch Draghi offen für den Vorschlag von Weidmann und dem Finnen Erkki Liikanen, die Protokolle zu publizieren. Für einzelne Räte ist es ohnehin nicht mehr tabu, abweichende Meinungen kundzutun. Angesichts der Angst vieler Bürger vor Inflation hat auch Draghi ein Interesse an einer öffentlich geführten Debatte.
Dennoch wird vielen EZB-Beobachtern und Chefvolkswirten der Banken beim Gedanken an öffentliche Protokolle mulmig. Eine knappe Mehrheit von 22 Ökonomen, die auf eine entsprechende Zusatzfrage in der monatlichen FTD-Zinsumfrage geantwortet haben, ist dagegen.
Fünf Banken mit den bislang genauesten Prognosen
"Die EZB steht sowieso schon in der Gefahr, zu stark politisiert zu werden", sagt Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. "Die Veröffentlichung der Protokolle würde die Fragmentierung verstärken, weil die Konflikte noch mehr nach außen getragen würden. Das würde die Märkte verwirren und überfordern. Die Diskussion im EZB-Rat würde leiden, weil Gespräche auf andere Kreise verlagert werden."
Eine Veröffentlichung würde mehr schaden als nützen, glaubt auch Anna Grimaldi von Intesa Sanpaolo. "Nicht ohne Grund wurde eine Veröffentlichung verworfen, gerade um einzelne Räte vor politischem Druck aus der Heimat abzuschirmen", sagt Christian Lips von der Nord/LB. Es gebe ohnehin zu viel Kakofonie in der Euro-Zone, so Rabobank-Ökonom Elwin de Groot. Draghi habe in den Pressekonferenzen genug Gelegenheit, die Beschlüsse des EZB-Rates zu begründen.
Bruttoinlandsprodukt
Es sind überwiegend angelsächsische Geldhäuser, die weniger Bedenken haben. Die Bank of England und die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) veröffentlichen ihre Protokolle drei Wochen nach der Sitzung, wenn auch ohne namentliche Kennzeichnung der Wortbeiträge. Kontroverse Ansichten werden so aber öffentlich.
"Das monatliche Statement, das Draghi verliest, ist ein Witz, bietet kaum Analyse und blendet abweichende Meinungen aus", sagt Invesco-Chefökonom John Greenwood. "Wähler, Investoren und Geschäftsleute sind doch keine Kinder. Ihnen wäre mehr gedient, wenn die EZB die verschiedenen Argumente der Ratsmitglieder erläutert." Auch Dirk Schumacher von Goldman Sachs findet: "Das würde es leichter machen, der Diskussion zu folgen und zu beurteilen, was die EZB erreichen will."
Verbraucherpreise
Die meisten glauben, dass die EZB in Brdo über Details und Bedingungen der Staatsanleihekäufe diskutieren wird. Denn viele halten Draghis Drohung, Käufe zu stoppen, sobald ein Staat die Reformauflagen des Rettungsschirms ESM bricht, für wenig glaubwürdig. "Das wäre schwer durchzusetzen, weil er die Gefahr erhöhen würde, dass ein Land den Euro am Ende verlassen muss. Das ist ein Widerspruch zu Draghis Aussage, der Euro sei unumkehrbar", sagt Stefan Schneider von der Deutschen Bank.
Ulrich Kater von der Dekabank kann sich aber vorstellen, dass die EZB einmal begonnene Käufe von Anleihen eines unkooperativen Krisenlandes bremst und die Zinssätze wieder steigen lässt. Diese Sanktion wäre "absolut glaubwürdig und bis zu einem gewissen Grad auch effektiv."
Mit einer Zinssenkung am Donnerstag rechnen nur sieben von 29 Befragten. Die meisten glauben, dass die EZB erst die Wirkung der angekündigten Anleihekäufe testen will. Zudem ist die Inflationsrate in der Euro-Zone im September leicht von 2,6 auf 2,7 Prozent gestiegen, was den Handlungsspielraum der EZB einschränkt.
Eine klare Mehrheit rechnet damit, dass der Leitzins bis Dezember auf 0,5 Prozent sinkt. "Ein weiteres Zinssignal wird wohl notwendig werden, weil die Dynamik des Euro-Raums zu wünschen übrig lässt", sagt Kater. "Der Zinsschritt sollte nicht mit den Diskussionen rund um die Anleiheprogramme vermengt werden, sodass er wahrscheinlich erst gegen Ende des Jahres umgesetzt werden wird."
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