Zusammenstöße zwischen Protestierenden und der Polizei in Madrid
Fernando ist einer, der Krawalle anheizt, ein Antisistema, der gegen Politik und Polizei kämpft. Der Treffpunkt des losen Zusammenschlusses der Antisistemas ist die verrauchte, dunkle Kneipe "Parrondo", direkt an der Puerta del Sol, dem Platz der Massenproteste. Linke Flugblätter mit Aufrufen zu Demos liegen auf der Theke, es gibt Tapas zum Bier und die selbst gedruckte Zeitung "Nosotros", "Wir". Da ist zu lesen, was viele hier denken: "Immer mehr Leute von uns sind in einer schwierigen Lebenssituation ohne Zukunft. Die Politik unternimmt nichts dagegen, sondern verteidigt nur die herrschende Klasse. Wir haben es satt. Das muss sich ändern." Wie sich das ändern soll, steht da nicht.
Fernando sagt, wegen der Sparprogramme würden noch mehr junge Spanier ihren Job und ihre Zukunft verlieren, er sei gegen die Rettungsmilliarden für Banken, und überhaupt gegen das etablierte System. Zu den Protesten ziehen sie in kleinen Grüppchen von zwei, drei Leuten. "Wir sind nicht organisiert", sagt er. Per SMS schicken sie sich Nachrichten, manchmal filmen sie, damit andere Antisistemas per Livestream wissen, wo gerade etwas los ist. Gerät einer von ihnen in die Mangel der Polizei, kommen die anderen, mit Steinen bewaffnet.
Im ganzen Land gründen sich gerade kleine Gruppen linker Rebellen. Sie nennen sich "Auf die Barrikaden" oder "Gefangene auf die Straße". Und mit jedem Monat, in dem die Krise die Arbeitslosenzahlen auf neue Rekordhöhen steigen lässt, wächst die Zahl jener, die sich ihnen anschließen.
Es sind vor allem junge Spanier. Jahrzehntelang hat sich die Politik nicht um sie gekümmert. Hat zugelassen, dass sich die Zweiteilung des Arbeitsmarktes zementiert hat: hier die alten, festen Arbeitsplätze, durch mächtige Gewerkschaften geschützt - und da die Zeitarbeit, in die die Jugendlichen gedrängt wurden. Sie waren die ersten, die in der Krise ihre Jobs verloren. 52,9 Prozent der unter 25-Jährigen sind arbeitslos, innerhalb der EU ist es nur in Griechenland noch schlimmer. Viele fühlen sich heute als Verlierer der Krisenpolitik: Die beschließt Kürzungen bei den Sozialleistungen, während die Banken gestützt werden. Familien werden per Hausräumung auf die Straße gesetzt, während Tausende Häuser und Wohnungen leer stehen.
Die Ideen der Systemfeinde kommen aus Barcelona. Dort wohnt auch Enric Duran, einer der Vordenker. Die Antisistemas nennen ihn den Robin Hood Spaniens. Er hat gegen das System rebelliert, als andere noch daran glaubten.
Er sitzt auf einem Klappstuhl in einem ehemaligen Wellnesscenter im Stadtzentrum, hinter ihm eine weiße Tafel. "Disobedienca economica" steht da zum Beispiel drauf, wirtschaftlicher Ungehorsam, das ist seine Expertise. Inmitten von Spaniens Immobilienboom, als Banken ohne viele Fragen Kredite vergaben, zog er von einer Bank zur anderen und nahm selbst Kredite auf. Nach zwei Monaten hatte er eine halbe Million Euro zusammen, ohne Sicherheiten. "Ich bin sicher nicht der einzige, der das gemacht hat", sagt er. "Aber ich bin der einzige, der es publik gemacht hat." Duran wollte mit der Aktion den Irrwitz des Systems offenlegen. Das hat ihn zum Star der Szene gemacht, zum Theoretiker und Ideologen der Antisistemas.
Er predigt auch Anderen wirtschaftlichen Ungehorsam. Sie sollen keine Steuern mehr zahlen, ihm ihr Geld geben. Er will eine alternative Kommune mitten in Barcelona schaffen, in eben diesem Wellness-Center: Für 1,2 Mio. Euro will er es den Banken abkaufen. Eine Schule darin gründen, Selbstversorgung vom Biobauernhof, Gesundheitszentrum, Basisdemokratie. Eine Welt nach eigenen Regeln.