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Merken   Drucken   06.10.2012, 09:17 Schriftgröße: AAA

Venezuela: Von Chávez ins Chaos

Kommentar Investoren hoffen auf eine Wahlniederlage von Hugo Chávez in Venezuela. Doch sein Einfluss ist mächtig: Wenn er verliert, drohen dem Land Gewalt und Stillstand. von Friederike Böge 
Der venezolanische Präsident Hugo Chávez   Der venezolanische Präsident Hugo Chávez
Auf einmal erscheint das Unmögliche möglich. Ein Ende der 14-jährigen Ära Chávez, des selbst ernannten US-Feinds, der Unternehmen gern im Vorbeigehen verstaatlicht. In den vergangenen Wochen hat sein Herausforderer Henrique Capriles Radonski in den Umfragen immer weiter aufgeholt. Zwar sind die Zahlen kaum verlässlich und liegen je nach Marktforscher weit auseinander. Zudem gehen die meisten Experten weiter davon aus, dass der Amtsinhaber es noch einmal schafft. Aber einen Sieg der unternehmerfreundlichen Opposition will plötzlich niemand mehr ausschließen.
Oppositionsführer Henrique Capriles Radonski   Oppositionsführer Henrique Capriles Radonski
Manche Investoren haben den Sekt schon kaltgestellt. "Venezuela könnte das Investment mit der besten Performance in den aufstrebenden Märkten über die nächsten zwölf Monate sein", frohlockt Barclays-Analyst Alejandro Grisanti. Denn Capriles hat eine Steigerung der Ölförderung, einen Boom des Privatsektors und ein Ende des intransparenten Finanzgebarens versprochen, das Venezuelas Anleihen den Ramschstatus eingebracht hat. Chávez' Abgang würde zudem die Gewichte im rohstoffreichen Südamerika zugunsten moderater Kräfte verschieben.
Doch ein Sieg des Herausforderers könnte das Land ins Chaos stürzen. Kaum vorstellbar, dass der alte Comandante eine Niederlage einfach hinnehmen würde. Vorsorglich hat er seine Kettenhunde, die Colectivos, schon bewaffnen lassen und seine "schnellen Mobilisierungsnetzwerke" angewiesen, Proteste der Opposition nach der Wahl im Keim zu ersticken, wie die spanische Zeitung "ABC" berichtet. Schon vor einem Jahr hat Chávez' Bruder dessen Anhänger aufgefordert, die bolivarische Revolution zur Not mit Waffengewalt zu verteidigen. Der Staatschef selbst hat zuletzt von "Bürgerkrieg" schwadroniert. Selbst im fernen Washington bereitet man sich auf den Ernstfall vor: Der ehemalige US-Botschafter in Venezuela, Patrick Duddy, warnt, Chávez könne sich trotz Niederlage zum Sieger erklären und das Kriegsrecht ausrufen, um Proteste niederzuschlagen. Eine solche Krise könne die Beziehungen zwischen den USA und Südamerika schwer belasten, warnt Duddy, wenn sich Länder wie Brasilien und Argentinien nicht klar gegen einen an der Macht klebenden Sozialisten positionierten.
Entscheidend wird sein, wie das Militär sich verhält. Die obersten Ränge hat Chávez mit loyalen Freunden besetzt. Einige von ihnen stehen auf US-Fahndungslisten wegen vermeintlicher Drogengeschäfte und müssten im Falle von Capriles' Sieg ihre Auslieferung fürchten. Sie haben viel zu verlieren. Allerdings: Bei einem Putschversuch könnten sie sich der Unterstützung der mittleren Ränge nicht sicher sein. Dort regt sich Unmut über die Politisierung des Militärs und die Macht kubanischer Generäle an der Spitze der Armee.
Doch auch ohne einen einzigen Schuss könnte Chávez seinen Gegner in die Knie zwingen. Im staatlichen Ölkonzern PDVSA, der 95 Prozent der Exporte beisteuert, hat Chávez 80 Prozent der Stellen mit eigenen Anhängern besetzt. Die Zahl der Mitarbeiter ist innerhalb von zehn Jahren von 40.000 auf 100.000 angeschwollen, von denen viele bei einem Sieg Capriles' um ihren Job fürchten müssten. Einen Produktionsboykott, wie es ihn in den Jahren 2002 und 2003 - damals gegen Chávez - gegeben hat, könnte die neue Regierung nicht lange überstehen. Für die Weltmärkte wäre ein Ausfall des viertgrößten Öllieferanten der USA eine schlechte Nachricht.
Auch alle anderen Institutionen des Landes, die Gerichte, das Parlament, die Wahlbehörde, die Medien, die Staatsbetriebe, die Polizei hat Chávez in den vergangenen Jahren unterwandert und systematisch mit eigenen Anhängern bestückt. Der Reformer Capriles könnte sich leicht einer Totalblockade gegenübersehen.
Freilich: Auch ein Sieg des Amtsinhabers verheißt keine dauerhafte Stabilität. Chávez ist krebskrank und hat die Art seines Leidens zum Staatsgeheimnis erklärt. Anders als sein kubanisches Vorbild Fidel Castro hat es der Venezolaner versäumt, einen Nachfolger aufzubauen. Das gesamte System ist auf ihn, Hugo Chávez, ausgerichtet - und könnte implodieren, wenn er krankheitsbedingt ausfällt.
Chávez könnte zudem versucht sein, sich mit einer letzten großen Verstaatlichungswelle unsterblich zu machen. Diesmal könnte es den Bankensektor treffen. Egal also, wie die Venezolaner am 7. Oktober wählen: Sektkorken werden so schnell nicht knallen.
  • Aus der FTD vom 06.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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Kommentare
  • 06.10.2012 14:17:47 Uhr   sergej: UDSSR 2.0

    @bondy

    Klar!Zieh doch dorthin wenn es dir so gut gefällt.In Kuba war das Gesundheitssystem auch ganz toll-sogar so toll das sich Menschen extra mit AIDS angesteckt haben weil sie dort was zu Essen bekamen.Bei Chavez verrotten Hunderte Tonnen Lebensmittel in Lagern,Enführungen und Morde sind seit Chavez stark angestiegen,seine Parteisoldaten laufen schon lange mit Waffen rum,nur wer auf Parteilinie ist bekommt nen guten Job,80% der Juden haben seit Chavez das LAnd verlassen.

  • 06.10.2012 10:36:34 Uhr   F.Bondy: Chávez
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