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Merken   Drucken   14.10.2012, 16:46 Schriftgröße: AAA

Krise: Japans Angestellte auf Zwangsdiät

Auch in Japan ist die Krise angekommen. Für die konsumverliebten japanischen Angestellten heißt das: Ihre Frauen teilen ihnen immer weniger Taschengeld für ihre kleinen Freuden zu. Das zeigt sich auch in der Mittagspause - denn da heißt es jetzt: Stehimbiss statt Sternerestaurant.
© Bild: 2012 Bloomberg/Toshiyuki Aizawa
Auch in Japan ist die Krise angekommen. Für die konsumverliebten japanischen Angestellten heißt das: Ihre Frauen teilen ihnen immer weniger Taschengeld für ihre kleinen Freuden zu. Das zeigt sich auch in der Mittagspause - denn da heißt es jetzt: Stehimbiss statt Sternerestaurant. von Sonja Blaschke, Tokio
Da stehen sie und schlürfen. Es dauert keine fünf Minuten, bis ein japanischer "Salaryman" sein Essen inhaliert hat, die Nudelsuppe am Straßenstand. In Scharen fallen die Büroangestellten mittags über die Stehimbisse in den Geschäftsvierteln her. Druckbetankung statt Delikatesse ist das neue Motto der Anzugträger.
Dabei hat Tokio mehr Michelin-Sterne als New York und Paris zusammen. Kaum ein anderes Volk vergöttert kulinarische Genüsse wie die Japaner. Warum also der Geiz? Eine Langzeitstudie der Shinsei Bank gibt Aufschluss: Die Salarymen erhalten immer weniger Taschengeld von den Ehefrauen. Denn so ist das in Japan üblich: Er arbeitet, sie ist Hausfrau. Er liefert sein Salär ab, sie teilt es zu. "Es hilft mir, dass meine Frau das Geld verwaltet", gesteht ein 37-jähriger Vertriebsmitarbeiter eines internationalen Küchenartikelkonzerns, der anonym bleiben möchte.
Nur noch 400 Euro Taschengeld bekommt ein Angestellter - ein Rückfall auf den Wert von vor 30 Jahren, als die Studie begann. Damals registrierten die Forscher, parallel zu steigenden Löhnen, einen Zuwachs des Taschengeldes auf über 500 Euro. 1990, auf dem Höhepunkt der japanischen Blasenwirtschaft, hatten die Herren sogar über 750 Euro in der Tasche. Anfang der 90er platzte die Blase. Zwar stiegen die Gehälter noch zehn Jahre weiter, doch die Hausfrauen begannen schnell, ihre Männer kürzer zu halten. Im neuen Jahrtausend schrumpfte das Taschengeld stärker als das Gehalt.
Zur Deflation kommt seit 2011 ein historisch hoher Yen. Und so reichen die 5 Euro, die ein Durchschnittsangestellter für das Mittagessen hat, gerade für ein paar Onigiri, Reisdreiecke aus dem Minisupermarkt, oder ein schnelles Essen in den Billigketten oder Fast-Food-Lokalen.
Ein Mittagsmenü im Restaurant oder gute Bento, also Lunchboxen, gibt es erst ab 8 Euro aufwärts. Aber für echten Genuss ist im Land der Gourmets ohnehin keine Zeit mehr: Nur noch 19,6 Minuten nimmt sich ein japanischer Angestellter für den Lunch, 1983 waren es noch 33 Minuten.
Und so öffnen ab dem Vormittag in den Bürovierteln Minivans ihre Kofferräume, Lokale stellen abgepackte Sets aus Reis, Fisch oder Fleisch, Gemüse und Suppe bereit. "Bentodanshi", Singlemänner, die ihre Lunchbox selbst zubereiten, sind nun auch keine Exoten mehr. Ihr Päuschen verbringen sie allein mit Bento und Smartphone. Nach einer Studie der Zeitung "Nikkei" sind fast 50 Prozent der 20- bis 40-Jährigen ledig und leben bei den Eltern - 1980 waren es 30 Prozent. "Immer mehr Japaner bleiben trotz zweier Jobs arm", sagt der Marketing-Berater Ryujin Nishikawa. Fast jeder Zweite sucht nach weiteren Einkünften, viele handeln per Smartphone mit Dachbodenfunden.
In ihrer Not kaufen die markenverliebten Japaner jetzt sogar Billigkleidung - vor der Lehman-Pleite im Geschäftsleben undenkbar. Sie bringen Thermoskannen mit und trinken abends in der Billigkneipe oder gleich zu Hause. Ja, man jammere verglichen mit Europa und den USA auf hohem Niveau, gibt Nishikawa zu. Trotzdem müsse man das "brutale Los" der Salarymen, die Japan stützten, im Auge behalten: Mit der für 2014 angekündigten Mehrwertsteuererhöhung werde es für viele sehr knapp.
Und wenn es knapp wird, wird es daheim ernst. Nicht jeder ist so gut dran wie der Vertriebler, der schon mal seine Frau um mehr Geld bittet. Für den Fuhrunternehmer Atsuhiko Katoh undenkbar: "Wenn es nicht langt, leihe ich mir das Geld von meiner Firma aus. Meine Frau frage ich auf keinen Fall, das gibt nur Streit."
  • Aus der FTD vom 15.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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