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Merken   Drucken   24.10.2012, 06:00 Schriftgröße: AAA

Steuerfahndung: Wenn das Finanzamt klingelt

Der Präsident des Bundesfinanzhofs warnt, dass Steuerzahler kriminalisiert werden. Flankenschutzbeamte kommen immer häufiger zum Einsatz.
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Der Präsident des Bundesfinanzhofs warnt, dass Steuerzahler kriminalisiert werden. Flankenschutzbeamte kommen immer häufiger zum Einsatz. von Elke Spanner  Hamburg
Und dann lag das Parkett doch in der richtigen Wohnung. In der, in die bald neue Mieter einziehen sollten, und nicht ein Stockwerk höher, wo der Besitzer des Hauses selbst wohnt. Die beiden Finanzbeamten verabschiedeten sich höflich, bedankten sich noch einmal für die Kooperation, und damit war der Fall für sie erledigt. Zurück ließen sie einen Hausbesitzer, der zwar irgendwie erleichtert war, dass der Überraschungsbesuch am Morgen ohne Folgen bleiben sollte. Er war aber auch ziemlich erbost. Schließlich waren die fremden Männer durch sein Schlaf- und das Wohnzimmer gestiefelt, als er gerade beim Frühstück saß, und das unangemeldet.
Auch wenn es nur um Bodenbelag ging - es sind Fälle wie dieser, die den Präsidenten des Bundesfinanzhofs (BFH), Rudolf Mellinghoff, um den Rechtsstaat fürchten lassen. Denn es war beileibe kein Einzelfall, als an jenem Morgen im vergangenen Jahr der westfälische Finanzbeamte in Begleitung eines "Flankenschutzbeamten" an dem Zweifamilienhaus klingelte und verlangte, mal eben eine Runde durch alle Räume drehen zu dürfen.
Der Präsident des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghof, fürchtet ...   Der Präsident des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghof, fürchtet eine unzulässige Kriminalisierung der Bürger
Flankenschutzbeamte kommen immer häufiger zum Hausbesuch beim Steuerzahler, sie sind sogar speziell dafür ausgebildet - und sie schalten die Steuerfahndung ein, wenn sie jemanden bei Mauscheleien ertappt haben. Dadurch aber, so Mellinghoff, verwischt die Grenze zwischen der Steuerverwaltung und Strafverfolgung immer mehr. "Es besteht die große Gefahr, dass der Steuerbürger unzulässig kriminalisiert wird", sagte er auf dem Deutschen Steuerberatertag in Hamburg. "Dem müssen wir mit großer Entschiedenheit entgegentreten."
Und zwar auf allen Ebenen. Der BFH-Präsident sieht eine Tendenz der Finanzverwaltung, zur Straftat zu erklären, was bislang nicht mehr als eine Schludrigkeit war. Ist einem Unternehmer beispielsweise früher bei der Umsatzsteuervoranmeldung ein Fehler unterlaufen, konnte er den korrigieren. Das hatte strafbefreiende Wirkung. Seit Anfang des Jahres aber leiten die Ämter sogar Fälle an die Bußgeldstelle weiter, in denen die Voranmeldung nur ein paar Tage zu spät beim Finanzamt eingegangen ist.
Der Flankenschutzbeamte wurde vor rund zehn Jahren in Nordrhein-Westfalen erfunden. Inzwischen sind die Kollegen bundesweit unterwegs. Ihre Aufgabe ist es, direkt vor Ort beim Steuerzahler Angaben zu überprüfen, die dem Finanzamt in der Steuererklärung nicht ganz koscher erscheinen. Sie prüfen, ob das angebliche Heimbüro nicht doch das Wohnzimmer der Familie ist. Oder ob für die Eigenheimzulage auch wirklich ein Neubau entstanden ist. Vor allem Vermieter haben die ungebetenen Gäste oft im Haus. Reichen sie beim Finanzamt eine Handwerkerrechnung ein, die bei der Renovierung einer vermieteten Wohnung angefallen sein soll, lässt das Amt vor Ort prüfen, ob der Hausbesitzer mit dem Geld nicht doch seine eigene Wohnung verschönert hat. Wird eine Schummelei aufgedeckt, hat der Hausbesitzer ein Strafverfahren am Hals.
Das aber ist das Problem. Mit den Hausbesuchen, sagt BFH-Präsident Mellinghoff, werden die Voraussetzungen für die Einleitung eines Strafverfahrens erst geschaffen. Dabei darf kein Staatsdiener Privaträume betreten, wenn es vorher noch keinen konkreten Betrugsverdacht gab. Die Privatsphäre der Bürger ist sogar in der Verfassung geschützt. Will ein Ermittler eine Wohnung betreten, braucht er den konkreten Hinweis auf eine Straftat - und vor allem einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Beides aber haben die Flankenschutzbeamten nicht.
Deshalb müsste ihnen eigentlich niemand Zutritt gewähren. Das muss man aber erst einmal wissen. "Die Flankenschutzbeamten nutzen den Überraschungseffekt", sagt Eva-Maria Mevenkamp, Steuerberaterin aus Münster. "Die meisten Mandanten sind so überrumpelt, dass sie die Beamten reinlassen." Gerade beim Einreichen von Handwerkerrechnungen gebe es in der Tat viel Missbrauch, sagt Peter Keune, Steuerberater bei Bühler, Coßmann & Keune in Dortmund. Rein nach Aktenlage sei das für Finanzbeamte aber kaum nachprüfbar. Da beschere gerade der Überraschungseffekt beim Hausbesuch "hervorragende Ergebnisse".
Keune verlangt, dass die Flankenschutzbeamten ihre Visite zumindest rechtzeitig vorher ankündigen. Und sie sollten sich auch als solche zu erkennen geben. Dafür plädiert auch Volker Kaiser, Präsident der Steuerberaterkammer Westfalen-Lippe. Denn je nachdem, ob er es mit einem normalen Finanzbeamten oder einem Steuerfahnder zu tun hat, hat der Bürger ganz unterschiedliche Rechte und Pflichten. An der Aufklärung seiner Steuerpflicht muss er mitwirken, im Strafverfahren darf er die Aussage verweigern. Dieser sogenannte Nemo-tenetur-Grundsatz hat sogar Verfassungsrang. Und die Verfassung gilt bekanntlich auch für Finanzbeamte.
  • Aus der FTD vom 24.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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