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Merken   Drucken   24.10.2012, 09:10 Schriftgröße: AAA

SPD-Kanzlerkandidat: Peer Steinbrück - Im Korsett

Wenn Peer Steinbrück eine Rolle rückwärts der SPD in der Rentenpolitik vertreten muss, dann verleugnet er nicht nur frühere Reformen - sondern auch sich selbst.
© Bild: 2012 AFP/JOHANNES EISELE
Kommentar Wenn Peer Steinbrück eine Rolle rückwärts der SPD in der Rentenpolitik vertreten muss, dann verleugnet er nicht nur frühere Reformen - sondern auch sich selbst. von Thomas Steinmann 
"Da können Parteitage, Gewerkschaftskongresse, Sozialverbände noch so viel räsonieren, die guten alten Zeiten beschwören, Appelle der Solidarität aussenden und Garantien der Regierung einfordern: Am Ende haben wir es mit einer unbestechlichen, politischem Zugriff entzogenen Mathematik zu tun."
Peer Steinbrück 2010 in seinem Buch "Unterm Strich"

Man kann sich die Sache leicht machen, kein Problem. Das Argument geht dann ungefähr so:
Natürlich war Peer Steinbrück einer der härtesten Verfechter jener harten Rentenbeschlüsse, zu denen sich die SPD in ihrer Regierungszeit durchgerungen hat. Natürlich hat er früher davor gewarnt, dass die demografische Entwicklung nur von Politikern ignoriert werden könne, die unter einer "Déformation professionnelle" litten. Und natürlich hat Steinbrück immer die Ansicht vertreten, dass die SPD ihre eigenen Beschlüsse nicht "verleugnen" dürfe. Aber das alles war doch in einer Zeit, als er noch nicht Kanzlerkandidat war. Und jetzt, da Steinbrück Kandidat ist, muss er eben auf seine Partei zugehen - auch in der Frage, wie es die SPD mit ihren Rentenbeschlüssen hält.
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So leicht darf man sich die Sache aber nicht machen - es sei denn, man betrachtet Rentenpolitik allein unter taktischen Gesichtspunkten.
Sicher, die Genossen würden viel lieber Wahlkampf für ihren Kandidaten machen, wenn sie allerhand versprechen könnten. Rücknahme der Rente mit 67, Verzicht auf die Absenkung des Rentenniveaus, mit der Rot-Grün auf das absehbar wachsende Missverhältnis zwischen Beitragszahlern und Transferempfänger reagiert hat, Angleichung der Ostrenten an das Westniveau. Der Wunschzettel ist lang. Aber solange der Kandidat Steinbrück heißt, kann die SPD keine einfachen Versprechen machen - es sei denn, Steinbrück ist bereit, nicht nur frühere SPD-Beschlüsse zu verleugnen, sondern auch sich selbst.
Wie kein anderer Sozialdemokrat hat der Ex-Finanzminister eine an den ökonomischen Realitäten und nicht an Parteiinteressen orientierte Sozialpolitik zum Maßstab für Glaubwürdigkeit erhoben. Über Jahre pflegte er das Image eines Politikers, der unangenehme Wahrheiten ausspricht - nicht ohne Verachtung für Kollegen, die dazu vermeintlich nicht das Rückgrat hatten. In "Unterm Strich" warnte er 2010: "Bloßes Drehen an den Beitragssätzen und Lösungen, die den Weg des geringsten Widerstands über finanzielle Bypässe wählen, werden das Sozialversicherungssystem eines Tages implodieren lassen." Genau darauf läuft es hinaus, wenn weite Teile der SPD das Rentenniveau bis 2030 auf dem heutigen Stand einfrieren wollen. Das kostet rund 30 Mrd. Euro, was auch SPD-Parteichef Sigmar Gabriel für nicht finanzierbar hält, ohne die Beitragszahler zu erdrosseln.
Für die spätestens Ende November anstehende Entscheidung in der SPD-Rentendebatte gibt es einen Präzedenzfall. Zur Erinnerung: Im Jahr 2009 beschloss die Große Koalition eilig eine Rentengarantie, weil sie wegen der Gefahr sinkender Renten infolge der Krise die Wut der 20 Millionen Ruheständler im Bundestagswahljahr fürchtete. Dass er der Manipulation der Rentenformel im Kabinett trotz Bedenken zustimmte und damit einen "Tabubruch" unterstützte, hat Steinbrück später öffentlich als seinen größten Fehler bezeichnet. Nun steht wieder ein Bundestagswahlkampf an - und wieder machen sich SPD und Union Gedanken über Wohltaten für heutige und künftige Rentnergenerationen. Wenn sich Steinbrück selbst ernst nimmt, dann muss er in dieser Frage auf die "Beinfreiheit" pochen, die er als Kandidat erwartet. Für eine SPD, die die Rolle rückwärts macht, ist er jedenfalls der falsche Kandidat.
Es wäre ein falsches Verständnis von Politik zu glauben, dass Politiker niemals ihre Meinung oder Positionen wechseln dürfen. Aber auch hier muss sich Steinbrück an seinen eigenen Worten messen lassen. 2010, als er nicht einmal von der Kanzlerkandidatur träumen konnte, schrieb er: "Politik ist nicht selten gezwungen, sich zu korrigieren. Ich halte das eher für eine Qualität als für eine Schwäche. Manche Korrekturen können allerdings in einem deutlichen Widerspruch zu früheren Stellungnahmen und Zusagen stehen. Einer solchen Situation entkommt man nicht, ohne politisch Schaden zu nehmen, auch dann nicht, wenn die Korrekturen oder Neujustierungen aus der Sache zu erklären sind." Für die Rente gilt das allemal.
  • Aus der FTD vom 24.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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Kommentare
  • 24.10.2012 14:26:21 Uhr   Strichnid: Mathematik

    "Am Ende haben wir es mit einer unbestechlichen, politischem Zugriff entzogenen Mathematik zu tun."

    Mag sein. Aber was helfen die besten Mathematikkenntnisse, wenn bereits wichtige Eingangsgrößen nicht in den Formeln enthalten sind. Im Falle der Rente ist das die Produktivitätsentwicklung, die beim neoliberalen Geschwafel der "demografischen Entwicklung" unberücksichtigt bleibt. Das heißt, um dieselben lebensnotwendigen Grundlagen für 80 Mio (und weniger werdend) Menschen bereitzustellen, müssen immer weniger Menschen tatsächlich arbeiten gehen. Und das zu einem Grade, der den demografischen Faktor mehr als ausgleicht.
    Damit ist es am Ende eben nicht eine Frage der Mathematik, sondern der Verteilung, und damit der politischen Willensbildung - also eine Frage der Durchsetzung von Parteienwillen.
    Steinbrück hat Unrecht.

  • 24.10.2012 14:14:59 Uhr   Helmut Schmidt: Inkonsequent
  • 24.10.2012 12:35:22 Uhr   A.S.: ach ja...
  • 24.10.2012 10:57:15 Uhr   Vicario: Steinbrück
  • 24.10.2012 09:52:30 Uhr   Eurokritiker: Rente & Reformen
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