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Merken   Drucken   21.10.2012, 10:00 Schriftgröße: AAA

Marketingstratege Ryan Holiday: Wie leicht sich Medien manipulieren lassen

Mit inszenierten Geschichten trickste sich Ryan Holiday bis in die "New York Times". Nun hat der Marketingstratege des Modekonzerns American Apparel ein Buch darüber geschrieben, wie anfällig vor allem Onlinemedien für Manipulationen sind.
Ist dieser Ryan Holiday echt? Je mehr man im Vorfeld über ihn liest, desto größer wird die Sorge, dem selbst ernannten Medienmanipulator auf den Leim zu gehen. Denn wer über Holiday schreibt, wird ja unweigerlich Teil seiner Vermarktungsstrategie: Genauso, wie er früher mit getricksten Storys Aufmerksamkeit für seine Kunden generierte, drängt er sich heute mit Thesen über die Verkommenheit des Journalismus in die Medien. Spätestens seit er mit dem Buch "Trust me, I'm Lying" eine viel beachtete Abrechnung mit der PR-Branche vorlegte, ist Holiday ein gefragter Mann - der zugibt, manchmal persönliche Assistenten zum Telefoninterview vorzuschicken. Merken würde das selten jemand, sagt er.
FTD Kurze Frage vorweg: Spreche ich jetzt mit dem echten Ryan Holiday?
Ryan Holiday (lacht) Ja, ich bin echt!
Entschuldigen Sie bitte die Skepsis - aber die ist bei Ihnen ja wohl angebracht. Erzählen Sie bitte mal: Wie arbeitet ein Medienmanipulator?
Nun, vor allem Onlinemedien müssen 24 Stunden am Tag Inhalte liefern. Das setzt falsche Anreize: Für Journalisten lohnt es sich eher, zu spekulieren und Texte einfach rauszuhauen - als womöglich nichts zu schreiben über eine Geschichte, in die sie Zeit investiert haben, die sich aber als haltlos erweist. Sie müssen ein Fass ohne Boden füllen. In ihrer Verzweiflung greifen sie sogar auf offensichtlich gefälschte Geschichten zurück - wenn sie gut erfunden sind. Und da komme ich ins Spiel.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich sollte mal den Film des selbst ernannten Aufreißerkönigs Tucker Max promoten, dazu habe ich eine öffentliche Kontroverse inszeniert. Es gab ganz normale Filmplakate damals, mit Tucker drauf und einer Blondine. Unser Ziel war nun eine Kampagne, bei der andere diese Werbung mutwillig zerstören. Ich bin also nachts mit meiner Freundin losgezogen und habe Sticker auf die Plakate geklebt, mit Sätzen drauf wie: "Vergewaltigung ist kein Spaß!" Ein Foto davon habe ich unter falschem Namen an ein paar örtliche Blogs geschickt.
Marketingchef bei American Apparel: Ryan Holiday   Marketingchef bei American Apparel: Ryan Holiday
Ein paar kleine Blogs schaffen aber noch keine landesweite Aufmerksamkeit.
Damit sich deine Geschichte verbreitet, musst du dir zunächst das richtige Blog auswählen - in diesem Fall den L.A.-Ableger eines landesweiten Netzwerks. Dort arbeiten Blogger, die sich wie echte Journalisten fühlen wollen. Ich wusste, die stehen auf Tipps, also habe ich ihnen diese Mail geschickt. Die Story zog dann Kreise, und am Ende saß Tucker Max in einer landesweit ausgestrahlten Talkshow.
Schön, aber das klingt noch nicht nach der "schwarzen Kunst", von der in Ihrem Buch die Rede ist...
Sehen Sie, Tucker Max ist so etwas wie der natürliche Feind aller Frauenrechtsgruppen. Ich wusste: Als Publikum für seinen Film bekommen wir die sowieso nicht. Darum haben wir beschlossen, sie für unsere Zwecke einzuspannen. Ich habe Feministinnengruppen angeschrieben und sie gegen den Film aufgehetzt. Und ich habe selbst eine Facebook-Gruppe gegründet, die den Boykott des Films fordert. Irgendwann hat sich das verselbstständigt: Tausende Studenten gingen auf die Straße, es gab Leitartikel in Zeitungen und überregionalen Fernsehsendern.
Funktionieren solche Fakeprovokationen besser als normale Werbekampagnen?
Mit das Schlimmste, was dir passieren kann, ist: Man schaltet Anzeigen, lässt Plakate kleben - und dann interessiert es keinen. Mit dieser Unsicherheit musst du immer leben. Im Web ist das alles unendlich viel einfacher. Blogger und Onlinejournalisten sind ständig und verzweifelt auf der Suche nach Inhalten. Wir haben in den USA ein System von Blogs, die eigentlich Medienunternehmen sind, mit Bloggern, deren Bezahlung sich nach dem generierten Traffic richtet. Neues wird geklickt, wer am meisten raushaut, bekommt also am meisten Geld. Auch das Schüren von extremen Emotionen bringt Klicks. Du schaffst also Erregungszustände, schaffst Empörung - dafür lieben dich die Blogger.

Alles Lüge
So jung Ryan Holiday, 25, kam als Quereinsteiger ins PR-Geschäft. Das College brach er ab, um als Rechercheur und Berater zu arbeiten. Heute ist er Marketingchef bei American Apparel.
So verdorben In seinem Buch "Trust me, I'm Lying: Confessions of a Media Manipulator" (288 S., 16,95 Euro) schildert Holiday die Mechanismen seines Jobs. Als Vorschuss für sein Manuskript soll er 500.000 Dollar kassiert haben - womöglich ist aber auch das nur eine geschickt lancierte Marketinglüge

Erregungszustände kamen auch auf, als Sie den Pornostar Sasha Grey für eine American-Apparel-Kampagne einspannten. Wie lief das ab?
Ich habe für gut 1000 Dollar Anzeigen gebucht auf zwei kleineren Blogs. Dort schaltete ich Fotos von Grey neben dem American-Apparel-Logo. Ich wusste natürlich, dass das gegen Werbestandards verstößt und dass die Bilder schnell wieder von diesen Seiten verschwinden würden. Aber ein paar Minuten online haben schon gereicht; eine Vielzahl von Blogs schrieb darüber. Meine Aktion hat Millionen Klicks eingefahren und unsere Umsätze um Zehntausende Dollar nach oben getrieben.
Aber Journalisten, Blogger oder Verleger kapieren doch, dass das alles inszeniert ist. Nicht?
Es ist ein total verkommenes System. Die meisten Blogger wussten, dass ich manipuliere. Ich habe Journalisten kennengelernt, die gar nicht so genau wissen wollten, was ich tue, weil ihnen das ihre Story kaputt gemacht hätte.
Die US-Schauspielerin und Ex-Pornostar Sasha Grey   Die US-Schauspielerin und Ex-Pornostar Sasha Grey
Sie scheinen sich auf Blogger und Onlinemedien eingeschossen zu haben. Arbeiten klassische Zeitungen und Magazine denn sauberer?
Es ist der Vertriebsweg, der über die Qualität der Inhalte bestimmt. Über weite Teile des vergangenen Jahrhunderts dominierte das Abomodell. Verleger mussten vertrauenswürdige Informationen liefern, um ihre Abonnenten bei der Stange zu halten. Das geht online gerade verloren. Klicks und Traffic generieren dort die Einnahmen, dabei ist es egal, wie lange jemand auf einer Seite bleibt und wie genau er sich mit einem Text beschäftigt. In diesem Wettbewerb gewinnt der Lauteste und Aufregendste, nicht der, der am korrektesten arbeitet.
Trotzdem griffen auch ehrwürdige Printtitel wie die "New York Times" Ihre Storys auf.
Es gibt da einen Unterschied zwischen der gedruckten Ausgabe und Online. Im Netz haben auch renommierte Medien ein ganzes Umfeld von Seiten und Blogs, die sich zwar mit der Marke schmücken, für die die strengen Standards des Mutterhauses aber nicht gelten. Hier ist ein Einfallstor für Manipulatoren wie mich.
In Ihrem Buch geht es eher um Kunden aus der Mode- und Glitzerbranche. Bei wirklich wichtigen Themen achten Journalisten sicher genauer darauf, was sie wie veröffentlichen.
Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, dass Marketingmenschen wie ich unter einer Decke stecken mit Medienleuten und Personen des öffentlichen Lebens. Gemeinsam erarbeiten wir Material, das sich gut promoten lässt, zum finanziellen Nutzen aller Beteiligten. Das kann auch ein heimlich aufgenommenes Video sein, das über den künftigen Präsidenten entscheidet, wie neulich bei Mitt Romney - ohne dass ich sagen möchte, das ist gefälscht. Oder dieser US-Pastor, der den Koran verbrennen wollte. Es gab anfangs eine Übereinkunft, das nicht zu zeigen. Dann siegte die Gier, jemand filmte die Verbrennung, und dann war es überall. Bei den Unruhen danach starben ein Dutzend Uno-Mitarbeiter. Es ist eine Verschwörung, wir nähren das Monster gemeinsam.
Schnappt das Monster auch manchmal nach der Hand, die es füttert?
Schon. Wir hatten bei American Apparel mal ein Problem, einen Produktionsfehler bei Nagellackfläschchen - die kriegten Sprünge. Eine Bloggerin bekam Wind von einem E-Mail-Wechsel dazu und schrieb einen Post mit der Schlagzeile "Enthält der neue Nagellack gesundheitsgefährdende Stoffe?". Dutzende Blogs verbreiteten das in Windeseile, bald wurde explodierender Nagellack daraus. Ich habe versucht, das zu korrigieren. Die Bloggerin hat mein Statement einfach unter den ursprünglichen Artikel gepappt und mit "Update" überschrieben. Kein Wunder: Was ist aufregender und bringt mehr Klicks - explodierender Nagellack oder ein korrigierter Blogbeitrag? Die falsche Nachricht hat sich immer weiter verbreitet.
Bilderserie Radikale Werbung
Kann man sich als Unternehmen überhaupt aus diesem Spiel heraushalten? Oder muss man mitmachen, um nicht zum Spielball zu werden?
Es ist ein teuflisches Rennen um Aufmerksamkeit. Schaffst du ein Gerücht, das deine Marke pusht? Das mag funktionieren, aber gleichzeitig kann dein Mitbewerber ein Gerücht lancieren, das deinem Unternehmen schadet. Bei Apple  etwa kann man beides gut beobachten: Wenn Informationen zum neuen iPad geleakt werden, ist das perfekte kostenlose PR. Die Taktik des absichtlichen Infolecks habe ich selber oft angewendet. Das klingt nach etwas Verbotenem, fast so, als hätte man eine Information gestohlen, obwohl ich sie selbst Bloggern zugespielt habe. Dann gab es aber auch das Gerücht, ein neues iPhone und ein Apple-Betriebssystem verzögerten sich. Ein paar Milliarden Dollar an Börsenwert lösten sich daraufhin in Luft auf.
Was raten Sie denn Ihren Kunden in solchen Fällen?
Es gibt da diesen hübschen Satz: Wenn du mit einem Schwein kämpfst, werdet ihr beide schmutzig - aber nur das Schwein genießt es. Manchmal ist es besser, falsche Beschuldigungen und Gerüchte einfach zu ignorieren, statt mit einer Klage weiter Öl ins Feuer zu gießen. Manchmal kann man mit einem positiven Thema einen negativen Bericht verdrängen. Aber Sicherheit gibt es nie. Dieses Monster ist ziemlich unberechenbar und, wie ich fürchte, bereits außer Kontrolle.
In Ihrem Buch vergleichen Sie dieses Mediensystem mit der Immobilienkrise, die sich dann zur Finanzkrise auswuchs...
Es ist wie bei einem Schneeballsystem, das auf Glauben und Vertrauen beruht. Viele professionell betriebene Onlinemedien handeln mit wertlosen Assets. Sie belügen und betrügen ihr Publikum, wie während der Finanzkrise. Stellt sich heraus, dass eine Geschichte falsch oder schlicht gelogen war, dann heißt es: Wir haben ein Problem mit einem isolierten Einzelfall. Dabei ist das ganze System verrottet und zutiefst korrupt. Es funktioniert, solange die Illusion noch aufrechterhalten werden kann, hinter dem Müll, den sie verbreiten, steckten Werte. Mit meinem Buch wollte ich in diese Blase stechen und ein wenig Luft herauslassen.
Aber warum? Hat Ihnen die Rolle als Strippenzieher nicht mehr gefallen?
Das ist ein Nervenkitzel, es gibt dir einen Kick, manchmal ein fast aphrodisierendes Gefühl von Macht. Aber ich habe für mich beschlossen, dass es das nicht mehr wert ist: Denn dieses System ruiniert unsere Gesellschaft, es macht den öffentlichen Diskurs kaputt. Du argumentierst nüchtern und triffst den Punkt? Schlecht. Du hast eine Geschichte, die tiefsinnig oder melancholisch ist? Noch schlechter. Die Klicks, die Likes, die Kommentare bekommen jene Beiträge, die Wut oder Begeisterung auslösen. Jeder will Aufmerksamkeit und versucht rücksichtslos, den anderen zu übertönen. Das alles endet in einem irren Lärm. Interview: Lukas Grasberger
  • FTD.de, 21.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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