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Merken   Drucken   25.10.2012, 18:18 Schriftgröße: AAA

Frauenbasketball in Somalia: Spiel mit dem Tod

Jeden Tag riskieren die Basketballerinnen von Somalia ihr Leben. Rundherum tobt der Bürgerkrieg, radikale Islamisten bedrohen sie. Doch die Frauen klammern sich an den Sport, er gibt ihnen eine Perspektive - und die Hoffnung auf Frieden. von Michael Obert, Mogadischu
Suweys (mit Ball) inmitten ihrer Teamkolleginnen beim ...   Suweys (mit Ball) inmitten ihrer Teamkolleginnen beim Basketballtraining
Mit Riesenschritten jagt Suweys über das Feld, spielt den Basketball von der einen in die andere Hand, zwischen den Beinen hindurch. Mühelos dribbelt sie die letzte Gegnerin aus und setzt zum Sprung an. Für einen Moment steht sie in der Luft, die Kapitänin des somalischen Frauennationalteams, 21 Jahre, 1,90 Meter groß, hellblaues Trikot, Kopftuch. Dann drückt sie den Ball in den Korb.
Vor dem Trainingsplatz patrouillieren Panzerwagen, am Eingang ist ein Maschinengewehr aufgebockt, auf den umliegenden Dächern Männer in Kampfanzügen, bezahlt von der somalischen Übergangsregierung. Die Bodyguards sollen Suweys und ihre Mitspielerinnen schützen. Denn im kriegszerstörten Mogadischu riskieren Somalias Basketballerinnen für ihre Leidenschaft ihr Leben - und glauben fest daran, dass der Sport zur Versöhnung beitragen kann.
Sie stehen auf der Todesliste von al-Schabab, der Islamistenmiliz, die große Landesteile kontrolliert, verbündet mit dem Terrornetzwerk al-Kaida. Al-Schabab hält Basketball für eine Todsünde. Erst recht, wenn es von Frauen gespielt wird. Und dann auch noch Basketball, der Nationalsport des Todfeinds Amerika.
"Erst letzte Nacht haben sie mich wieder angerufen", sagt Suweys. "Die Männerstimme brüllte: ,Hör auf zu spielen, du Dreckstück, sonst knallen wir dich ab.'" Al-Schabab legt Bomben unter Marktstände, jagt Kinos in die Luft und liefert sich blutige Gefechte mit der Friedensmission Amisom. Wer nicht dem fundamentalistischen Weltbild der Islamisten entspricht, landet auf der Abschussliste.
Wenn es nach den Radikalen ginge, würden den Basketballerinnen die rechte Hand und der linke Fuß abgesägt. Oder sie würden einfach erschossen. "Ich höre nicht auf! Auf keinen Fall", sagt Suweys, "ohne Basketball wäre mein Leben sowieso vorbei".
Als Suweys ein Jahr alt war, legte ihr Vater ihr einen Basketball ins Bettchen. Kurz darauf starb der Regierungssoldat im Bürgerkrieg. Die kleine Suweys ließ den Ball nicht mehr los, er wurde ihr bester Freund, bevor sie richtig laufen konnte, warf und fing sie ihn schon. Damals wusste sie: "Ich werde Basketballerin. Die beste der Welt."
Die junge Frau wohnt mit Mutter und Schwester in einem kleinen Haus mit vergitterten Fenstern in einem von Granaten zerschossenen Viertel. An den Zimmerwänden wuchert Schimmel, die Decke hängt durch, auf dem Boden eine aufgeplatzte Matratze. Am Morgen des Trainings trägt Suweys einen hellblauen Anzug, auf dem Rücken ihres Trikots steht "Somalia".
Auf dem Weg zum Training tragen die Spielerinnen ihre ...   Auf dem Weg zum Training tragen die Spielerinnen ihre traditionellen Gewänder - aus Angst vor Anschlägen
Bevor sie aufbricht, zieht sie ihr orangefarbenes Gewand über und benutzt das Handydisplay als Spiegel, um zu prüfen, ob nichts mehr vom Sportdress zu sehen ist. Die Turnschuhe versteckt sie in einer Tüte. "Wenn sie mich mit den Sportsachen erwischen, bringen sie mich um."
Ihr Weg führt durch eine völlig zerstörte Stadt. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg und erbittertem Häuserkampf sieht Mogadischu aus wie eine archäologische Grabungsstätte. Zweieinhalb Millionen Menschen fristen ein Dasein in Ruinen. Ohne Strom, sauberes Trinkwasser, Müllabfuhr und ausreichende medizinische Versorgung. Kürzlich erst konnten die Schabab-Milizen aus der Stadt zurückgedrängt werden. Im leer gefegten Todesstreifen gibt es Anzeichen von Normalität. Doch für Suweys und ihr Team ist es schlimmer geworden. Die Islamisten operieren aus dem Untergrund, mit Bomben und Terror. Die Morddrohungen nehmen ständig zu.
Ihr Spielfeld ist von Granaten verschrammt, die Tribüne vom Kugelhagel zernagt. Der Sportplatz, eine Festung: Sandsäcke, Stacheldraht, Kalaschnikows. Unter den Tribünen zogen sich in der italienischen Kolonialzeit Spieler um, al-Schabab hat hier bis vor Kurzem Gefangene gefoltert, deren Blut noch an den Wänden trocknet. In dieser Arena des Schreckens wirken Suweys und ihre Kolleginnen wie ein Schwarm tropischer Vögel.
Horseed nennt sich das Team, "Vorhut". Die Frauen werfen ihre Plastiktüten auf die Ränge, legen die Gewänder ab, darunter kommen Trikots, Sporthosen und Stutzen zum Vorschein. Einige Mädchen bleiben selbst beim Training komplett verhüllt, ihre Gesichtsschleier lassen nur einen Augenschlitz frei. Zu Hause sagen sie, sie gingen zur Schule oder eine Freundin besuchen. Ihre Eltern wissen nicht, dass sie Sport treiben. "Mein Vater würde mich steinigen", sagt eine.
Doch dass die Frauen hier zusammen sind, gibt Hoffnung. "Basketball leistet einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zum Frieden", glaubt Ibrahim Hussein Ali, Präsident des somalischen Basketballverbands. Zwei Jahrzehnte haben sich Clans und Distrikte bekämpft. In gemischten Teams vergessen sie ihre Blutfehden. "Gestern waren sie noch Todfeinde", sagt Ali. "Heute spielen sie zusammen oder feuern dieselbe Mannschaft an."
Im internationalen Wettbewerb sind somalische Heimspiele immer Auswärtspartien. Kein Team ist bereit, nach Mogadischu zu kommen. Die Nationalmannschaft gehörte bisher immer zu den Schlusslichtern. Doch bei den Arab Games 2011 in Katar gewann sie gleich zweimal, gegen Kuwait und den Gastgeber. "Unser Kampfgeist hat sie überrascht", sagt Suweys.
Sie ist die Größte auf dem Platz, geschmeidig, antrittsstark, lenkt das Spiel, dribbelt, trifft auch aus der Distanz. "Sie ist diszipliniert und arbeitet sehr hart", sagt ihr Trainer Dahir, Leutnant beim somalischen Militär. "Suweys ist die beste Basketballerin Somalias, sie könnte überall auf der Welt spielen." Die Kapitänin hält das Team zusammen, auch im Leben. Als die Flügelspielerin Raho auf dem Weg zum Training von einem Scharfschützen getötet wurde, war es Suweys, die die Mannschaft tröstete und stellvertretend den Leichnam besuchte.
Obwohl sie Basketballprofi ist, wird Suweys nicht bezahlt. Fünf- bis sechsmal die Woche trainiert sie morgens Muskelaufbau, nachmittags mit der Mannschaft. Sie müsste Proteine essen, aber Fleisch kann sie sich nicht leisten. Nicht einmal Joghurt oder Milch. Heute Morgen hat sie ein Fladenbrot gegessen, seither nichts. Am Abend wird es wieder Fladenbrot sein.
Ihre Mutter ist krank und verlässt selten das Haus. Ihre Schwester verkauft Gemüse auf dem Markt. Mit dem wenigen, das sie verdient, bringt sie die Familie durch und unterstützt Suweys. Den Transport zum Training und zu den Spielen muss Suweys bezahlen. Hat sie kein Geld, läuft sie durch eine der gefährlichsten Städte der Welt. Fast täglich töten Scharfschützen, explodieren Autobomben.
Suweys würde gerne zur Schule gehen, dann studieren, Englisch und Mathematik, Lehrerin werden. Und später Coach der Damennationalmannschaft. Doch in Mogadischu gibt es seit Jahren keine staatlichen Schulen, private Einrichtungen verlangen umgerechnet 20 Euro Gebühren im Monat. 95 Prozent aller Kinder und Jugendlichen gehen nicht zur Schule.
Und da ist noch die Sache mit den Männern. Mit 21 sind die meisten somalischen Frauen verheiratet und haben Kinder. "Kommt nicht infrage", sagt Suweys. "Mein Mann würde sofort sagen: Hör auf zu spielen." Dann leuchtet ihr Handydisplay auf. Und plötzlich erstarrt ihr Gesicht, die Hände zittern, sie bringt kein Wort mehr heraus. Eine SMS: "Wir wissen, wo du bist. Heute wirst du sterben."
Woher nimmt Suweys noch all die Kraft? "Ich will eine Weltklassespielerin werden - und ich werde meinen Traum wahr machen", sagt sie und steckt das Handy weg. "Mein Vater wäre stolz auf mich."
  • Aus der FTD vom 26.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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