FTD.de » Luxus » Stil » Genie mit Wohnsinn
Merken   Drucken   23.10.2012, 11:25 Schriftgröße: AAA

Design: Genie mit Wohnsinn

Axel Vervoordt gilt als König der Inneneinrichtung. Der Belgier gibt Räumen von Stars wie Robert De Niro und Sting eine neue Seele. Doch er bedient nicht jeden: Wer protzen will, wird abgelehnt.
© Bild: 2012 Alex Salinas
Axel Vervoordt gilt als König der Inneneinrichtung. Der Belgier gibt Räumen von Stars wie Robert De Niro und Sting eine neue Seele. Doch er bedient nicht jeden: Wer protzen will, wird abgelehnt.
Natürlich gibt es auf 's-Gravenwezel wie in jedem anständigen Schloss eine Geheimtüre. An der richtigen Stelle gedrückt, öffnet sich ein Teil des Bücherregals wie ein Tor, um Blick und Durchgang freizugeben - in ein Badezimmer mit römischer Wanne. Wie für jeden anderen der rund 50 Räume, die genaue Anzahl scheint niemand zu wissen, ist "Zimmer" eine Untertreibung. Denn für die Auswahl der Farben, Materialien und der darin vorhandenen Kunst ist Axel Vervoordt zuständig.
Der Belgier, dessen Wasserschloss 20 Autominuten von Antwerpen entfernt im flämischen Teil des Landes steht, ist in einer Person Antiquitäten­händler und -sammler, Inneneinrichter, Restaurator, Kunstförderer und Galerist. Er wird als Großmeister un­orthodoxer Interieurs gepriesen, als König der leisen Farbtöne und neuer Kunstphilosoph. Ihn beauftragen Königsfamilien, Tycoons, Popstars und Politiker, wenn sie ihre Räume verschönern wollen: Bill ­Gates, Sting, Madonna, Tom Ford, Steven Spielberg. Auch Oligarchen aus Russland und Angehörige des alten europäischen Adels sind Kunden.

"Mein Geschmack umfasst mehrere Jahrhunderte"

Für seine Interieurs bedient sich Vervoordt so ­vieler Stile und Fundorte, dass man seine Methode eklektisch nennen muss, auch wenn er das Wort nicht mag. "Mein Geschmack umfasst mehrere Jahrhunderte, Kontinente und ökonomische Schichten. Ich liebe die Spannung zwischen verschiedenen Objekten und Kulturen", schreibt er in "The Story of a Style", einem seiner Bücher, das mit Fotografien gefüllt ist, viele davon auf 's-Gravenwezel entstanden.
Das Kastell mit teilweise fast tausendjährigen ­Räumen gehört zu den schönsten Häusern Europas. Schon der Eintritt ins Foyer überwältigt: Eine Händel-Kantate bricht über den Besucher herein, umspült ihn mit lauten Klängen. Sie beansprucht mehr Platz als die beiden blauen, an gegenüberliegenden Wänden aufgehängten monochromen Gemälde von Jef Verheyen, einem verstorbenen belgischen Maler und Freund Vervoordts. Der Rundgang durch das Gebäude gleicht einer Reise durch Länder und Epochen. Fast jedes Zimmer ginge als Bibliothek durch - Magazine und Bücher über Kunst, Natur und Wohnkultur halten eine Flut von Inspirationen bereit. ­
Pol der Ruhe: ein zen-buddhistisch anmutendes Zimmer mit Sitzkissen im obersten Stockwerk. Und überall der Duft von Holz, das neben den vielen ­Kaminen im Haus gestapelt ist. Den Brennstoff zerkleinert Vervoordt eigenhändig, wenn er, der so zeitlos einrichtet, Zeit dafür findet.

Vervoordt mixt ohne Rücksicht

Was ihn von anderen Innenarchitekten unterscheidet: Er bietet seinen Kunden eine neue Perspektive an. Das klingt harmloser, als es ist. "Kürzlich habe ich in einem Haus von wichtigen Leuten in Amerika gearbeitet", sagt er. "Sie haben dort viele schöne Picassos, aber auch Zeichnungen ihrer Kinder, die den ­Picassos irgendwie ähneln." Die Kinderbilder hängte er zu den Ori­ginalen an die Bibliothekswand, allerdings mit einem für ihn typischen Kunstgriff: "Ich ließ die Rahmen der echten Picassos entfernen, damit sie nicht mehr teuer aussehen." Vervoordt lacht wie ein schadenfroher Junge, dann fährt er seinem Hund Inu - Japanisch für Hund - durchs struppige Fell und greift, ebenso zärtlich, zur beigefarbenen handgetöpferten Grünteetasse.
Axel Vervoordt verabscheut Angeber   Axel Vervoordt verabscheut Angeber
Trends ignoriert der 65-Jährige, und er arbeitet scheinbar referenzfrei. Er greift nach dem, was da ist. Alten Türen, abgenutzten Tischplatten, Steinen, Gegenwartskunst, antikem Hausrat. Die Verbindung, die er zwischen Dingen herstellt, die gemeinhin nicht zusammenpassen, verleiht seinen Interieurs eine eigenartige Ausstrahlungskraft. So wurden viele der Schlosswände mit Schlamm bemalt, Naturfarbe aus der Umgebung. Fast immer ist es die Reduktion, die aus seinen Räumen spricht. Seine Gabe, die Schönheit einer zerfurchten Hirtenkommode in einem herrschaftlichen Salon oder Großstadtloft ­herauszustellen, hat ihn berühmt gemacht. Und sehr vermögend. Protzig ist das Resultat dennoch nie. "Menschen, die ihren Reichtum zur Schau stellen wollen, kann und will ich nicht helfen", sagt er.
Wer Vervoordt und sein Unternehmen beauftragt, muss gewillt sein, sich in die Seele blicken zu lassen. Und zuzuhören. Sogar wenn er Robert De Niro heißt. Für dessen New Yorker Hotel Greenwich hat er ein Penthouse entworfen und De Niro dabei schätzen gelernt. "Er ist intelligent, ein guter Zuhörer und äußerst bescheiden. Er könnte Japaner sein, denn für ihn ist alles möglich und nichts ein Muss."

Der Innenarchitekt war schon mit 14 Antiquitätenjäger

Ende 2012 soll das Penthouse fertig sein - und aussehen, als stünde es schon 100 Jahre dort. Denn De Niro hat sich auf "Wabi" eingelassen. So nennt Vervoordt, in Anlehnung an das japanische Ästhetikkonzept Wabi-Sabi, seine Einrichtungsphilosophie: Einfach und unverfälscht sollen die Räume und ihr Innenleben sein, die Materialien natürlich, die Patina, die Gebrauchsspuren echt. In seinem Bildband "Inspiration Wabi" zeigt der Belgier Interieurs von meditativer Schönheit und erklärt: "Wabi ist frei von eklektischem Schnickschnack, der uns daran hindert, inneren Frieden zu finden. Es ist dezent, ­gedämpft, beruhigend - durch und durch ausgewogen." So wie der aus Ästen und Lehm errichtete japanische Regenpavillon, der im Park seines Schlosses Zuflucht und einen Kamin zum Aufwärmen bietet.
Über Japan könnte Vervoordt bis ans Ende aller Tage sprechen. ­Lange Zeit hatte die ­westliche Avantgardekunst seinen Geschmack geprägt: Ar­te-Povera-Installationen aus Alltagsmaterialien, ab­strakter Expressionismus, Schnittbilder von Lucio Fontana, Licht­objekte der deutschen Gruppe Zero. Dann begegneten ihm die ­Arbeiten von Kazuo Shiraga. Der Vertreter der buddhistisch geprägten Gutai-Kunst­bewegung und Vorreiter des japanischen Action-Painting malte schon in den frühen 50ern so wie später Yves Klein: unter Einsatz seines Körpers als lebender Pinsel.
Shiragas expressive, gegenstandslose Bilder sind starke Blickfänge in der mehrheitlich in Erd- und Holztönen gehaltenen Einrichtung auf 's-Gravenwezel - und ein spannungsgebender Kontrast zu den naturfarbenen Leinenbezügen der Sofas und Sessel, die Vervoordt für seine Home Collection entwirft.
Sein Unternehmen beschäftigt an die 100 Mitarbeiter: Restauratoren, Architekten, Kunstexperten. Im persönlichen Kontakt zu Kunden steht Vervoordt nur noch bei ausgesuchten Projekten. Auf der eigenen Website wird er als graue Eminenz bezeichnet, ein Begriff, der ihm nicht gefalle, sagt er. Der Sohn eines Rennpferdehändlers und einer kunstsinnigen Mutter war schon mit 14 Antiquitätenjäger. Während eines Ferienaufenthalts in England brach er auf eigene Faust zur Einkaufstour auf. Er erstand Mobiliar und Silbergeschirr, das er zu Hause wieder losschlug.
Das Geld hatte sich der Teenager vom Vater geliehen und wieder zurückgezahlt, inklusive Zinsen. Mit 20 kam der Militärdienst. Vervoordt landete in einer Armeeapotheke, die er in eine Bar umfunktionierte. Bald kamen alle Kameraden zum Aperitif. "Ich fragte sie, ob bei ihren Großmüttern vielleicht noch Einrichtungsgegenstände auf dem Speicher liegen." So kam er zu großartigen Objekten: Tafelsilber, Zeichnungen, seinem ersten Gemälde von René Ma­gritte. "Ich hatte meine Berufung gefunden."
Aus dem kleinen Antwerpener Antiquitätenhändler ist ein Star ­geworden, der seine Schätze in Ausstellungen präsentiert. Seine Schauen Artempo und In-Finitum auf den Biennalen 2007 und 2009 in Venedig und die Pariser Academia im Jahr dazwischen boten einen neuen Blick auf die Welt. Statt Bilder an kahle Museumswände zu hängen, konzipierte er überbordende Arrangements, die den Bogen von altägyptischen Katzenstatuen über Jagdtrophäen, Sofas und Architekturmodelle bis hin zum Pisspainting von Andy Warhol spannten. Die meisten Besucher faszinierte dieser sinnliche Spaziergang durch die Kulturgeschichte der Menschheit, einige sahen aber auch die Selbstinszenierung des Unternehmers Vervoordt darin. Gleichgültig ließen die Schauen jedoch niemanden. Das größte Kompliment an einen Gestalter.

Ohne Vervoordts Frau ginge es nicht

30 Mio. Euro setzt Vervoordt jährlich um. Für das operative Geschäft ist 's-Gravenwezel längst zu klein, es wurde nach Wijnegem vor den Toren Antwerpens ausgelagert. Vervoordt hat dort den brachliegenden Destilleriekomplex Kanaal gekauft. Das riesige Areal bietet Platz für einen atemberaubenden Showroom mit Objekten von unschätzbarem Wert - und einen Plan, der sein Lebenswerk krönen soll. Ein ganzes Wohnviertel baut er dort mit Luxusapartments im stillgelegten Kornsilo.
2015 wird die "grüne Oase mit der Dynamik einer ambitionierten Stadt" fertig sein, heißt es in der Projektbroschüre. Viel Arbeit für Sohn Dick, der die Immobiliengeschäfte leitet, und seinen älteren Bruder Boris, dem Vervoordt einen Großteil des Managements übertragen hat. "Die Finanzen, das Juristische, die Organisation, das alles sehe ich mir nicht mal mehr an", sagt der Vater.
Wie hinter respektive neben den meisten erfolgreichen Männern steht auch bei Vervoordt eine Frau: May. Die beiden verstehen sich blind. Rudimentäre Stichworte ihres Ehemanns reichen May Vervoordt aus, um sich ein Domizil vorstellen zu können und in Gedanken einzurichten. Sie ist verantwortlich für die Stoffe und Farben der Firma. Und für das Essen - sogar das Mittagsmenü in Wijnegem. Gerade ist ihr Buch "Zu Gast bei May Vervoordt" mit Rezepten und Dekorationsvorschlägen erschienen.
Und wie lautet das Rezept ihres Mannes? Die Dinge, mit denen man sich umgibt, sollten so aussehen wie man selbst, sagt er. Oder so, wie man aussehen möchte. Ganz gefahrlos sei das nicht, gibt er zu. "Man muss sich immerzu die Frage stellen: Will ich wirklich so aussehen?" Dann lacht er wieder. Und erneut klingt es ein kleines bisschen schadenfroh.

AUDIENZ BEI KÖNIG AXEL

Axel Vervoordt
www.axel-vervoordt.com
Gallery
Noch bis 20. Oktober: Ausstellung Kazuo Shiraga, www.axelver­voordtgallery.com
Bücher
Axel Vervoordt: "Inspiration Wabi", 256 S., Jacoby & Stuart 2010; "Timeless Interiors", 256 S., Flamma­rion 2007; "The Story of a Style", 195 S., Assouline 2002; May Vervoordt: "Zu Gast bei May Vervoordt - Rezepte und Tischkultur durchs ganze Jahr", 176 S., Jacoby & Stuart 2012
  • FTD.de, 23.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
Jetzt bewerten
Bookmarken   Drucken   Senden   Leserbrief schreiben   Fehler melden  
"Relax Guide" 2013
"Relax Guide" 2013: Deutschlands beste Wellnesshotels (22) Deutschlands beste Wellnesshotels

Die Autoren des "Relax Guide" haben mehr als 1300 Wellnesshotels getestet - mit erschreckendem Ergebnis: Weniger als 20 Prozent waren wirklich gut. Wir stellen die besten Wohlfühloasen vor. mehr

 
Genussempfehlung: Flaschenpost von Thomas Kallenberg Flaschenpost von Thomas Kallenberg

Das Hotel Budersand auf Sylt bietet auf der Weinkarte 500 Spitzenweine an. Da ist es auch für den Sommelier des Hauses nicht einfach, sich für einen Lieblingsrebsaft zu entscheiden. Als Ostdeutscher fällt seine Wahl schließlich auf den trockenen 2011er Scheurebe Qualitäts­wein. mehr

  28.02.2011

Luxuriöses Wissen Sind Sie reif für die Welt der Schönen und Reichen?

Nach dem Ende der Wirtschaftskrise boomen Luxusmarken wie Prada, Gucci und Chanel. Wofür steht der Trinity-Ring, was ist Ambra und warum wird eine Fußballer-Gattin in der Modebranche gefeiert? Testen Sie ihr Wissen!

Die Chanel 2.55 ist eine der berühmtesten Taschen der Welt. Woher stammt der Name?

Luxuriöses Wissen: Sind Sie reif für die Welt der Schönen und ...

Alle Tests

  •  
  • blättern
Gönn's dir
Gönn's dir: Feines für den Gentleman (7) Feines für den Gentleman

Der Gentleman ist zurück. Und mit ihm luxuriöse Herrenaccessoires, die jedes Outfit zum Hingucker machen. Klasse, Stil und Eleganz lassen sich zwar nicht kaufen - aber diese feine Auswahl ist mehr als ein guter Anfang. mehr

  22.10.
Autotest: Einparken mit dem Mercedes CLS 350 Shooting Brake Einparken mit dem Mercedes CLS 350 Shooting Brake

Erst bei der Parkplatzsuche lernt man ein Auto richtig kennen: Wir stellen jede Woche einen neuen Wagen ab. Diesmal parkt die FTD den Mercedes CLS 350 Shooting Brake. mehr

14 Bewertungen  

Mehr zu: Einparken, Mercedes

  Designstudien Autoträume aus den 70ern
Designstudien: Autoträume aus den 70ern (10)

Vor 40 Jahren, als Benzin spottbillig war, nahmen sich die Designschmieden der Welt vor, das Auto neu zu erfinden. Das Ergebnis: Flundern auf vier Rädern, die im Stil der 70er-Jahre mit extravagant bekleideten Models in Szene gesetzt wurden. Ein Blick auf die schönsten Entwürfe. von Veit Hengst und Matthias Brügge mehr

STIL

mehr Stil

GENUSS

mehr Genuss

REISE

mehr Reise

© 1999 - 2012 Financial Times Deutschland
Aktuelle Nachrichten über Wirtschaft, Politik, Finanzen und Börsen

Börsen- und Finanzmarktdaten:
Bereitstellung der Kurs- und Marktinformationen erfolgt durch die Interactive Data Managed Solutions AG. Es wird keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben übernommen!

Impressum | Datenschutz | Nutzungsbasierte Online Werbung | Disclaimer | Mediadaten | E-Mail an FTD | Sitemap | Hilfe | Archiv
Mit ICRA gekennzeichnet

VW | Siemens | Apple | Gold | MBA | Business English | IQ-Test | Gehaltsrechner | Festgeld-Vergleich | Erbschaftssteuer