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  FTD-Serie: Die Top-Ökonomen

Es gibt kaum eine heiße wirtschaftspolitische Debatte oder kluge ökonomische Analyse, in der ihr Name nicht fällt: Joseph Stiglitz, Kenneth Rogoff und Jagdish Bhagwati bilden mit einem guten Dutzend weiterer Top-Ökonomen einen einzigartigen Think Tank. So konträr ihre Ansichten auch sein mögen: Sie schreiben für eine exklusive Serie, die die FTD in Zusammenarbeit mit der internationalen Public-Benefit-Organisation 'Project Syndicate' veröffentlicht.

Merken   Drucken   17.10.2012, 15:00 Schriftgröße: AAA

Top-Ökonomen: Daniel Gros - Warum Europa mit dem Fracking warten sollte

Kommentar In Amerika ist bereits ein Frackingboom ausgebrochen. Kritiker fragen, warum Europa sich diesem Trend verschließt und plädieren für ein stärkeres Engagement. Daniel Groß widerspricht diesen Forderungen: Aus gutem Grund warten die europäischen Entscheidungsträger damit, die Schiefergasvorkommen auszubeuten. von Daniel Gros
Daniel Gros ist Direktor des Centre for European Policy Studies.

Die globale Energiegemeinschaft ist in heller Aufregung: Das Fracking ist eine relativ neue Technologie, die die Erschließung bisher unzugänglicher Gasreserven erlaubt, die in unterirdischen Schiefervorkommen eingeschlossen sind. Dank des Booms in den USA, ist das Land inzwischen in der Lage, seinen Erdgasbedarf fast vollständig selbst zu decken.
Europa dagegen hinkt hinterher. Die Erkundungen potentieller Gasvorkommen schreiten nur zögerlich voran, eine Schiefergas-Förderung hat noch nicht einmal begonnen. Viele Kritiker halten Europa deshalb vor, es würde die nächste Revolution auf dem Energiesektor verschlafen. Müssen sich die Europäer Sorgen machen?
Daniel Gros, Direktor des Brüsseler Thinktanks Ceps   Daniel Gros, Direktor des Brüsseler Thinktanks Ceps
Die Kritiker übersehen aber zwei zentrale Punkte. Erstens: Die geologischen Bedingungen in Europa unterscheiden sich von denen in Amerika. Es ist eine vollkommen andere Ausgangssituation, irgendwo in großen Schieferformationen versteckte Vorkommen zu haben oder aber, Vorkommen in dem Maße vorzufinden, die tatsächlich wirtschaftlich ausgebeutet werden können.
Schätzungen der Internationalen Energieagentur legen nahe, dass die größten abbaufähigen Schiefergasvorkommen in den USA und China liegen - nicht in Europa. Freilich sind selbst diese Schätzungen kaum mehr als auf Erfahrungen gründende Vermutungen. Denn gründlich erkundet wurden Schieferformationen bisher nur in den USA.
In Europa beginnt dieser Prozess dagegen gerade erst. Polen scheint auf dem europäischen Kontinent die günstigsten geologischen Voraussetzungen mitzubringen und könnte sich, im lokalen Maßstab, in etwa zehn Jahren zu einem wichtigen Produzenten entwickeln. Dies ist ein glücklicher Umstand, denn die Schiefergasproduktion dürfte es Polen politisch erleichtern, seine wirtschaftlich und ökologisch unsinnigen Subventionen für die Förderung (und den Verbrauch) lokaler Kohle auslaufen zu lassen. Und auch strategisch wäre Fracking für Polen ein Segen: Es würde die Abhängigkeit des Landes von russischem Gas verringern.
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Aber die Kritiker der Europäischen Union übersehen noch einen weiteren Punkt: Die EU ist für die Erschließung von Schiefergas in Europa schlicht gar nicht zuständig. Über die Lizensierung und Regulierung von Erkundung und Förderung entscheidet jede Nation selbst.
Zugegeben: Lokaler Widerstand gegen das Fracking stellt in Europa eine sehr viel ernstere Hürde dar als in den USA. Das mag teilweise daran liegen, dass die Europäer in Umweltfragen zu sensibel sind. Aber auch fehlende Anreize spielen eine Rolle: Insbesondere liegen die Eigentumsrechte an natürlichen Ressourcen in den USA in der Regel beim Eigentümer des Landes, unter dem sich die Rohstoffe befinden; in Europa dagegen ist der Staat Eigentümer der Rohstoffvorkommen.
Daher neigen die Europäer - die sich mit unklaren ökologischen Folgen konfrontiert sehen und keine Aussicht auf mögliche Einnahmen haben - dazu, sich gegen Fracking in ihrer Nachbarschaft auszusprechen. In den USA dagegen profitieren die Bürger deutlich: Sie können ihre Eigentumsrechte an die Gasunternehmen verkaufen - ein starkes Gegengewicht gegenüber Ängsten vor ökologischen Kosten.
Der Unterschied zwischen Privat- und Staatseigentum ist allerdings nicht der einzige, der dem Gasboom in den USA zugrunde liegt. Ein selten erwähnter Grund ist auch, dass die Schiefergas-Erschließung in den USA steuerlich stark gefördert wurde; ein Modell, dem Europa nicht nacheifern wird.

Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend

Der entscheidende und fast immer übersehene Punkt beim Fracking ist jedoch, dass Schiefergas wie alle Kohlenwasserstoffe nur einmal verbraucht werden kann. Die wahre Frage ist daher nicht, ob das Schiefergas in Europa erschlossen werden sollte, sondern wann es verbraucht werden sollte: heute oder zu einem späteren Zeitpunkt?
Europa ist bereits ein starker Gasverbraucher, sein Verbrauch aber stagniert (zusammen mit der wirtschaftlichen Entwicklung). Trotz des Rummels um die Schiefergas-Revolution liegen die Förderkosten von konventionellem Gas an Land nach wie vor unter denen von Schiefergas. Hinzu kommt, dass die Grenzkosten für den Transport nach Europa wegen des vorhandenen Erdgasröhrennetzes sehr niedrig ist. Unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten dürfte das Fracking den Europäern daher keine wesentlichen Vorteile bringen: Das Schiefergas würde lediglich das reichlich verfügbare konventionelle Gas ersetzen.
In einem Umfeld ultraniedriger Zinsen sind die wirtschaftlichen Kosten des Zuspätkommens deshalb niedrig. Die beste Alternative dürfte für Europa darin bestehen, abzuwarten und den Markt machen zu lassen. Fracking ist als Technologie auch noch nicht ausgereift und dürfte daher im Laufe der Zeit noch erhebliche Verbesserungen erfahren. Vielleicht wird Europa irgendwann einmal führend sein - wenn die Fracking-Methoden hochentwickelt und die Schiefergasvorkommen in den USA längst erschöpft sind.
  • FTD.de, 17.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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Kommentare
  • 18.10.2012 16:53:53 Uhr   khaproperty: @ jan herweg: nicht so ganz.

    Könnte man die Chemikalien zum Fracking verharmlosen durch Ersatz oder modifizierende Stoffe, wäre Ihr Einwand aus der Welt. Bliebe das Grundwasser unbeinträchtigt, hieße das: Ab die Post.
    Wenn´s so einfach wäre; ist es aber nicht, wie Staufen - siehe mein 2. Posting hier - zeigt.

  • 18.10.2012 15:18:19 Uhr   Jan Herweg van Rothschild: Ökologische Folgen sind NICHT unklar!
  • 18.10.2012 15:02:46 Uhr   khaproperty: @ smolka: nicht überall!
  • 18.10.2012 14:46:27 Uhr   khaproperty: Rechtsgrundlage ändern.
  • 17.10.2012 22:04:03 Uhr   Peter P. Smolka: Schiefergas ist nicht mehr nötig
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