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Merken   Drucken   26.10.2012, 12:00 Schriftgröße: AAA

Hochschulen: Zwangsheirat in Brandenburg

Trotz massiver Proteste sollen in Brandenburg eine Uni und eine Fachhochschule fusionieren. Ein gewagtes Experiment - aber die einzige Chance, beide Hochschulen zu erhalten. von Steffi Hentschke und Marion Schmidt  Hamburg
Studenten und Mitarbeiter der BTU in Cottbus demonstrieren auf dem ...   Studenten und Mitarbeiter der BTU in Cottbus demonstrieren auf dem Altmarkt gegen den geplanten Hochschulzusammenschluss
In den vergangenen Monaten hat Alexander Misera wenig geschlafen und viele Plakate geklebt. Zusammen mit weiteren Studenten hat der 21-jährige angehende Wirtschaftsingenieur in der Region Cottbus 42.000 Unterschriften gesammelt, Menschenketten und Mahnwachen organisiert und eine Anhörung im Landtag erreicht. Alles, um seine Universität vor der Auflösung zu retten.
Vergeblich. Mitte Oktober hat die Landesregierung trotz der massiven Proteste beschlossen, die Brandenburgische Technische Universität (BTU) Cottbus in ihrer jetzigen Form aufzulösen und mit der Fachhochschule (FH) Lausitz in Senftenberg zu einer neuen Uni zu verschmelzen. "Wir sind fassungslos", sagt Misera.
"Wir sehen die Fusion als einzige Chance, beide Standorte zu erhalten", sagt dagegen Brandenburgs parteilose Wissenschaftsministerin Sabine Kunst. Die Alternative wäre nur, erfolglose Bereiche zu schließen, damit aber würde man das Überleben der einzelnen Institutionen gefährden. Kunst schwebt ein Campus mit dem Schwerpunkt "Energie, Umwelt, Mensch" vor, der zum Wintersemester 2013 starten soll. In der neuen Uni sollen Fächer, Professoren und Studenten sowohl der BTU als auch der FH zusammengefasst werden. Es ist ein gewagtes Experiment in der deutschen Hochschulpolitik.
Bislang gibt es nur ein gelungenes Beispiel einer Fusion, die Leuphana Universität Lüneburg. 2005 wurden dort Universität und FH zusammengelegt. Nach anfänglichem Knirschen hat sich die Uni sehr erfolgreich entwickelt.
In Cottbus hingegen ist die Zukunft ungewiss und der Widerstand sehr groß. Die Uni befürchtet ein Downgrad, weniger Drittmittel, schlechtere Forschungsbedingungen und organisatorisches Chaos. "Ich halte die Schließung der beiden bestehenden Hochschulen mit anschließender Neugründung für absolut kontraproduktiv", sagt BTU-Präsident Walther Zimmerli. Die Diskussionen um eine "Gesamthochschule" produziere bereits "Kollateralschäden", so Zimmerli, der früher mal die Auto-Uni von Volkswagen aufgebaut hat. Namhafte Professoren drohen schon mit Weggang. Der Geoforscher Christoph Egbers etwa sagt: "Wenn es zur Fusion kommt, werde ich gehen."
Auch Studenten fühlen sich offenbar abgeschreckt: Zum aktuellen Wintersemester verzeichnet die Uni einen deutlichen Einbruch bei den Einschreibungen. Im Fach Mathematik etwa gibt es nur acht Erstsemester, im Vorjahr waren es 30.
Mit insgesamt 6700 Studenten war die BTU nie eine sonderlich große Universität. 1991 hat das Land BTU und FH gegründet - damals hoffte man auf blühende Hochschullandschaften und wirtschaftlichen Aufschwung in einer der strukturschwächsten Regionen Deutschlands. Eine Erwartung, die vor allem die Cottbusser nicht erfüllen konnten.
In einem in Januar vorgelegten Bericht einer Expertenkommission zur Weiterentwicklung der Hochschulregion Lausitz heißt es: Der BTU sei es nicht gelungen, die von einer technischen Universität zu erwartende Forschungsstärke zu entwickeln; sie sei bis heute kein Mitglied der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und habe kein klares Forschungsprofil entwickelt. Die Experten unter Vorsitz des Landeshochschulratsvorsitzenden Rolf Emmermann kritisieren überdies, dass der Wille zur Kooperation mit der FH fehle.
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Bereits 2002 hatte der Wissenschaftsrat, das oberste wissenschaftspolitische Beratergremium, die Uni aufgefordert, sich stärker zu spezialisieren und enger mit der FH zu kooperieren. Was sie jedoch kaum tat. "Wir haben hier zwei fachlich ähnlich aufgestellte Hochschulen, die sich mehr bekämpfen als kooperieren", sagt auch Wissenschaftsministerin Kunst.
"Vergleicht man die bundesweite Zusammenarbeit von Universitäten und Fachhochschulen in der Forschung, stehen die BTU und die Hochschule Lausitz gar nicht so schlecht da", erwidert Zimmerli. Was die unbefriedigende Forschungsleistung betrifft, da werde viel "schlecht geredet", so Zimmerli, die BTU hätte 32 Mio. Euro Drittmittel eingeworben, vom Land würde sie nur 50 Mio. Euro im Jahr bekommen. Die Emmermann-Kommission hingegen konstatiert, dass "Anspruch und Realität vielfach auseinanderfallen, was sich auch in einer teilweise unkritischen Selbstwahrnehmung äußert". Mehr Klatsche geht nicht.
"In großen Teilen geht es um Befindlichkeiten", sagt Günter Schulz, Präsident der FH Lausitz. Schulz ist für die Fusion, seine Hochschule würde davon profitieren. "Wir können gemeinsam mehr schaffen", sagt er. Und durch den Bologna-Prozess würden die Unterschiede zwischen Uni und FH ohnehin schwinden. "Wir machen hier nicht den Breitensport und die anderen Leistungssport", sagt Schulz. Seine mit 3500 Studenten eher kleine FH hat sich im technischen Bereich profiliert. Die Vernetzung zur Wirtschaft sei vorbildlich und im Fachbereich Biotechnologie etwa, lobt die Emmermann-Kommission, erreiche die Hochschule sogar "universitäres Niveau".
  • Aus der FTD vom 26.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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