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Reden im Deutschen Bundestag

Reden im Deutschen Bundestag

73. Rede im Deutschen Bundestag

08.11.2012

 08.11.2012

Zerrbilder auf beiden Seiten
Rede zu transatlantischen Beziehungen Philipp Mißfelder
6.) Beratung BeschlEmpf u Ber Auswärtiger Ausschuss

zum Antrag SPD
Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen

- Drs 17/9728, 17/10169 -

 

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Amerika hat gewählt, und Deutschland hat in starkem Maß Anteil daran genommen. Die Begeisterung gerade vieler Deutscher über die Wiederwahl von Barack Obama zeigt, dass sich unsere Völker sehr nahe sind. Ich kenne kein anderes Beispiel dafür, dass Menschen so lange wach bleiben, um mit großer Spannung eine Wahl zu verfolgen, mit den Kandidaten mitzufiebern und sich letztendlich darüber zu freuen, dass sich der Wunschkandidat – jedenfalls der meisten Deutschen, wenn man den Umfragewerten glauben kann – durchgesetzt hat.

Rainer Stinner hat es bereits angesprochen: Es gibt sehr viele Stereotypen, die gegenseitig bedient werden. Einerseits erwarten die Amerikaner von uns mehr Aktivität bei der Verschuldungskrise im Euro-Raum. Gegenseitiges Unverständnis herrscht an mancher Stelle in der Geldpolitik. Manche Amerikaner erwarten von uns, die Probleme durch eine radikale Inflationspolitik zu lösen. Andererseits betrachten viele Europäer das amerikanische Budget und die nach wie vor hohen Verteidigungsausgaben mit großer Skepsis. Ich glaube, die Zerrbilder, die auf beiden Seiten entstanden sind, haben auch etwas damit zu tun, dass aufgrund der Spaltung Amerikas, die offensichtlich ist – das wurde bereits angesprochen –, ständig Extrembeispiele genannt werden. Peter Hintze und ich haben vor ein paar Wochen an der Republican Convention teilgenommen und haben gesehen, wie zerrissen diese Partei ist und wie die Tea Party teilweise versucht, die Richtung und den Kurs der von sehr vernünftigen Außenpolitikern geprägten republikanischen Partei fundamental zu verändern. Das ist ein Zeichen dafür, dass es in vier Jahren unter Barack Obama nicht gelungen ist, das Land zu einigen. Nein, es ist an manchen Stellen tiefer gespalten, als man erwartet hat. Das betrachten wir natürlich mit großer Sorge.

Vor dem Hintergrund, dass sich der Blick in der Administration Obamas mehr in Richtung Pazifik richtet – er selbst bezeichnet sich als ersten pazifischen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika –, hat die althergebrachte Konstellation „Europa und die USA gemeinsam“ zwar keine Risse bekommen. Sie hat aber nicht mehr die oberste Priorität. Das führt teilweise zu einer Entfremdung. Diese muss allerdings nicht von Dauer sein und muss uns auch nicht schaden, im Gegenteil. Ich glaube, dass die Wiederwahl von Barack Obama in den USA die Chance bietet, die nicht behandelten Themen aufzugreifen und für mehr Verständnis auf beiden Seiten des Atlantiks für den jeweils anderen zu werben. Die Bundeskanzlerin hat in ihren Gratulationsworten deutlich gemacht, dass Herr Obama in Deutschland nach wie vor sehr herzlich willkommen ist. Wir freuen uns auf Barack Obama als wiedergewählten Präsidenten. Wir freuen uns, wenn er die Bundesrepublik Deutschland besucht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In den Vereinigten Staaten ist die Selbstdefinition der Rolle der USA – das konnte man gerade in der dritten Fernsehdebatte sehen – sehr wichtig. Wenn man beide Kandidaten im Wahlkampf verfolgte, konnte man feststellen, dass keiner davon gesprochen hat, dass Amerika bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, im Gegenteil. Obama hat gestern in seinen Dankesworten davon gesprochen, dass er weiß, dass die Amerikaner nach zehn Jahren Krieg in Afghanistan und im Irak nur eines wollen: sich um ihre Probleme kümmern und die offenen Fragen in den USA beantworten. Sie wollen nicht durch weitere Interventionen in der Welt die Rolle des Welt-polizisten übernehmen.

Das, was viele Europäer eingefordert haben, nämlich dass die UNO an die Stelle der USA als Weltpolizist tritt, wird nun in Erfüllung gehen. Leider zeigt Syrien als aktuelles Beispiel, dass die UNO keineswegs die Kompetenzen hat, entsprechende Probleme zu lösen. Zwar haben wir 2005 die Responsibility to Protect eingeführt und zum Schutz der Zivilbevölkerung das UNO-Statut geändert. Nichtsdestotrotz führt die Blockade im UNO-Sicherheitsrat dazu, dass die UNO an dieser Stelle eher ein Totalausfall ist und nicht als Weltpolizist eingreifen kann. Das bezahlt gerade die Zivilbevölkerung in Syrien mit ihrem Leben. Man kann lange darüber spekulieren, warum das der Fall ist, ob die Ursache dafür der Rückzug der Amerikaner aus der Weltpolitik oder das verloren gegangene oder mangelnde Vertrauen zwischen der westlichen Welt und China bzw. Russland gewesen ist. Darüber kann man lange diskutieren. An all diesen Ver-mutungen ist etwas dran. Aber wir als mittlere Macht in Europa können es nicht hinnehmen, dass ein Fall wie Syrien unerledigt im UN-Sicherheitsrat liegt. Wir dürfen nicht wegschauen, sondern wir müssen das Thema mit großer Ernsthaftigkeit begleiten.

Ich gehe davon aus, dass gerade von den Amerikanern erwartet wird, dass wir in Zukunft mehr Verantwortung innerhalb der NATO übernehmen als weniger. Ich bin gespannt darauf, welche Antwort unser Land und unsere Bevölkerung darauf geben werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Erwartungshaltung der USA ist auf jeden Fall klar, was die Agenda der NATO betrifft. In Sachen Sharing und Pooling, das heißt Fähigkeiten zusammenführen und Lasten teilen, ist die Erwartungshaltung in Washington ganz klar, dass wir mehr leisten müssen. Ich weiß nicht, ob alle dazu bereit sind. Ich glaube, dass die Grundsatzdiskussion in unserem Land noch geführt werden muss, ob wir militärisch, wirtschaftlich und auch finanzpolitisch bereit sind, einen größeren Beitrag zu leisten.

Ich bin vergangene Woche in Boston und New York gewesen.

(Zurufe von der SPD)

– Ich weiß nicht, wo Sie zuletzt waren; ich auf jeden Fall war in der letzten Woche in den USA. – Ich habe mit großem Interesse verfolgt, welche Debatten in den USA geführt werden, insbesondere im geistigen Zentrum, der Harvard University. Viele sprechen von „decline“. Rainer Stinner hat gerade die europäischen und amerikanischen Medien angesprochen. Ob nun Erfindungen von Amazon, neue Technologien wie Facebook oder andere Innovationen der Internetwirtschaft – alles kommt aus Amerika. Ich kann allen nur das Buch The Quest von Yergin empfehlen, in dem Sie nachlesen können, welche großen energiepolitischen Herausforderungen Amerika gerade meistert. Ich glaube, dass Amerika nach wie vor das innovativste und dadurch auch wirtschaftlich erfolgreichste Land der Welt ist und es auch bleiben wird. Deshalb würde ich auch nicht von „decline“ sprechen; Amerika ist vielmehr der wichtigste und beste Partner, den sich Deutschland wünschen kann.

Ich komme auf meine Reise und den Besuch der Universität von Harvard zurück. Herr Kollege Klose, ich habe dort sehr viele, zugegebenermaßen ältere Professoren getroffen, die bewundernd über Ihre Arbeit gesprochen haben. Das gilt nicht nur für Karl Kaiser, der mit Ihnen freundschaftlich verbunden ist, sondern auch für viele amerikanische Professoren, die dort lehren. Sie haben von Ihrer großartigen Lebensleistung und Ihrer Tätigkeit im Deutschen Bundestag gesprochen und betont, wie sehr Sie sich für die Beziehungen unserer beiden Staaten eingesetzt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich im Namen unserer Fraktion danken. Ich möchte Ihnen auch für die kollegiale und menschlich wunderbare Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg danken. Die Anerkennung, die Sie in den USA genießen, muss erst einmal jemand aus unserem Kreis und unserer Generation erwerben. Deshalb möchte ich Ihnen, auch im Namen meiner Fraktion, meinen ganz großen Respekt bekunden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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