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Merken   Drucken   07.12.2012, 15:30 Schriftgröße: AAA

Die FTD-Kolumnisten: Unser letzter Wille

Sie waren ein Herzstück der Zeitung und pointiert, scharf, teils brillant: Ihre Kolumnen, Leitartikel und Kommentare haben die FTD entscheidend geprägt. Zum letzten Mal: Unsere Kolumnisten sagen, was Sache ist.
© Bild: 2012 FTD/Heiko Saturai
Kommentar Sie waren ein Herzstück der Zeitung und pointiert, scharf, teils brillant: Ihre Kolumnen, Leitartikel und Kommentare haben die FTD entscheidend geprägt. Zum letzten Mal: Unsere Kolumnisten sagen, was Sache ist.
Christian Kirchner, Stv. Ressortleiter Finanzen bei den Gruner + ...   Christian Kirchner, Stv. Ressortleiter Finanzen bei den Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien

Noch einmal warne ich: Wenn sich alle sicher sind, stinkt's

Auf keinen von mir je geschriebenen Artikel bin ich öfter angesprochen worden als auf die Kolumne über die "Generation ING-Diba" im Februar 2011. Ich habe darin beschrieben, wie sich die Vermögensplanung Hunderttausender Menschen im Alter zwischen Mitte 20 und Anfang 40 derzeit darstellt: Verunsichert von Verlustängsten, misstrauisch gegenüber Beratern und getreu dem Motto "Wer nichts macht, macht auch nichts falsch", horten die Leute hohe Summen auf mager verzinsten Tagesgeldkonten. Dann stürzen sie sich direkt in eine Immobilienfinanzierung, denn damit macht man ja angeblich nichts falsch. Inflationssicher, wertbeständig, keineswegs zu teuer sind Immobilien - erzählen Heerscharen von Maklern, Bankberatern und die "Experten" im eigenen Bekanntenkreis.

Meine Sorge, dass viele derartige Modelle schiefgehen werden, ist seitdem gewachsen. Das Preisniveau ist weiter gestiegen. Kaufentscheidungen werden immer schneller getroffen. Der Markt lasse keine Wahl, heißt es dann. Erwerbs- oder Krankheitsrisiken berücksichtigt kaum jemand. Oder was passiert, wenn man sich scheiden lässt. Der Glaube an die Liquidität des Marktes ist groß. Die Lust auf langfristig renditestarke Aktien und Aktienfonds? Nahe null.

Ich kann verstehen, dass die Beschäftigung mit einer eigenen Immobilie mehr Spaß macht als mit der sonstigen Vorsorge- und Vermögensplanung. Und, klar, die emotionale Rendite zählt auch. Was ich aber bislang an Zahlen über Immobilien jenseits der anekdotischen Evidenz gelesen habe, überzeugt nicht. Sie sind langfristig weder besonders rentabel, noch bieten sie im Krisenfall einen überzeugenden Schutz vor Wertverlust oder Inflation.

Vor allem aber sagt mir mein Gefühl: Wenn sich alle einer Sache so sicher sind, stinkt's. Das war bei Aktien 2000 so. Und das wird demnächst auch wieder bei Immobilien so sein.

Christian Kirchner

Sven Clausen ist stellvertretender Chefredakteur der FTD   Sven Clausen ist stellvertretender Chefredakteur der FTD

Deutsche Vorstandschefs müssen ihr Begleitpersonal wechseln

Vor Kurzem saß ich mit einem der erfolgreichsten Unternehmensberater der Republik zusammen. Nach einem langen Zwiegespräch drängte es ihn, seinen Job in einem ehrlichen Satz zusammenzufassen: "Unser Geschäft heißt: Der CEO ist einsam." Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Markt für Berater. Und der Markt wächst. Es gibt also viele einsame Vorstandschefs in Deutschland.

Natürlich sind die nicht im Wortsinne einsam. Eher im Gegenteil: Um sie herum wimmelt es nur so von Stabsabteilungen. Aber das hilft nicht viel. Diese Abteilungen werden beherrscht von Karrieretaktikern, die ihre Aktionen daran orientieren, wie es ihnen für ihre Chefs kommod erscheint. Der Aufsichtsratschef eines DAX-Konzerns, mit dem ich darüber sprach, hat in seiner Verzweiflung einen schönen Begriff für diese Spezies gefunden: Corporate Survivors. Solche Leute nutzen Chefs bei deren vornehmster Aufgabe wenig: strategische Widersprüche zu identifizieren und zu formulieren. In ihrer Not holen sich die Chefs dann Berater, die genau das tun, was eigentlich ihre besten Leute leisten müssten.

Das ist grandios ineffektiv. Deutsche Vorstandschefs sind angesichts ihres wachstumsschwachen Heimatmarkts darauf angewiesen, auf die Dynamiken der Schwellenländer rasch zu reagieren. Mit Corporate Survivors, egal ob männlich oder weiblich, geht das nicht. Der klügste Weg ist, ihre Unternehmen auch im Topmanagement zu dynamisieren. Und wenn es deswegen Irritationen gibt, sind sie genau auf dem richtigen Weg.

Mein liebstes Beispiel: Große Teile der deutschen Öffentlichkeit begegnen dem neuen Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain mit Ressentiments, weil er in Indien geboren und in den USA beruflich sozialisiert wurde. Und weil er kein Deutsch spricht. Er ist nach Frankfurt umgezogen, in die Nähe der Konzernzentrale. Hoffentlich versammelt er dort mehr Leute um sich, die für Aufregung sorgen. Sonst wird er ganz schnell ganz einsam.

Sven Clausen

Horst von Buttlar   Horst von Buttlar

Ich sollte in Zukunft wieder mehr aus dem Fenster schauen

Ein Journalistenlehrer hat mir einmal gesagt: "Ein Journalist muss in der Lage sein, ab und zu einfach nur zwei Stunden aus dem Fenster zu schauen." Das klingt für mich heute wie ein Wunsch aus einer versunkenen Zeit. Ein Großteil unserer Zunft sitzt auf der Content-Galeere und rudert durch den Info-Ozean.

Auch für diesen letzten Text in der FTD konnte ich nicht zwei Stunden aus dem Fenster schauen. Jetzt tue ich es, nur kurz, es ist dunkel, und gerade hat es angefangen in den Innenhof zu schneien. Sie, lieber Leser, bekommen von mir deshalb zum Abschluss eine Salve an Meinungsfragmenten, Fragen und Gedankenrudimenten, die ich gern beim Schauen aus dem Fenster in einen vertretbaren Zustand gebracht hätte. Vielleicht werde ich bald aus einem anderen Fenster schauen, dann hole ich das nach. Los geht's:

 
Alles, was in der Wirtschaft auf -ity und -iance endet, macht uns langsam fertig (Diversity, Sustainability, Corporate Social Responsibility).
Ich will mich nicht mehr auf Partys mit Menschen darüber unterhalten, wie man sein Haus dämmt.
Eine Welt ohne Experten könnte durchaus besser sein als die heutige.
Was ich als Anlage empfehle? Weder Aktien noch Gold: Kaufen Sie sich einen großen Tisch, an dem Sie mit Freunden und Familie sitzen können.
Okay, kaufen Sie doch Gold. So ein paar Krügerrand haben einfach Stil.
Könnte eine Partei antreten mit dem Versprechen, nicht zu reformieren?
Könnte man Statistiken fünf Jahre lang verbieten? Was würde mit uns passieren? Wären wir erfolgreicher?
Dinge, die ich gern wäre: Merkels Mobiltelefon, ein Knock-out-Zertifikat, ein großer Wurf, die Show von Jon Stewart, ein berühmtes Zitat.
Könnte man die Krise per Gesetz abschaffen? Oder eine neue einführen?
Ich finde es wichtig, viele Talkshows zu haben. Viele Talkshow-Rezensenten wären sonst arbeitslos.
Hätte man die FTD retten können? Ich denke, da muss ich jetzt mal lange aus dem Fenster schauen.

Horst von Buttlar

Thomas Fricke, Chefökonom der Financial Times Deutschland bei den ...   Thomas Fricke, Chefökonom der Financial Times Deutschland bei den Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien

In zwölf Jahren FTD sind Deutschlands Großdenker von neurotischer Selbstpeinigung in neunationalen Hochmut gewechselt. Dabei bräuchte das Land dringend den Mittelweg.

Winston Churchill soll ja mal gesagt haben, dass man die Deutschen entweder zu Füßen hat - oder an der Gurgel. Das ist natürlich unerhört übertrieben, böse britisch und überhaupt, na ja, so falsch wahrscheinlich nicht.

Als die FTD vor zwölf Jahren startete, war es im Land der Hans-Olaf Henkels jedenfalls Mode, das deutsche Ende zu prophezeien, den Niedergang des Standorts, den Abstieg des Superstars, die Krätze der Basarökonomie. Und als heilige Vorbilder Amerikaner, Briten und Iren zu preisen, manchmal sogar Spanier (kein Scherz). Partymotto: Zu Boden, Deutschland. Sie erinnern sich.

Böses ausländisches Kapital

Zwölf Jahre später ist alles anders. Jetzt preisen Deutschlands Großdenker niemanden mehr - außer unser Exportreich. Da deklassieren wir selbstlobend die anderen, zeigen den Schluderern, wie es geht. Und schimpfen über unsolide Amis, Briten, ach, das böse angloamerikanische Kapitalistenreich, das nur unser Geld will. Erst recht die Südländer. Bonjour Neurose. Da reicht mittlerweile die falsche Nationalität des EZB-Chefs, um Schuldenländer-Komplotts zu vermuten. Oder südliche Erpressung, wenn eine Regierung nicht sofort macht, was wir ihr verschreiben. Zu Boden, Widerborste. Der Rest der Welt wird grad das Gefühl nicht los, als tendiere mancher hier doch zur Gurgellösung.

Dabei ist der neue Hochmut so deplatziert, wie es die Selbstpeinigung war. Deutschland ist ja nicht über Nacht ein anderes Land geworden, wie es das Agenda-Märchen weismacht. Das Land war nie so schlecht, wie es geredet wurde. Wir waren schon wieder Exportweltmeister, als Ifo-Chef Sinn 2003 über den Untergang orakelte. Da gab es die Reformagenda 2010 noch gar nicht. Nie hat der Export so stark gezogen. Von wegen Basarökonomie.

Umgekehrt waren auch die Amis und Briten nie so heilig, wie sie gesprochen wurden. Selbst hochflexible Arbeitsmärkte helfen nicht, wenn Immobilienmärkte und Finanzbranche verrückt spielen und es dann crasht, was, Zufall oder nicht, gerade die ehemaligen Lieblinge traf. So was.

Daraus heute eine deutsche Lehrmeisterbefähigung abzuleiten ist genauso absurd. Eine Immobilienblase? Hatten wir vor 20 Jahren nach der Einheit. Lohnexzesse? Ebenfalls. Staatsdefizite? Wir waren die Ersten, die über Jahre gegen den Stabilitätspakt verstießen. Damals hatten Spanier wie Iren Überschüsse. Und: Wenn's kritisch wurde, war die Bundesbank immer höchst pragmatisch. Anders als in der Predigt. Gut so.

Allerdings dürfte die Bundesbank selten so viel internationales Ansehen in so kurzer Zeit verspielt haben wie in jüngster Vergangenheit: indem Bundesbankchefs über Monate gegen die Krisenpolitik poltern, dann aber flüchten. Was bleibt, ist der Eindruck, dass man weder argumentativ überzeugen kann - noch weiß, wie die Krise anders zu lösen wäre.

Thomas Fricke

Meisterwechsel: Arbeitslosenquoten   Meisterwechsel: Arbeitslosenquoten

Zumal wenn die Praxis dann die Worte Lügen zu strafen scheint. Seit der EZB-Chef im Sommer als letzte Instanz intervenierte, wie es jede andere Notenbank der Welt tut, hat die Krise an Dramatik verloren - ohne dass massig Staatsanleihen gekauft werden mussten, wie deutsche Mahner prophezeit hatten. Nun fließt Kapital wieder in die Südländer. Erst mal Schluss mit Target-2-Alarm.

Die Erfahrungen der vergangenen zwölf Jahre lehren, dass Amerikaner und Briten durchaus Grund haben, sich etwas von deutscher Stabilitätskultur, Exportspezialisierung, ausgeprägten Sozialsystemen und geringeren Einkommensgefällen abzugucken. Mindestens ebenso weise wäre aber, wir würden auch von anderen lernen. Stabilität ist weder eine deutsche Eigenart noch als Mittel gegen alle Übel der Welt tauglich. In Krisen wie der jetzigen muss eine Notenbank auch mal intervenieren, um Abwärtsspiralen zu stoppen. Da hilft das Beten von Prinzipien gar nichts, im Gegenteil. Da braucht es auch einmal Konjunkturpakete, was anno 2000 noch verpönt war. Die Bundesregierung hat das offenbar verstanden, wenn sie jetzt präventiv das Kurzarbeitergeld verlängert. Wenn sich die Konjunktur nicht bald zum Besseren wendet, muss mehr her.

Das Jammern der ersten 2000er-Jahre hat stark dazu beigetragen, die damalige Stagnation zu verstärken und die Arbeitslosigkeit auf fünf Millionen steigen zu lassen. Wie fahrlässig. Genauso fahrlässig ist es jetzt, die deutsche Wirtschaft zur Übermacht zu stilisieren. Der nächste Abschwung kommt bestimmt. Und dann wäre es gut, die Sache mit Maß anzugehen, statt uns gleich wieder das deutsche Ende einzureden und uns der Welt zu Füßen zu werfen.

Wie wäre es mit gesundem Stolz und Demut? Dann wären blöde Sprüche von Churchill verzichtbar.

Horst von Buttlar

Peter Ehrlich   Peter Ehrlich

Die soziale Marktwirtschaft hatte zwei Feinde: Sozialismus und Kartelle. Der Sozialismus ist tot. Heute muss sich das System gegen den Kapitalismus durchsetzen.

Wenn eines die wirtschaftspolitischen Diskussionen dieser Zeitung begleitet hat, dann war es die Suche nach dem "dritten Weg". Die Suche nach einem System, das Marktwirtschaft fördert, aber Fehlentwicklungen an den Märkten erkennt und bremst. Ein System, das die Entfaltung aller Bürger garantiert, statt nur den Erfolg begünstigter Eliten oder den Erhalt verkrusteter Strukturen in staatlichen Großsystemen zu sichern.

Die Versuche, die soziale Marktwirtschaft neu zu beleben, waren im vergangenen Jahrzehnt nur mäßig erfolgreich. Der "dritte Weg" von New Labour war am Ende zu sehr auf die Person Tony Blairs zugeschnitten, ihm fehlte ein positiver europäischer Ansatz. Die Agenda 2010 war klüger, als sie verkauft wurde, aber in der Euro-Krise dient sie als Begründung für undifferenzierte Sparwut.

Was uns fehlt, ist eine Neudefinition der sozialen Marktwirtschaft. Ich glaube, dass man Ludwig Erhard neu lesen muss, und zwar von links. Wer sich heute auf den "Vater des Wirtschaftswunders" und zweiten Bundeskanzler beruft, ist meist im eher konservativen Lager angesiedelt. Die Ludwig-Erhard-Stiftung oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft haben eine große Nähe zu Wirtschaftsverbänden und die Stiftung eine Neigung zur Euro-Skepsis. Eine zeitgemäße Interpretation Erhards könnte, nein sollte anders aussehen.

Was hat Erhard dazu gebracht, Bücher wie "Wohlstand für Alle" zu schreiben? Er hat sich gegen zwei Systeme seiner Zeit gewandt. Das eine war die sozialistische Planwirtschaft, wie sie in der Sowjetunion und der späteren DDR praktiziert wurde. Die andere Erfahrung war die mit einem von großen Industriekartellen beherrschten System im Deutschen Reich und der Weimarer Republik, das im Nationalsozialismus mit der staatlichen Kriegswirtschaft verschmolz. Die CDU, man erinnert sich, neigte bei ihrer Gründung anfangs eher dem sozialistischen Modell zu.

Erhard stand aus historischen Gründen etwas abseits der klassischen wirtschaftspolitischen Kontroverse des 20. Jahrhunderts zwischen John Maynard Keynes und Friedrich August von Hayek. 1948 war Deutschland kein finanzpolitisch souveräner Staat, der die Wirtschaft mit staatlichem Geld hätte ankurbeln können. Den keynesianischen Part übernahm der Marshallplan der USA. In einer Notwirtschaft mit Essenmarken waren hayeksche Diskussionen darüber, ob der Staat zu stark ins Wirtschaftsleben eingreift, unsinnig. Erhard und den Vordenkern des Ordoliberalismus ging es um die Befreiung der produktiven Kräfte der Gesellschaft durch Marktwirtschaft. Erhard wollte den Markt verteidigen gegen Kartelle, er wollte ein System, in dem jeder vom Wachstum profitiert, und einen Sozialstaat zur Ergänzung. Sicher hat er sich den Sozialstaat nicht so umfangreich vorgestellt, wie er heute ist. Aber in den 40er- und 50er-Jahren hat die Politik auch die demografische Entwicklung falsch eingeschätzt.

Den Sozialismus als Antagonisten der sozialen Marktwirtschaft gibt es nicht mehr. Erhard würde sich heute mit dem globalen Kapitalismus auseinandersetzen. Nicht in Form undifferenzierter Globalisierungskritik oder eines platten "Die Banken sind an allem schuld". Einem Christdemokraten alter Schule würde es nicht entgehen, dass das Prinzip organisierter Verantwortungslosigkeit die kapitalistischen Strukturen prägt.

Oft sind es ja nicht einmal Kartelle, sondern lose Zusammenschlüsse, die weltweit ihre Interessen durchsetzen - bis hin zur groß angelegten Manipulation von Wahrheit, etwa indem sie den Klimawandel infrage stellen.

Heute sitzt kein Eisenbahnbaron wie im 19. Jahrhundert und kein Dr. No aus James Bond als Oberkapitalist herum. Das System sammelt in der Gestalt freundlicher Bankberaterinnen Geld ein, das so oft umgeschichtet und gebündelt wird, bis daraus Rohstoffspekulation, Hungerrevolten, Landzerstörung, der Aufkauf von Millionen Hektar Land in Afrika werden. Das geschieht im Zeichen der Märkte, nur dass dabei lokale Märkte und Produktivkräfte zerstört werden.

Die unbeantwortete Grundfrage der wirtschaftspolitischen Diskussion ist, ob die Akkumulation von Kapital überhaupt Interesse an einer funktionierenden Marktwirtschaft hat. Monopole und Oligopole sind für die Anteilseigner attraktiver.

Marktwirtschaft ist älter als der Kapitalismus. Der Sozialismus ist bereits an der Negation der Marktkräfte gescheitert. Vielleicht könnte das dem Kapitalismus in seiner heutigen Form auch blühen. In Krisenzeiten beschleicht einen ja das Gefühl, das System könne an sich selbst zugrunde gehen. Man sollte sich Kapitalismus und Marktwirtschaft gelegentlich als Gegensätze vorstellen.

Peter Ehrlich

Ines Zöttl, Teamleiterin Ausland bei den Gruner + Jahr ...   Ines Zöttl, Teamleiterin Ausland bei den Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien

Als ich meinen Schreibtisch aufräumte, bin ich auf einen Schatz gestoßen. Es gäbe ja noch so viel zu schreiben!

Vor einiger Zeit habe ich damit begonnen, meinen Schreibtisch bei der FTD aufzuräumen. Man weiß ja nie. Es fanden sich eine Menge Dinge, die nun einer neuen Verwendung zugeführt werden können und müssen: ein Haufen 20-Cent-Münzen, aus dem ich meine Beutezüge zur Snackbox finanziert habe. Eine rot-goldene Anstecknadel, die mich zur "Aktivistin der sozialistischen Arbeit" kürt. 280 unbenutzte Gruner+Jahr-Visitenkarten (ich habe nach der Gründung der Wirtschaftsmedien heimlich die lachsrosa FTD-Karten weiterbenutzt).

Vor allem aber barg die Schublade Dinge, die eigentlich Ihnen, den Lesern, gehören: Ideen und Materialsammlungen für Kommentare und Geschichten. "Revolutionstheorie" hab ich auf eine der Hängemappen gekritzelt: Wovon hängt es ab, ob ein Volk gegen einen Diktator aufsteht? Wieso stürzte Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, während der genauso schlimme Mahmud Ahmadinedschad munter weitermachen darf? Ich habe in meiner Zeit bei der FTD keine befriedigende Antwort darauf gefunden. Auf einem anderen archivierten Ausriss lese ich mit Interesse, dass die Neurologie kurz davorsteht, Gedanken lesen zu können. Faszinierend. Ich entdecke, dass Ökonomen daran arbeiten, eine neue Maßeinheit für den Reichtum von Nationen zu finden, die auch geistiges Potenzial und natürliche Ressourcen bewertet. Am glücklichsten sind laut der von mir dazugelegten, schon etwas vergilbten Statistik allerdings die Indonesier, auch wenn das deutsche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf achtmal so hoch ist.

Mein Ordner "Weltordnung" birgt eine lange und überzeugende Abhandlung darüber, dass Amerika zum Niedergang verurteilt ist - und eine, die ebenso einleuchtend das Gegenteil argumentiert. In der Mappe "Glück" findet sich eine Art Studie, wie man an die Spitze einer Organisation gelangt und wie man sich dort hält. Networking, klar, aber auch Schmeichelei hilft. Aber was hat das mit Glück zu tun? Sicher habe ich mir damals etwas dabei gedacht.

Noch von meinem Vorgänger hab ich einen Ordner Religion/Papst geerbt - ich habe das dann explizit um "Islam" ergänzt. Es ist trotzdem eine dünne Mappe geblieben. Das Thema war mir dann doch zu schwierig. Auch wenn es sicher wichtiger ist als vieles andere, worüber ich in den vergangenen Jahren geschrieben habe.

Jetzt kann ich es ja zugeben: Wir Journalisten beschäftigen uns ausschließlich mit dem, was uns selbst interessiert. Wenn uns etwas ärgert, belustigt, beeindruckt oder selbst betrifft, dann schreiben wir darüber. Und dann finden wir Gründe dafür, warum Sie, der Leser, das unbedingt wissen wollen und müssen. Auf mindestens 120 Zeilen. Dieses Verfahren klappt mal besser, mal schlechter. Die Mappe "Leserbriefe" in meinem Schreibtisch zeugt davon.

Noch etwas hab ich unter all den Papieren, Aspirintütchen, Brillentüchern und Urlaubsanträgen im Schreibtisch gefunden: eine offensichtlich schon einige Jahre alte Tüte saure Pommes und ein nicht viel frischeres Hanuta. Beides erklärt womöglich das vermehrte Auftreten von Mehlmotten im Großraum in Berlin in letzter Zeit. Oder mögen Motten keine Gummibärchen? Darüber würde ich gerne mal was lesen.

Ines Zöttl

Andreas Theyssen, Ressortleiter Politik bei den Gruner + Jahr ...   Andreas Theyssen, Ressortleiter Politik bei den Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien

Der Bundestagswahlkampf hat noch nicht richtig begonnen. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Versprechen in Serie gebrochen werden.

Sind sie nicht putzig? Wie sie sich verhaken, wie sie sich einbuddeln, wie sie sich festlegen. Wie sie Gräben ausheben, obwohl die Brücken längst gebaut sind. Wie sie sich in Lagern verschanzen, ganz wie im deutschen Mittelalter, also wie zu Zeiten von Helmut dem Dicken.

Der Wahlkampf hat noch nicht einmal richtig begonnen - das Geplänkel um Peer Steinbrücks Rednerhonorare zählt nicht -, da ist eigentlich schon alles klar: nämlich, wer nach der Wahl mit wem auf gar keinen Fall koalieren wird. Hier Schwarz-Gelb, dort Rot-Grün - also alles klar.

Wir fassen zusammen: Die Union steht in Treue fest zur FDP, ganz gleich, wie sehr CSU-Vorsteher Horst Seehofer die Liberalen zwiebelt oder über den Tisch zieht. Die Freien Demokraten wiederum stehen fest zur Union, weil Philipp Rösler nicht anders kann, Rainer Brüderle sich nicht traut und Christian Lindner sowie Wolfgang Kubicki in der Bundespolitik noch nichts zu sagen haben.

Auf der gegnerischen Seite hat sich SPD-Kandidat Steinbrück, der zu seinen NRW-Zeiten den Grünen-Fresser gab, auf die Grünen festgelegt. Für eine Große Koalition steht er nicht zur Verfügung. Sagt er. Die Grünen stehen in Treue fest zur SPD, Göring hin, Eckardt her.

Schauen wir einmal, wie es wirklich ist. Seit Monaten führt die Union in den Umfragen, die Kanzlerin hat hervorragende persönliche Werte, abwählen mag sie kaum einer. Die FDP muss konstant um den Wiedereinzug in den Bundestag zittern. Nur ein Wunder kann Schwarz-Gelb nach der Bundestagswahl möglich machen. Aber dafür müsste schon der liberale Sonnyboy Lindner aus NRW bundespolitisch wiederauferstehen. Was er aber, so sagt er ständig, gar nicht will.

Die SPD liegt, nachdem der Steinbrück-Effekt beim ersten Eierschleifmaschinentest weggeschmirgelt wurde, wieder weit hinter der Union. Die Grünen stehen zwar gut da, aber die Sozen sind eben zu schwach. Nie im Leben reicht es für Rot-Grün.

Rot-Rot-Grün ist mehr als unwahrscheinlich, denn von den derzeit tonangebenden Obersozis will keiner mit den Schmuddelkindern von der Linken spielen. Und die Piraten, die Shootingstars des Frühjahrs? Selbst wenn sie es in den Bundestag schaffen sollten - wer will schon mit einer Partei koalieren, die seit Monaten fast täglich beweist, dass sie politikunfähig ist?

Was also bleibt nach der Bundestagswahl? Eine Große Koalition oder aber Schwarz-Grün. Und so gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was wir nach der Wahl von den Protagonisten zu hören bekommen. Es wird heißen: "Entschuldigen Sie mal! Was sollten wir denn sonst machen?"

Das wird Angela Merkel sagen, wenn sie mit den Sozialdemokraten oder den Grünen eine Koalition bildet. Der Machterhalt, schöner ausgedrückt: Gestaltungswille, ist einfach wichtiger als das Lagerdenken. Das wird Peer Steinbrück sagen, wenn er dann doch Minister unter Merkel in einer Großen Koalition wird. Einer wie er wird sich in so einem Fall doch nicht in den Schmollwinkel zurückziehen. Und das werden Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt sagen, wenn sie doch Schwarz-Grün machen. Voraussichtlich mit der Begründung, den Schwarzen dürfe man doch die Energiewende nicht allein überlassen.

Es wird gebrochene Wahlversprechen in Serie geben. Aufregen sollten wir uns darüber nicht. In einer Demokratie muss jede Partei mit einer anderen demokratischen Partei koalieren können. Aber vielleicht lernen es Politiker ja irgendwann einmal, dass man keine Lagerwahlkämpfe führt. Weil sie unglaubwürdig sind.

Andreas Theyssen

  • Aus der FTD vom 08.12.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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Kommentare
  • 27.12.2012 07:21:59 Uhr   Bernd das Brot: Funktioniert das noch

    Tot, aber kann noch konduliert werden?

  • 13.12.2012 16:13:11 Uhr   JunkersJU: Rendite
  • 13.12.2012 15:39:25 Uhr   Dr. Jäkel & Mr. Hyde: Zeitungsentsorgungskosten
  • 13.12.2012 10:43:07 Uhr   w.schmid: Der dumme Kunde ist schuld..
  • 12.12.2012 14:56:06 Uhr   Spekulant: lachsrosa Qualitätserdmöbel
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