Nichts Genaues weiß man nicht: Der geheimdienstlich-digitale Komplex

Das Utah Data CenterFoto: Swilsonmc. Creative Commons LizenzvertragDieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Zwischenruf zur Außenpolitik

Nichts Genaues weiß man nicht: Der geheimdienstlich-digitale Komplex

"Utah Data Center" im US-Bundesstaat Utah. Das Geheimdienst-Rechenzentrum soll angeblich in Zukunft einen Großteil der Internetkommunikation speichern können. Bild: Swilsonmc Original: Wikimedia Commons Lizenz: CC BY-SA 3.0

15. August 2013
Joscha Schmierer
In welchem Umfang und wie tief die Bundesrepublik, ihre Regierungen und die deutschen Geheimdienste sich bereits auf ein US-amerikanisches Programm der Kriegsführung eingelassen haben, lässt sich erst in groben Umrissen erahnen. Die Verlautbarungen aus der jetzigen Regierung und dem Ausschuss des Bundestages zur Kontrolle der Geheimdienste brachten keine Klarheit. Der Umfang der Verwicklung ist groß und die Verstrickung tief, so viel ist sicher. Das hat wahrscheinlich weniger mit einzelnen Verfehlungen, den Vorstellungen und Taten bestimmter Beteiligter, Institutionen, verantwortlichen Politikern und Beamten zu tun, sondern mehr mit der ganzen Konzeption und Praxis des war on terror, mit dem die USA auf die Anschläge vom September 2001 reagierten. Nicht nur von ihren Verbündeten, sondern von der großen Mehrheit der Regierungen der Staatenwelt und von großen Teilen der internationalen Öffentlichkeit wurde diese Konzeption akzeptiert und teilweise übernommen.

Die Konzeption des war on terror hat – und das wird manchmal vergessen – ihre Ursache nicht im kriegerischen Furor der USA, sondern in den Attacken islamistischer Terroristen auf die USA. Unkritisch zu eigen machen muss man sich diese Konzeption dennoch nicht. Der terroristische Angriff wurde als Kriegserklärung und Kriegseröffnung verstanden, auf die es keine andere Antwort geben konnte als Krieg. So sahen es nicht nur die USA, sondern auch der Sicherheitsrat der UN. Das Problem war freilich von Anfang an, dass die Kräfte, die den Angriff verantworteten, ihn vorbereitet und durchgeführt hatten, nur schwer militärisch zu fassen waren. Der Krieg ging von keinem Staat aus. Wie den Feind also im Krieg treffen?

In einer ersten Phase wurden von den USA die Staaten ins Visier genommen, die - wie Afghanistan - Al Qaida Schutz boten oder - wie Irak und Iran - mehr oder weniger plausibel verdächtigt werden konnten, welchem Terror auch immer Schutz und Unterstützung zu bieten. So fand der Krieg gegen den Terror einen Feind, nur eben nicht den, den es zu schlagen galt. Im Verlauf dieser Kriege - ob wohlbegründet und durch die UN gebilligt wie der gegen das Talibanregime oder nur heraufbeschworen wie der gegen den Irak - zeigte sich, dass der Terror auf diese Art nicht ausgeschaltet und besiegt werden konnte. Er diffundierte lediglich.

Krieg direkt gegen die Schurken

An die Stelle des Krieges gegen Schurkenstaaten, trat der Krieg gegen die Schurken, aber wie ließ sich der als Krieg führen? Obwohl sich der Feind nun auf relativ wenige Personen und Gruppen reduzierte, mussten in der Logik des Krieges die Ausspähung und Beobachtung ausgedehnt werden, um den Feind überhaupt aufzuspüren und dann möglichst vernichtend zu treffen. Um die Wenigen herauszufinden, mussten der Tendenz nach alle ständig unter Beobachtung und Kontrolle gehalten werden. Auf diese, dem Krieg gegen den Terror immanente Tendenz stoßen die jetzt bekannt gewordenen Programme wie Prism etc. eine aufgeschreckte Öffentlichkeit mit der Nase.

Als Rechtfertigung für den Einsatz dieser Programme wird angeführt, dass sie sich ja nicht gegen die Allgemeinheit und gegen die Individuen im Allgemeinen, sondern nur gegen die Terroristen richteten, die sich unter ihnen versteckten. Und um diese herauszufinden, müssten eben alle im Auge behalten werden. Die Terroristen trügen ihr Kainsmal schließlich nicht auf der Stirn. Um alle zu schützen, müssten alle überwacht werden. Folgt man dieser Logik des Krieges gegen den Terror, dann lässt sich nach seinem Scheitern auf der „Achse des Bösen“ wenig, jedenfalls nicht Grundsätzliches gegen die Sammelwut der NSA und der mit ihr verbündeten Dienste sagen. Daraus, und keineswegs allein aus dem Wahlkampf, erklärt sich die Verworrenheit der Debatte unter den Parteien.

Die von der CDU geführte Regierung - heute politisch dafür verantwortlich, was unter Berufung auf die gemeinsamen Sicherheitsinteressen veranstaltet wird - kann die Tendenz zur schrankenlosen Ausspähung, die durch die Enthüllungen sichtbar wurde, weder leugnen noch grundsätzlich in Frage stellen. Sie kann sie beschönigen. Bezeichnend ist aber, dass sie für die Wirkung dieser Tendenz die Regierung Schröder und speziell Walter Steinmeier verantwortlich macht. Gerade Schröder, der Kanzler der rot-grünen Regierung, habe sich doch 2001 für die uneingeschränkte Solidarität mit den USA stark gemacht. Walter Steinmeier sei es doch gewesen, der als Kanzleramtsminister und Koordinator der Geheimdienste 2002 die Vereinbarung mit der NSA ausgehandelt und unterschrieben habe. Sie bilde immer noch die Grundlage der jetzigen Zusammenarbeit mit der NSA. Sofern es also Probleme mit der NSA geben sollte, sei die gegenwärtige Regierung nicht verantwortlich für sie.

Steinmeier sieht in dieser Behauptung einen „ungeheuerlichen“ Angriff. Schließlich seien zum Zeitpunkt seiner damaligen Vereinbarung die heutigen Programme technisch noch gar nicht möglich gewesen. Das ist eine schwache Verteidigung. Die damalige Vereinbarung richtete sich wohl kaum gegen zukünftige technische Fortschritte der Ausspähung oder schloss sie gar aus. Dazu gab es auch keinen Grund bei uneingeschränkter Solidarität.

Es kann sogar sein, dass, wie die CDU unterstellt, mit dem Ausbau der Beziehungen unter den Geheimdiensten der Riss geflickt werden sollte, der durch die Ablehnung des Irakkrieges durch die Bundesregierung zu entstehen drohte. Wenn freilich die CDU mit diesen Vermutungen Entlastung sucht für die jetzt bekannt gewordenen Praktiken, ist es nur lächerlich. Es gab keine Einwände der jetzigen Regierungsparteien gegen die von Schröder ausgerufene „uneingeschränkte Solidarität“. Und dass die jetzige Kanzlerin im Vorfeld des Irakkrieges mit deutscher Zustimmung und Beteiligung liebäugelte, kann kaum als Beleg dafür dienen, dass die CDU etwas gegen eine sehr weitgehende Zusammenarbeit unter den Geheimdiensten gehabt hätte nach dem Motto: Weil wir uns vielleicht am Krieg gegen den Irak beteiligt hätten, wäre eine Kompensation für die Nichtbeteiligung durch engere Zusammenarbeit mit der NSA gewiss nicht nötig gewesen.

Die Wurzeln der Verstrickung

Richtig bleibt aber, dass die jetzt kritisierten und skandalisierten geheimdienstlichen Praktiken in der unmittelbaren Reaktion auf die massenmörderischen Terroranschläge gegen die USA ihre Wurzeln haben. Die Wahrnehmung der koordinierten Terroranschläge als Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt war verbreitet und keine regierungsamtliche Übertreibung. Auf eine Kriegserklärung folgt Krieg. Und in einem gerechten Krieg ist uneingeschränkte Solidarität mit dem Angegriffenen und seiner Selbstverteidigung moralisch geboten. Es war sehr schwer, Einwände gegen diese Argumentation vorzutragen. War es aber vernünftig, die Anschläge allein wegen ihres Ausmaßes als Krieg zu verstehen? Oder handelte es sich nicht um ein gigantisches Verbrechen, dessen Urheber gestellt werden mussten, ohne sie sofort in den Status von Kombattanten zu erheben? Ist es sinnvoll, statt einfach Mitgefühl und Solidarität auszudrücken, letztere gleich „uneingeschränkt“ zu erklären und damit Gefahr zu laufen, bloßer Spielball von Entscheidungen zu werden, die anderswo getroffen werden?

Solche Einwände forderten Bedenkzeit ein, die die Situation nicht herzugeben schien. Umso leichter konnte dann später der Widerspruch gegen den Irakkrieg als Aufkündigung einer Solidarität verstanden werden, die ja als uneingeschränkte Gefolgschaft versprochen zu sein schien. Doch wäre es falsch gewesen, einer Strategie weiterhin Folge zu leisten, die inzwischen auch in den USA als gescheitert gilt. Und richtig ist es heute, eine Strategie abzulehnen, die auf der Suche nach Wenigen den Weg über die Ausspähung aller nimmt.

Die Anschläge vom September 2001 waren ein Angriff auf die USA, zugleich aber auch auf die Staatenwelt, wie sie sich nach 1989 neu zu organisieren begonnen hatte. Die Konsolidierung der Staatenwelt in den UN zu verhindern, war das umfassende Ziel der Terrorangriffe. Eine Wiederholung des Großangriffs auf die USA hat es nicht gegeben. Mit der Destabilisierung arabischer und islamischer Staaten wird das gleiche Ziel verstärkt direkt verfolgt. Ohne die bestehenden Staaten zu sprengen, ist eine Erneuerung des Kalifats als imperialem Zentrum der islamischen Welt ganz ausgeschlossen. Erneuerung des Kalifats aber ist die islamistische Utopie. Mit dem Terrorangriff am 11. September 2001 öffnete der islamistische Utopismus sich ein Zeitfenster. Sicher kann es nicht geschlossen werden, wenn im Kampf gegen diese Bedrohung eine Utopie vollständiger Sicherheit die Generallinie bildet.

Der geheimdienstlich-digitale Komplex

Der militärisch-industrielle Komplex, von dem Präsident Eisenhower am Ende seiner Präsidentschaft die Demokratie bedroht sah, nährte sich am Kalten Krieg. Doch bedeutete 1989 keineswegs seinen Untergang. Er gedeiht weiterhin ganz gut, nicht zuletzt dank seiner Lobbyisten im Kongress. Inzwischen wird er durch einen geheimdienstlich-digitalen Komplex ergänzt, der nicht weniger bedrohlich ist. Er nährt sich am war on terror. Mit ihm hat er sich nach 2001 rasant entwickelt. Bezeichnend für seine Bedeutung und den Vorrang der Geheimdienste sind die Hinweise auf die Abschöpfung der Datensätze der großen amerikanischen Internetunternehmen durch die NSA. Angeblich beugen diese sich nur widerwillig der neuen patriotischen Pflicht. Besonders bezeichnend war die Nachricht über die Schließung des Mailanbieters Lavabit. Er speicherte die E-Mails seiner Kunden verschlüsselt, so dass nur der Empfänger mit seinem Passwort auf sie zugreifen konnte. Edward Snowden soll einer der Kunden Lavabits gewesen sein. Unter dem Druck der Geheimdienste stellte das Unternehmen nun sein Angebot ein. Es wollte sich nicht zur Kollaboration mit den Geheimdiensten zwingen lassen. Ein ähnliches Unternehmen stellte seinen E-Mail-Dienst ebenfalls ein. Man wolle sich nicht in eine Situation zwingen lassen, in der man zwischen der Loyalität gegenüber den Nutzern und den Forderungen des Staates entscheiden müsse (Die neuen Krypto-Kriege, FAZ 10.8.13). Auf der anderen Seite verdienen eine ganze Reihe von Unternehmen an der Überwachung und Ausforschung im Auftrag der NSA. Schon ist in Antwort auf die Nachfrage der NSA ein privater Industriezweig entstanden (Die Profiteure, Zeit 8.8.13). In einem dieser Betriebe hatte Edward Snowden gearbeitet. Auch dieser neue kriegsgemästete Komplex wird unabhängig von der Kriegsdauer wachsen und gedeihen wollen. Der Krieg gegen den Terror ist in seinen Zielen unbestimmt genug, um ein dauerhaftes Geschäft zu versprechen.
  
Portrait: Joscha Schmierer

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.

 

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