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Festival Südamerika in Berlin Auch eine ungewaschene Tonalität hat was Gutes

 ·  Wie klingt Südamerika? Die Antwort suchten der Dirigent Iván Fischer und sein Konzerthausorchester bei einem bemerkenswerten Festival in Berlin. Dabei war auch zu hören, wie Indianer im Stile Vivaldis musizieren.

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© Uwe Arens Vergrößern Beim Auftritt vonTotò La Momposina (rechts) und ihrer Band wurde das Parkett von Mobiliar befreit, damit das Publikum tanzen konnte

Der Schriftsteller Berthold Auerbach hat einen Spruch in die Welt gesetzt, den Redner bei Festivaleröffnungen gerne aus Zitatenfibeln klauben: „Musik allein ist Weltsprache und braucht nicht übersetzt zu werden. Da spricht Seele zu Seele“. Allerdings ist damit erstens nur die europäische Kunstmusik gemeint und zweitens bedurfte es harter Arbeit, damit sie zur Weltseelensprache werden konnte. Diese Arbeit haben professionelle Seelsorger verrichtet, nämlich die Jesuiten – Weltmeister der Musikvermittlung!

Im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt war jetzt das Ensemble Florilegium unter der Leitung von Ashley Solomon mit Barockmusik aus Bolivien zu hören. Fast ausnahmslos handelte es sich um Stücke anonymer Autoren, die in den Archiven von Jesuiten-Missionen der Chiquitos-und Moxos-Indianer überliefert sind.

Im bolivianischen Hochland hatten die Brüder der Societas Jesu Siedlungen gegründet, in denen die Ureinwohner, vor der Gewalt spanischer Kolonialisten weitgehend geschützt, im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert relativ sanft dem Christentum zugeführt wurden und dabei europäische Musik sangen oder auf selbstgebastelten Instrumenten spielten.

Die Indianer spielen Sonaten im Stile Vivaldis

Seit Francisco Javier de Jassu y Azpilcueta, dem großen Jesuiten-Missionar, der Afrika, Indien und Japan bereiste und 1622 als Franz Xaver heiliggesprochen wurde, legte man im Orden großen Wert darauf, die indigenen Kulturen zu studieren und sie mit dem Katholizismus europäischer Prägung zu verschmelzen. So hörte man im Konzerthaus neben lateinisch-sprachigen Kantaten und Arien, die teilweise so klangen, als hätte man Heinrich Schütz oder Dietrich Buxtehude für Laien bearbeitet, auch ein Rezitativ mit Arie in indianischer Sprache: „Caîma, iyaî Jesus“: „Heute, Herr Jesus, komme ich zu dir“. Das klang so vergnügt wie das „Augsburger Tafel-Confect“ von Valentin Rathgeber.

© Marco Borggrove Vergrößern Auch der Dirigent Iván Fischer war begeistert: Szene vom Konzert der Brasilianerin Ceumar bei Festival Südamerika in Berlin

Zu erfahren, dass die Indianer in den Bergen Boliviens Sonaten für Violine und für Flöte im Stile von Antonio Vivaldi oder Friedrich dem Großen gespielt, vielleicht sogar komponiert haben (der Titel „Sonata Chiquitanas“ legt die indigene Autorschaft nahe), gehörte zu den erstaunlichsten und lohnendsten Entdeckungen auf diesem Festival.

Zehn Tage lang gab es in dem rekonstruierten klassizistischen Schinkel-Bau Musik aus Argentinien, Bolivien, Brasilien oder Kolumbien zu hören, ein bisschen auch aus Mexiko, unter der Leitfrage „Wie klingt Südamerika?“. Ja, wie klingt es denn nun? Für europäische Kunstmusikohren doch immer etwas verstimmt oder unsauber.

Sich mit Finesse zu amüsieren, ist gar nicht so leicht

In der Cumbia, jenem traditionellen afro-indianischen Tanz aus Kolumbien, der von Totó La Momposina und ihrer Band vorgestellt wurde (und zwar bei leerem, vom Mobiliar befreiten Parkett, damit das Publikum tanzen konnte), gehört es ja irgendwie zum Prinzip, dass die Kaktus- oder Bambusflöten in einer anderen Tonart spielen als die Bassgruppe. Der französische Komponist Darius Milhaud hat diese ungewaschene Tonalität 1919 in seiner herrlichen Ballettmusik „Le bœuf sur le toit“ ganz ausgezeichnet stilisiert. Und es war eine der besten Ideen von Iván Fischer, dem Chefdirigenten des Konzerthausorchesters, dieses Stück am Eröffnungsabend zu spielen.

Zu den weniger guten Ideen gehörte es, auf die traurig verschmusten Tangos und Schlager von Astor Piazzolla, Heitor Villa-Lobos und Marcelo Tupinambá, dargeboten von der wohlig sentimental schnurrenden Brasilianerin Ceumar, Musik von Maurice Ravel folgen zu lassen. Erstens haben „La Valse“, die Pavane und der Boléro wenig mit Südamerika zu tun. Zweitens ist es für jede noch so hübsche Musik schwer, gegen die klangliche und intellektuelle Brillanz von Ravel zu bestehen, dem in der Kunst, sich mit Finesse zu amüsieren, kaum einer das Wasser reichen kann.

Amüsiert hat sich gleichwohl sicherlich Maestro Fischer, der im Boléro den kurzen Part der Celesta selbst spielte, im Stehen, neben dem Pult. Dirigiert wird das Stück ja sowieso von der kleinen Trommel aus. Fischer, der inzwischen seine Wohnung in Budapest aufgab, wegen der unappetitlichen Politik von Viktor Orbán, wohnt nun mit Familie in Berlin. Sein Konzerthausorchester hat er gut im Griff. Besonders die Streichergruppe hat, seit er vor anderthalb Jahren sein Amt antrat, an Exaktheit, Reaktionsschnelle und Geschmeidigkeit gewonnen.

Die musikalische Wucht von Alberto Ginastera

Was bringt so ein Südamerika-Festival aber über musiktouristische Wellness und die Revitalisierung einer kolonialistischen Weltausstellungsmentalität hinaus? Vor allem die Bekanntschaft mit dem, was hierzulande selten zu hören ist. Das Cuarteto Latinoamericano stellte Streichquartett-Fassungen von Tangos des Argentiniers Carlos Gardel vor, mit jener nervösen Eleganz der zwanziger Jahre, einer leicht gepressten Tongebung und einem lockeren Parlando der Phrasierung, die sich von Sentimentalitäten wie vom Machismo gleichermaßen weit entfernt hielten.

© Uwe Arens Vergrößern Ungewöhnliche Atmosphäre: Szene vom Festival Südamerika in Berlin

Dann aber stieß man auf die Wucht der Musik von Alberto Ginastera – einmal sein zweites Streichquartett op. 26, schließlich sein erstes Cellokonzert mit dem umwerfend gewandten Claudio Bohórquez als Solisten und dem Konzerthausorchester unter Christian Vásquez.

Ginastera hat – inspiriert von Strawinsky, Bartók und Prokofjew – die Folklore Argentiniens weniger als Genussmittel denn als Zündstoff begriffen. In den langsamen Sätzen des Quartetts und des Konzertes konnte er ihr den Ausdruck der Beklemmung abgewinnen, in den schnellen Sätzen – namentlich der flammenden Schlusstokkata des Quartetts – explosive Energie. Zugleich aber ließ sich im Cellokonzert eine dezente, stets originelle Orchestration bestaunen. Da man diese feine, scharfsinnige Musik in deutschen Sälen unter normalen Umständen nicht antrifft, muss man wohl von Zeit zu Zeit das Publikum mit solch nützlichen Festivals missionieren.

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28.02.2014, 15:06 Uhr

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Von Nils Minkmar

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