Peter Weibel kann im Rückblick von sich sagen, dass er seit mehr als fünfzig Jahren im Kunstbetrieb ein quirliger Querkopf geblieben ist. Dafür wird der gebürtige Ukrainer, der seine Jugend in einem Heim in Oberösterreich verbrachte, verehrt, aber auch heftig kritisiert, musste viel einstecken und teilte kräftig aus. Bescheidenheit jedenfalls ist nicht seine Zier, Festlegungen auch nicht.
Autorin: Swantje Karich, Jahrgang 1978, Redakteurin im Feuilleton.
Peter Weibel spielt gerne mehrhändig und international, er war zuallererst Künstler und ist es immer noch, dann wurde er Kurator in Graz, Frankfurt oder Venedig und Museumsleiter des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie. Er kennt keine Scheu, sein eigenes Werk zu kuratieren. Denn dem Werk zugrunde liegt eine sich mit der Zeit wandelnde Medientheorie. Seine Gedanken werden Kunst, sie werden Ausstellung, sie werden Text. Alles inklusive also. Der Antrieb ist seine Überzeugung, dass die Kunst prophetische Fähigkeiten besitzt. Das Ziel, mit Kunst Gesellschaft verändern zu können, ist gewagt - in den sechziger Jahren und heute immer noch.
Wer imitiert hier wen?
Angefangen hat er in der Wiener Gruppe um Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, hat den Wiener Aktionismus mitbegründet, Video- und Fernsehkunst gemacht. Gemeinsam mit Valie Export und ihrem „Tapp- und Tastkino“ aus dem Jahr 1968 ging es dann weiter. Die Medienkünstlerin lief mit einem Kasten vor den Brüsten durch die Straßen, in den Passanten greifen durften. „Aus der Mappe der Hundigkeit“ heißt eine Serie aus demselben Jahr, die Valie Export mit einem an die Hundeleine gelegten Peter Weibel auf allen vieren zeigt.
Viele Jahrzehnte später wurden Vergleiche mit den Folter-Bildern aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib von Lynndie England gezogen - und Weibel fühlte sich bestätigt. Denn von einer Theorie, dass die Kunst das Leben imitiert, hält er wenig. Das Leben imitiere vielmehr die Kunst, behauptet er mit Oscar Wilde.
Überforderte Gesellschaft
Ein Blick auf sein Lebenswerk zeigt tatsächlich eine gewisse visionäre Kraft: nämlich die Offenheit gegenüber möglichen, noch nicht erkennbaren Entwicklungen. Als die Mediendiskutanten sich erst langsam gewahr wurden, dass das Internet den Menschen verändert, stand Peter Weibel schon viele Jahre auf seinem Sockel und predigte: Mehr denn je bedürfe die Gesellschaft des Künstlers, der gegen Monopole vorgehe, damit nicht nur Firmenkonglomerate wie Microsoft an der Konstruktion der Wirklichkeit teilhätten. Ob es der Künstler oder der künstlerische Blick sein wird, der eingreifen kann, verändern kann, wissen wir auch im Jahr 2014 noch immer nicht.
Aber wir wissen jetzt, dass die Prophezeiung richtig war: Es besteht Handlungsbedarf angesichts von Google, Facebook & Co. Vielleicht hat Weibel damit recht, dass die „Wahrheit der zeitgenössischen Kunst ist, dass sie keinen handwerklichen Boden mehr hat, sie nur noch eine ungeheuer regressive Erscheinungen des Marktes ist“ - und dass die Entscheidungen im Virtuellen gefällt werden. Das Internet, die Technik - jedenfalls sollte in dieser Auseinandersetzung keine Bedrohung sein, sondern ein Werkzeug zur Emanzipation. Die Kunst sollen Wegbereiter oder zumindest Wegweiser sein. Er nennt das: „Risikokunst“. Die Gesellschaft ist überfordert. Die Kunst soll helfen. Ihr größter Anhänger Peter Weibel wird an diesem Mittwoch siebzig Jahre alt.
happy birthday
Gertrude de Rose
(Galanderose)
- 05.03.2014, 15:09 Uhr