Die Entstehung des "Islamischen Staates"

23.02.15 | 20:15 Uhr

Die Entstehung des "Islamischen Staates"

von Robert Liebscher

Mehr als ein Jahrzehnt lang galt das globale Terror-Netzwerk Al-Kaida als Inbegriff des Dschihadismus, des kriegerischen Islamismus. Mit der Entstehung des "Islamischen Staates" (IS) hat sich das Gesicht des Terrorismus jedoch gewandelt: Der IS versucht einen dauerhaften Staat aufzubauen. Wo aber liegen die Ursprünge dieser Bewegung, die heute die territoriale Ordnung des Nahen Ostens zu sprengen droht?

Wurzeln im Irak

Der Rest der Saddam-Hussein-Statue auf einem Sockel auf dem Ferdouz-Platz in Bagdad (Irak). © Volker Schwenck/ARD-Studio Kairo Fotograf: Volker Schwenck/ARD-Studio Kairo

Symbol für das Ende eines Regime: Rest einer Saddam-Hussein-Statue in Bagdad

Die Entstehung des heutigen "Islamischen Staates" ist eng mit den inneren Konflikten im Irak verbunden. Nach dem zweiten Irakkrieg im Frühjahr 2003 und dem Sturz des Diktators Saddam Hussein stand das Land an Euphrat und Tigris viele Jahre am Rande eines Bürgerkriegs. Der Regime-Wechsel in Bagdad vertiefte die ethnisch-religiösen Gräben innerhalb des Landes. Der Entmachtung der alten sunnitischen Eliten folgte 2006 die Bildung einer schiitisch geprägten Regierung in Bagdad, die zunächst stark von der amerikanischen Zivilverwaltung abhängig blieb. Der politische Machtkampf wurde auch mit Bombenanschlägen, umherziehenden Todesschwadronen und Attentaten geführt. An den zahllosen Gewaltakten im Irak beteiligten sich ab 2003 auch verschiedene, von außen kommende dschihadistische Gruppen. Eine von ihnen war die drei Jahre zuvor von Abu Musab az-Zarqawi in Afghanistan gegründete Gruppe "Tauhid". Ihre Mitglieder flohen nach dem Sturz der Taliban in Kabul 2001 in den Nordirak und verübten nach 2003 eine Serie von Bombenanschlägen vor allem gegen irakische Schiiten.

Verbindung mit Al-Kaida

Diese Eskalation der Gewalt lag auch im Interesse des globalen Terror-Netzwerks Al-Kaida, welches nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan nun im Irak Fuß fassen wollte und für die weitere Destabilisierung des Landes neue verbündete Kämpfer suchte. Ende 2003 wurde Zarqawis Gruppe offiziell als "Al-Kaida im Irak" (AQI) eine Filiale der Terrororganisation Osama bin Ladens. Zarqawi selbst wurde zwar 2006 durch einen Luftschlag der USA getötet, die Organisation AQI bestand jedoch weiter. Kurz nach Zarqawis Tod rief die neue Führung AQIs einen "Islamischen Staat im Irak" (ISI) aus.

Kampf in Syrien und der Bruch mit Al-Kaida

Abu Bakr al-Baghdadi © picture alliance/AP Photo

Der Anführer des "Islamischen Staates": Abu Bakr al-Baghdadi

Der syrische Bürgerkrieg schuf ab 2011 ein neues Betätigungsfeld für militante Dschihadisten. Auch AQI/ISI, seit 2010 unter der Führung von Abu Bakr al-Baghdadi, ging mit seinen Kämpfern nach Syrien und gründete dort als neuen Al-Kaida-Ableger die al-Nusra-Front. Im April 2013 verkündete al-Baghdadi den Zusammenschluss beider Gruppen zum "Islamischen Staat in Irak und Syrien" (ISIS). Dies führte jedoch zum strategischen und ideologischen Bruch mit der Führungsetage der Al-Kaida unter Ayman al-Zawahiri, dem Nachfolger Osama bin Ladens. Infolge dieser Abspaltung bekämpfte ISIS vorrangig konkurrierende Dschihadistengruppen in Syrien, vermied aber direkte Kämpfe mit der Armee des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Im Frühsommer 2013 eroberten ISIS-Kämpfer die syrische Stadt Rakka und erklären sie zu ihrer Hauptstadt.

Nutznießer des Bürgerkriegs

Spätestens 2013/14 wurde ISIS zur größten Dschihadistengruppe im syrisch-irakischen Grenzraum. Zahlreiche neue ausländische Kämpfer füllten die Reihen des ISIS immer wieder auf, durch Erpressung, Schmuggel, Ölhandel und Geldspenden aus den konservativen Golfmonarchien wuchsen die finanziellen Möglichkeiten. Anfang Juni 2014 begann ISIS eine Großoffensive zur Eroberung und Errichtung eines grenzüberschreitenden Staatsgebildes. Innerhalb weniger Tage eroberte ISIS mehrere irakische Städte, darunter Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Bei der Einnahme Mossuls erbeutete ISIS große Mengen modernen Kriegsgeräts und mehrere 100 Millionen US-Dollar aus der Zentralbank. Am ersten Tag des Ramadan 2014, dem 29. Juni, verkündete ISIS der Weltöffentlichkeit, dass die ISIS-Ratsversammlung ihren Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen bestimmt habe und sich selbst jetzt als Staatsmacht sieht. ISIS nennt sich als Organisation nun selbst nur noch "Islamischer Staat" (IS).

Großoffensive und Völkermord

Peschmerga-Kämpfer auf dem Weg nach Kobane (Syrien) an der türkisch-irakischen Grenze © dpa Bildfunk Fotograf: Str

Peschmergas sind auf dem Weg in die umkämpfte Stadt Kobane.

Anfang August 2014 startete der IS erneut eine Offensive in den nördlichen Irak und die autonome Region Kurdistan. Es kam zu schweren Gefechten mit kurdischen Peschmerga-Einheiten, während Zehntausende Jesiden im Shingal-Gebirge eingekesselt wurden. Der IS rief dazu auf, die Jesiden als religiöse Minderheit komplett zu vernichten, gefangene Kinder und Frauen wurden zwangskonvertiert und verkauft. Diese Entwicklung beschleunigte die Entscheidung, militärische Aktionen gegen den IS durchzuführen. Die von den USA geführte Anti-IS-Koalition begann im September IS-Stellungen aus der Luft anzugreifen und irakische und kurdische Verbündete direkt mit Waffen zu beliefern. Ende des Jahres 2014 wurde der Vormarsch des IS im Nordirak zunächst gestoppt. Die Anti-IS-Koalition sieht zwar erste Erfolge, geht aber weiter von einem langanhaltenden Kampf gegen die Terror-Miliz aus.

Stand: 11.02.15 09:00 Uhr