Schiitische Kämpfer in der Nähe der irakischen Stadt Tikrit. | Bildquelle: AFP

Human Rights Watch zur Lage im Irak Schiiten bekämpfen auch Sunniten

Stand: 19.03.2015 15:10 Uhr

Am Kampf gegen den IS im Irak nehmen auch Schiitenmilizen teil. Sie sehen nicht nur den IS, sondern auch die sunnitische Bevölkerung als Gegner an. Nach Angaben von Human Rights Watch sollen die Milizen Tausende Häuser in sunnitischen Dörfern zerstört und geplündert haben, nach dem sie dort den IS zurückgedrängt hatten.

Von Jürgen Stryjak, ARD-Hörfunkstudio Kairo

Seit Anfang März läuft die Offensive zur Befreiung der Stadt Tikrit nördlich von Bagdad. Neun Monate lang hatten dort die Dschihadisten der Terrororganisation "Islamischer Staat" die Macht. Die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad will sie nicht nur vertreiben. Die Offensive soll nichts weniger als der Anfang vom Ende des IS im Irak werden.

Doch sie hat einen Makel: Die Truppen, die dort die Dschihadisten bekämpfen, sollen US-amerikanischen Informationen zufolge zu zwei Dritteln aus paramilitärischen Einheiten bestehen - aus den sogenannten Schiitenmilizen. Für die Sunniten des Landes ist dies eine Hiobsbotschaft, denn sie fürchten die Schiitenmilizen oft mehr als den IS.

Human Rights Watch dokumentiert Racheackte

Dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind, hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in ihrem jüngsten Bericht dokumentiert. "Als die Kämpfer des IS in unseren Ort kamen, hatten wir zuerst Angst, aber wir blieben", erzählte eine Sunnitin den Menschenrechtlern. "Sie waren überall, wohin sollten wir gehen? Wir blieben auch während der Luftangriffe der internationalen Militärkoalition. Dann kamen die Schiitenmilizen und attackierten uns. Da flohen wir in die Berge."

Das geschah im vergangenen Herbst, in der Gegend der Ortschaft Amerli östlich von Tikrit, kurz nachdem die IS-Milizen vertrieben wurden. Überall hingen plötzlich die Fahnen von Schiitenmilizen, an Häuserwänden und Mauern sprühten sie ihre Namen.

Die Mitarbeiter von Human Rights Watch sprachen kurz darauf mit sunnitischen Augenzeugen. "Die Schiitenmilizen kamen und brannten Gebäude nieder. Wir hörten Explosionen und sahen später, dass sie gezielt ganze, zum Teil neue Häuser in die Luft gejagt hatten. Die Wände waren verschwunden, die Dächer lagen als Blöcke auf den Trümmern", so die Zeugen.

Tausende Häuser zerstört und geplündert

Ein Schicksal, das viele Ortschaften in dem Gebiet teilen. Human Rights Watch zählte 2600 zerstörte Häuser in 30 Städten und Dörfern. Restaurants, Geschäfte und Wohnungen von Sunniten wurden offenbar geplündert und verwüstet.

Die Geschäfte und Häuser hätten die Luftangriffe unbeschadet überstanden, gibt ein kurdischer Peschmerga-Offizier zu Protokoll. Aber als die Schiiten kamen, hätten sie alles zerstört.

Premier Abadi fordert Schutz der Zivilbevölkerung

Haider al Abadi, der Premierminister des Irak, forderte die Schiitenmilizen jüngst dazu auf, die Zivilbevölkerung zu schonen. Er will außerdem die Sunniten in den Kampf gegen den IS mit einbeziehen.

Abadi könne die Sunniten jedoch nicht um Unterstützung bitten, solange er den Sicherheits- und Verteidigungsapparat nicht von den schiitischen Milizen säubert, betonte Ali Hatem Suleiman, ein prominenter sunnitischer Stammesführer. Das wird kurzfristig allerdings nicht geschehen.

Die Offensive gegen den IS in Tikrit ist unterdessen ins Stocken geraten. Man müsse erst Sprengfallen beseitigen. Mit Unterstützung der ortsansässigen sunnitischen Bevölkerung ginge dies womöglich etwas schneller.

Human Rights Watch wirft Schiitenmilizen Racheakte an Sunniten vor
J. Stryjak, ARD Kairo
19.03.2015 14:22 Uhr

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