Nach dem Anschlag Terror bedroht Freiheit in Tunesien
Stand: 19.03.2015 21:23 Uhr
Tunesiens Entwicklung nach dem Arabischen Frühling galt vielen als beispielhaft. Nun wird das Land von Terror erschüttert. Zu dem Anschlag mit 23 Toten hat sich die Terrormiliz IS bekannt. Tunesiens Weg in die Freiheit scheint gefährdet.
Von Alexander Göbel, ARD-Hörfunkstudio Nordwestafrika
Mehr als 200 Menschen haben sich auf dem Bardo-Platz in Tunis versammelt. Leise aber entschlossen singen alle gemeinsam die tunesische Hymne. Einige Demonstranten legen Blumen nieder, andere Kränze. Es ist ein stilles Gedenken an die vielen Opfer des Terroranschlags vom Mittwoch. An der Mahnwache nehmen auch Dutzende Anwälte und Richter teil, sie fallen auf in ihren schwarzen Roben. Ein klares Signal an diesem Tag: Tunesien will Rechtsstaat sein - und bleiben. Aber: Tiefe Ohnmacht ist zu spüren, Sorge und Ratlosigkeit.
Der IS sieht "Unterschlupf des Lasters"
"Tunesien ist frei, weg mit dem Terrorismus“ skandieren die Menschen. In ihre Trauer mischt sich auch Wut auf die Regierung: Die müsse endlich für mehr Sicherheit sorgen.
Einen Tag nach dem tödlichen Anschlag auf das Bardo-Nationalmuseum in Tunis hat sich die Terrormiliz "Islamischer Staat“ zu der Bluttat bekannt. Im Internet tauchte eine Audiobotschaft auf. Darin ist die Rede von einer "geheiligten Invasion in einen Unterschlupf der Ungläubigen und des Lasters im muslimischen Tunesien“. Der IS drohte mit weiteren Terrorakten. Inzwischen haben tunesische Sicherheitskräfte insgesamt neun Verdächtige festgenommen. Vier von ihnen sollen direkt an dem Terrorakt beteiligt gewesen sein.
Attentäter waren in Dschihadisten-Camp
tagesschau24 09:15, 20.03.2015, Jörg Rheinländer, ARD-aktuell
Kriegsrückkehrer aus Syrien ein Problem
Tunesien kämpfe seit Jahren mit islamistischem Terror, so der tunesische Sicherheitsexperte Mehdi Taje. Al Kaida bedrohe das Land im Süden, dazu kämen Waffen aus Libyen. Viele Tunesier seien nach Syrien und in den Irak gegangen, um an der Seite der Terrormiliz "Islamischer Staat" zu kämpfen. Von den schätzungsweise 3000 tunesischen Terroristen könnten inzwischen einige zurückgekehrt sein.
Tunesien hätte längst ein Konzept entwickeln müssen, sagt Taje, um mit diesen Rückkehrern umzugehen. Die neue Regierung müsse das nun dringend nachholen: "Denn bislang haben wir keine nationale Strategie im Kampf gegen den Terrorismus", so Taje.
Tunesien muss seine harte Arbeit verteidigen
Nun will Tunesien diesen Krieg mit allen Mitteln führen: Staatspräsident Essebsi hat verfügt, dass ab sofort Soldaten in allen größeren Städten des Landes für Sicherheit sorgen sollen. Kritiker fürchten, dass Tunesien nun nicht nur in den Terror, sondern auch wieder in die Repression abgleitet, nachdem es gerade den Weg zu einer offenen Gesellschaft eingeschlagen hatte.
Das Gegenteil sei der Fall, meint Kamel Jendoubi, Staatssekretär für Beziehungen zur Zivilgesellschaft und ehemaliger Leiter der Wahlkommission. Tunesien stehe nun am Scheideweg - das Land müsse seine hart erarbeiteten Werte verteidigen: "Wir brauchen Sicherheit, und wir werden ihr gleichzeitig nicht die Freiheit opfern." Aber ohne Sicherheit kämen keine Investoren, ohne Sicherheit gingen die Menschen nicht wählen. Jendoubi: "Die Menschen sagen ihre Meinung nicht mehr frei, sie gehen nicht mehr wählen. So weit darf es nicht kommen!"
Die Räume des Bardo-Museums sind übersät mit Glassplittern und zerschossenen Bodenplatten. Blutspuren sind auf dem Boden zu sehen, auch an den Wänden klebt Blut. Dennoch will das Museum nächste Woche wieder seine Tore öffnen - Tunesiens Kulturministerium will zeigen, dass das Land sich nicht verschließt.
Das Auswärtige Amt rät aber dringend von einem Besuch der Gegend ab - zahlreiche Reiseveranstalter haben Touren in die tunesische Hauptstadt aus dem Programm genommen. Das Weltsozialforum soll allerdings kommende Woche wie geplant stattfinden.
Terror, Trauer, Entschlossenheit: Tunesien nach dem Anschlag
A. Göbel, ARD Rabat
19.03.2015 22:00 Uhr
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