NSA-UA

Neue Unterlagen in der NSA-Spähaffäre Vermerk belastet Bundesregierung

Stand: 26.05.2015 17:00 Uhr

Neue Details in der Spähaffäre: Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ wussten Kanzlerin Merkel und der damalige Vizekanzler Westerwelle, dass es keine Zusage der USA für ein No-Spy-Abkommen gab. Trotzdem behauptete der damalige Kanzleramtschef Pofalla im August 2013 öffentlich, eine Vereinbarung sei in Sicht.

Von John Goetz und Christian Baars, NDR

"Wir spionieren euch nicht aus und ihr uns nicht" - dies sollte sinngemäß das No-Spy-Abkommen beinhalten, das die USA Deutschland angeblich angeboten hatten. Nach den Enthüllungen von Edward Snowden im Sommer 2013 behauptete die Bundesregierung monatelang öffentlich, es habe ein solches Versprechen gegeben. Doch nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) war ein No-Spy-Abkommen niemals zugesagt.

Nun zeigen neue Unterlagen, die NDR, WDR und SZ einsehen konnten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Guido Westerwelle von der FDP wussten seit dem 7. August 2013, dass es keine konkrete Zusage der US-Regierung für ein No-Spy-Abkommen gab. Dennoch verkündete der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla am 12. August öffentlich, die US-Seite habe eine solche Vereinbarung angeboten. Und zwei Tage später betonte Regierungssprecher Steffen Seibert auf Nachfrage, es werde ein No-Spy-Abkommen geben.

Es verdichten sich also die Hinweise, dass die Regierung damals - kurz vor der Bundestagswahl - die Öffentlichkeit absichtlich getäuscht und nicht nach "bestem Wissen und Gewissen" informiert hat, wie es Regierungssprecher Seibert zuletzt darstellte.

Rechercheverbund

Die investigativen Ressorts von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" kooperieren unter Leitung von Georg Mascolo themen- und projektbezogen. Die Rechercheergebnisse, auch zu komplexen internationalen Themen, werden für Fernsehen, Hörfunk, Online und Print aufbereitet.

"Darüber muss die Politik entscheiden"

Den neuen Unterlagen zufolge telefonierte Guido Westerwelle am 7. August mit seinem Amtskollegen John Kerry in den USA. Zwei Tage zuvor war eine hochrangige deutsche Delegation zu Besuch in Washington gewesen und hatte dort mit Vertretern der US-Geheimdienste gesprochen. Diese
hatten offenbar ein No-Spy-Abkommen für möglich erachtet - allerdings unter dem klaren Vorbehalt: Darüber müsse die Politik entscheiden.

Daraufhin telefonierte Westerwelle mit Kerry. In einem handschriftlichen Vermerk wurde das Ergebnis festgehalten: Kerry zeige sich "bereitwillig, ohne Konkretes zuzusagen", die Prüfung in den USA laufe. Zudem drängte die deutsche Seite darauf, dass US-Präsident Barack Obama in einer anstehenden Pressekonferenz zum NSA-Skandal das angebliche No-Spy-Angebot erwähnen sollte. Dies wäre - so hieß es in einem Vermerk des Kanzleramts - "außerordentlich hilfreich". Aber Obama schwieg.

Keine Hinweise auf Merkel-Obama-Telefonat

Angeregt wurde am 7. August zudem, dass auch Kanzlerin Merkel zum Hörer greife und direkt mit US-Präsident Barack Obama spreche - sollte bis zum nächsten Tag keine Antwort aus den USA da sein. In den Unterlagen finden sich weder Hinweise auf ein positives Signal aus Washington noch darauf, dass Merkel tatsächlich direkt mit Obama sprach.

Allerdings sagte Präsident Obama einige Monate später - Anfang Mai 2014: "Es ist nicht ganz richtig zu sagen, dass die US-Regierung ein No-Spy-Abkommen angeboten und dann zurückgezogen hat." Richtig sei vielmehr zu sagen, dass die USA mit keinem Land ein umfassendes No-Spy-Abkommen hätten, auch nicht mit den engsten Partnern.

Westerwelle setzte sich vergebens für No-Spy-Abkommen ein
tagesschau 17:00 Uhr, 26.05.2015, John Goetz/Christian Deker, NDR

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NDR, WDR und SZ haben der Bundesregierung Fragen zu den Vermerken und dem Gespräch zwischen Westerwelle und Kerry geschickt - unter anderem, ob es nach dem Telefonat und vor dem Auftritt von Pofalla noch eine Antwort der USA zum No-Spy-Abkommen gegeben habe. Eine Regierungssprecherin gab dazu nur folgende Antwort: "Zu vertraulichen Gesprächen von Mitgliedern der Bundesregierung gibt die Bundesregierung keine Auskunft."

Die Unterlagen zeigen jedoch, dass die Bundesregierung auf höchster politischer Ebene auf eine Zusage der US-Regierung für ein No-Spy-Abkommen drängte - ohne Erfolg. Die öffentlichen Aussagen über das Angebot der US-Seite stützten sich offenbar allein auf die Gespräche am 5. August in Washington mit den Chefs der US-Geheimdienste.

Unterschiedliche Aufassungen über Gespräche in Washington

Die neuen Unterlagen aus dem Kanzleramt machen auch deutlich, dass es unterschiedliche Auffassungen über dieses Treffen der deutschen Delegation mit den Geheimdienst-Vertretern in Washington gegeben hat. Der Leiter der Geheimdienst-Abteilung im Bundeskanzleramt, Günter Heiß, fasste die Ergebnisse des Gesprächs in einer Vorlage für die Bundeskanzlerin zusammen. Darin heißt es, NSA-Chef Alexander sei bereit, "eine Zusicherung abzugeben, dass auf deutschem Boden jederzeit deutsches Recht respektiert werde." Er wolle insoweit eine beidseitige Erklärung erzielen. "Über das 'Ob' müsse allerdings die Politik entscheiden."

Diese Bereitschaft zu einer "Zusicherung" findet sich jedoch in einem Protokoll, die ein Mitarbeiter des BND verfasst hat, nicht wieder. Dort ist lediglich von einer "Bildung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Abkommens" die Rede. So etwas könne sich der Chef der US-Geheimdienste, James Clapper, vorstellen. Er könne darüber aber "keine ad hoc-Entscheidung treffen, da es eine politische Entscheidung sei."

In einem Punkt waren sich aber beide demnach einig: Die Entscheidung über ein No-Spy-Abkommen lag nicht bei den Geheimdiensten, sondern im Weißen Haus. Und von dort kam nie ein positives Signal in Richtung Berlin.

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