Interview zur "Östlichen Partnerschaft" Aus Euphorie wurde Enttäuschung

Stand: 21.05.2015 15:42 Uhr

Lange Zeit war in mehreren Ex-Sowjetrepubliken eine regelrechte EU-Euphorie zu spüren. Das hat sich geändert, sagt Kaukasus-Expertin Silvia Stöber im tagesschau.de-Interview. Die Gründe dafür seien in der EU zu suchen - zum großen Teil aber auch in Moskau.

tagesschau.de: Wir haben es bei der "Östlichen Partnerschaft" mit sechs sehr unterschiedlichen Ländern zu tun - vom schon lange westlich orientierten Georgien bis hin zu Weißrussland, das oft "letzte Diktatur Europas" genannt wird. Sollte man diese Länder überhaupt in einer Partnerschaft zusammenfassen?

Silvia Stöber: Verbunden sind alle sechs Staaten durch das Dilemma, dass sie sich in einem Korridor zwischen Russland und EU beziehungsweise NATO befinden, für den es praktisch keine Sicherheitsmechanismen mehr gibt. Hier müssen neue Abkommen getroffen werden - auch im Interesse der EU-Staaten.

EU und östliche Partnerschaft
galerie

Russland, die EU und die sechs Staaten der "Östlichen Partnerschaft"

Die sechs Länder entwickeln sich aber mit zunehmender Dynamik auseinander. Die Ukraine, Moldau und Georgien haben Assoziierungsabkommen abgeschlossen und streben mehr oder weniger entschlossen in Richtung EU.

Weißrussland und Armenien sind Mitgliedsstaaten des russischen Gegenprojektes, der Eurasischen Union. Sie wollen aber gute Beziehungen zur EU - auch, um nicht ganz und gar dem russischen Einfluss ausgeliefert zu sein. Denn diese einseitige Abhängigkeit kann zum Problem werden. Das zeigt sich aktuell an der Rubel- und Wirtschaftskrise Russlands. Die hat massive Auswirkungen auf die Nachbarländer.

Aserbaidschan wiederum strebte schon immer nur eine strategische Partnerschaft und Kooperation allein im Energiebereich an. Das Land als klassischer Öl- und Gaslieferant entwickelt sich eher in eine andere Richtung: Hin zu zentralasiatischen Diktaturen wie etwa Usbekistan oder Turkmenistan oder auch hin zu den Golfstaaten.

Der Migrationsdruck auf die EU wächst

tagesschau.de: Welches Interesse hat die EU an diesen Ländern?

Stöber: Der EU geht es um Stabilität und Sicherheit an der eigenen Außengrenze. Dieses Ziel sollte erreicht werden mit dem Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft. Jedoch sind seit Beginn der "Östlichen Partnerschaft" wenige Fortschritte erzielt worden. Zwischen EU und Russland befinden sich heute Länder, in denen Angst und Armut herrschen, dies umso mehr, je größer der Einfluss Russlands ist. Damit wächst auch der Migrationsdruck in Richtung EU.

alt Sendungsbild

Zur Person

Silvia Stöber ist als Journalistin für tagesschau.de und mehrere große Tageszeitungen tätig. Sie ist Expertin für den post-sowjetischen Raum und insbesondere den Südkaukasus, aus dem sie seit 2007 regelmäßig berichtet. Sie ist auch für mehrere Stiftungen tätig.

tagesschau.de: Sie berichten seit Jahren aus Georgien und anderen Ländern, die zur "Östlichen Partnerschaft" gehören. Hat sich die Einstellung der Menschen dort zur EU im Laufe der Jahre gewandelt?

Stöber: Vor und nach Gründung der Östlichen Partnerschaft 2009 in Prag habe ich die Einstellung der Menschen zur EU als recht stabil in Erinnerung, wenngleich die pro-europäische Stimmung in den einzelnen Ländern immer verschieden hoch war. In Georgien war sie sicherlich am höchsten, man konnte dort eine geradezu enthusiastische Stimmung erleben. Daran änderte selbst die Schuldenkrise in der EU, soweit sie denn wahrgenommen wurde, zunächst wenig.

Ein Wendepunkt war meinem Eindruck nach der Rückkehr Wladimir Putins ins Amt des russischen Präsidenten 2012. Ab da kamen häufiger kritische Äußerungen aus Russland zur EU-Nachbarschaftspolitik. Damit nahm die Tendenz einer Polarisierung auch in den Ex-Sowjetrepubliken zu.

Zu spüren war das zum Beispiel in Armenien. Die Regierung dort hatte über Jahre ein Assoziierungsabkommen mit der EU ausgehandelt, dann aber sagte Präsident Sersch Sargsjan nach einem Besuch in Moskau seine Zustimmung ab. Das war im September 2013, etwa drei Monate vor Beginn der Proteste auf dem Maidan in Kiew.

"Besorgt zeigen" als Synonym für die EU

tagesschau.de: Was hat sich durch den Krieg in der Ukraine geändert?

Stöber: Die russische Annexion der Krim und der Krieg in der Ostukraine haben - wie schon der Krieg 2008 in Georgien - gezeigt, dass Europa nicht militärisch eingreift, wenn russische Kräfte in europäischen Ländern aktiv sind, die weder EU- noch NATO-Mitglied sind. So konnte man nach der Krim-Annexion Ernüchterung und auch Enttäuschung über die EU spüren, da sie sich doch immer nur "besorgt" zeigte und vor allem anfangs wenig zu unternehmen schien. Diese Formulierung "besorgt zeigen" ist bei vielen Menschen geradezu zu einem Synonym für die EU geworden.

tagesschau.de: Aber das hätte doch auch gerade die Kräfte stärken können, die eine EU-Mitgliedschaft anstreben ...

Stöber: Länder wie Georgien haben ja in ihren Augen alles Mögliche unternommen, um Mitglied zu werden. Sie haben aber bislang nie eine konkrete Zusage erhalten - nicht zuletzt wegen einer gewissen "Erweiterungsmüdigkeit" innerhalb der EU.

EU ein ferner Ort des Wohlstands

tagesschau.de: Ist den Menschen eigentlich klar, was die Partnerschaft konkret bedeutet - und was nicht?

Stöber: Das ist häufig nicht der Fall. Eine EU-Mitgliedschaft ist im Rahmen der "Östlichen Partnerschaft" ja gar nicht vorgesehen. Stattdessen sollen EU-Assoziierungs- und Freihandelsabkommen den östlichen Partnerländern eine Annäherung an die EU und wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen.

Es wird aber nicht ausreichend kommuniziert, welche Vorteile diese Verträge bringen sollen, die zudem mit einer mühsamen Umsetzung von Regularien verbunden sind. Pro-russische Kräfte argumentieren hier ganz gezielt: Georgische Bauern etwa könnten ihre Produkte ohne komplizierte Auflagen exportieren. Winzer haben mir erzählt, auch mit Zucker und Wasser gepanschter Wein könne nach Russland gelangen, in die EU aber nicht.

Die EU bleibt so für viele ein ferner Ort des Wohlstandes. Dass sie einen solchen Wohlstand in ihrer Heimat erarbeiten könnten, daran glauben viele derzeit nicht.

tagesschau.de: Werben beide Seiten - also die EU und Russland - in den sechs Ländern für ihre Sicht der Dinge?

Stöber: Es gibt Bemühungen der EU und auch pro-europäischer Organisationen, Informationen zu verbreiten. Für viele Menschen in den Regionen bleibt die EU jedoch abstrakt und fern. Dagegen gewinnen zurzeit gerade im pro-westlichen Georgien mehr anti-europäische Organisationen an Aufmerksamkeit. Die kooperieren - wie zum Beispiel das Eurasische Institut in Tiflis - mit Think Tanks in Moskau, die der russische Staat finanziert. Die setzen zurzeit weniger auf pro-russische Argumente als auf georgische Traditionen und Werte, die sich angeblich nicht mit der westlichen Kultur vertragen.

tagesschau.de: Was ist mit dem Einfluss aus ganz anderen Ecken der Welt? Also zum Beispiel aus China?

Stöber: China wird in der Region zunehmend wichtiger als Investor für Infrastrukturprojekte wie Straßen oder auch Wasserkraftwerke.

Die Türkei liefert Lebensmittel und andere Alltagsprodukte. Außerdem entwickelt sie derzeit eine Energie- und Sicherheitspartnerschaft mit Georgien und Aserbaidschan.

Arabische Unternehmer investieren in Hotel- und Supermarktketten. Auch fließt im Südkaukasus Geld für den Bau von Moscheen, dies zunehmend in Konkurrenz zum Iran.

Russland sieht sich also in seiner als Einflusssphäre beanspruchten Nachbarschaft einem wachsendem Wettbewerb ausgesetzt. In militärischer Hinsicht jedoch dominiert Russland die Ex-Sowjetrepubliken nach wie vor.

Das Interview führte Holger Schwesinger, tagesschau.de

Russland sieht EU-Ostpolitik als "antirussisch"
tagesthemen 22:15 Uhr, 21.05.2015, Olaf Bock, ARD Moskau

Download der Videodatei

Wir bieten dieses Video in folgenden Formaten zum Download an:

Hinweis: Falls die Videodatei beim Klicken nicht automatisch gespeichert wird, können Sie mit der rechten Maustaste klicken und "Ziel speichern unter ..." auswählen.

Ihre Meinung - meta.tagesschau.de

Darstellung: