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Archiv: Schweigen tut weh

Der Mythos vom guten Nazi und das Leid der Täterkinder

Sendeanstalt und Sendedatum: WDR, Sonntag, 11. März 2007

Die Buchautorin Alexandra Senfft; Bild: Claassen Verlag/privat Bildunterschrift: Die Buchautorin Alexandra Senfft ]
Er war als Hitlers Gesandter in der Slowakei verantwortlich für die Judendeportationen und wurde 1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet: der NS-Offizier Hanns Ludin. 2004 hat sein Sohn Malte die Karriere des Vaters in seinem Dokumentarfilm „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ lückenlos rekonstruiert – eine Abrechnung und ein sehr privates Filmdokument über Lebenslügen, Wahrheit und Verdrängung. Dass es vor allem die Frauen der Familie waren, die am Bild des „guten“ Nazis festhielten, beschreibt jetzt die Journalistin und Autorin Alexandra Senfft. In ihrer einfühlsamen Familienchronik „Schweigen tut weh“ schildert die Enkelin von Hanns und Nichte von Malte Ludin, wie die Legendenbildung die Nachkommen prägte. Im Mittelpunkt steht die Biografie ihrer Mutter, die an der Unfähigkeit, um den Vater zu trauern, und dem Konflikt zwischen Schuld und Loyalität zerbricht. Das Buch „Schweigen tut weh“ erscheint Mitte März bei Claassen.

Karriere eines Nazi-Offiziers

Bildunterschrift: ]
Die Fakten sind eindeutig: Am 9. Dezember 1947 wurde Hanns Elard Ludin in Bratislava als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. Er war ein glühender Nationalsozialist. Bereits in der Weimarer Republik hatte er als Leutnant der Reichswehr für Hitler konspiriert. Nach der Machtergreifung diente er dem „Dritten Reich“ als SA-Führer. 1941 schickte ihn Hitler als Gesandten in den „Schutzstaat“ Slowakei. Der „Bevollmächtigte Minister des Großdeutschen Reiches“ sollte dort die Interessen Berlins durchsetzen und vor allem an der „Endlösung“ mitwirken. Das seiner Gesandtschaft unterstellte „Judenreferat“ organisierte die Deportationen der Juden. Ludin stellte sich nach dem Krieg und wurde von den Amerikanern an die Tscheoslowakei ausgeliefert.

„2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“

Szene aus Malte Ludins Film "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß"; Foto: Plan 7 Filmverleih Bildunterschrift: Szene aus Malte Ludins Film "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß" ]
Nach der Exekution tut seine Witwe Erla alles, um vor den sechs Kindern die Verbrechen des Vaters zu verschleiern. Nur ihrer ältesten Tochter Erika, damals 14 Jahre alt, erzählt sie von der Hinrichtung. Die anderen wachsen in dem Glauben auf, der Vater sei im Krieg gefallen. Jahrzehntelang blockt Erla Ludin alle Versuche einer ernsthaften Auseinandersetzung ab. Nach ihrem Tod 1997 übernehmen die Töchter die Aufgabe, das geschönte Bild des Vaters zu schützen. Er gilt in der Familie als „guter Nazi“, der zwar Deportationsbefehle unterzeichnet, aber keine Ahnung von den Folgen gehabt habe.

Bis der jüngste Sohn, der 1941 geborene Regisseur Malte Ludin, sich entschließt, das Gespinst der Legenden zu zerreißen. Er fährt nach Bratislava, spricht mit den Opfern und recherchiert – immer in der heimlichen Hoffnung, entlastendes Material über den Vater zu finden. Doch es gibt keinen Zweifel: Hanns Elard Ludin war ein Kriegsverbrecher. Seine schmerzhafte Suche nach der Wahrheit dokumentiert Malte Ludin in dem Film „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“. Vor laufender Kamera konfrontiert er seine Schwestern, Schwager, Nichten und Neffen mit den Ergebnissen seiner Recherchen. Die Legendenbildung wirkt nachhaltig. „Das war das Bild eines unbescholtenen Politikers, eines unbescholtenen Gesandten des Dritten Reiches. Eines Mannes, zu dem man aufblicken konnte, aus verschiedenen Gründen, der als Märtyrer gestorben war.“ Malte Ludin ist nicht überrascht, aber doch enttäuscht über den tiefen Riss, der durch die Familie geht.

Die Enkelgeneration

Ausschnitt aus dem Buchcover; Bild: Claassen Verlag Bildunterschrift: Ausschnitt aus dem Buchcover ]
Alexandra Senfft, die Tochter von Erika Ludin, greift jetzt den Faden auf. In ihrem Buch „Schweigen tut weh“ schildert sie das Leben ihrer Mutter, einer außergewöhnlichen Frau aus dem linken Hamburger Nachkriegs-Establishment, die vordergründig an Depression und Alkoholsucht zerbricht, in Wahrheit aber an der Unfähigkeit, um den Nazi-Vater zu trauern. „Ich habe immer gespürt, dass da etwas tief in ihr vergraben war, worüber sie eigentlich nicht wirklich sprechen konnte. Und ich selber habe auch als Jugendliche dieses Thema nicht angerührt, weil ich merkte, welches Leid dahinter steckt. Insofern habe ich ein gewisses Schweigen, welches in unserer Familie über dieses Thema gebreitet war, selber auch fortgeführt. Und erst als meine Mutter gestorben war, habe ich in Wahrheit angefangen, mir Fragen zu stellen.“ Erika Ludin stand zeitlebens allein mit ihren Fragen, ihren Zweifeln und der Liebe zu einem Vater, von dem sie wenig wusste, aber vieles ahnte. Dass sie nicht dazu in der Lage war, sich mit seiner Rolle im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, machte sie sich unbewusst zum Vorwurf. „Im Falle meiner Mutter hat sich das Schuldgefühl und das unverarbeitete Trauma letztlich gegen sie selbst gewandt. Und hat sie nach und nach zerstört. Das hatte auch die Qualität eines schleichenden Selbstmordes.“ 1998 starb sie mit 64 Jahren an den Verbrennungen, die sie sich bei einem Sturz in eine mit heißem Wasser gefüllte Badewanne zuzog.

Auch wenn Alexandra Senfft die individuelle Tragödie ihrer Mutter schildert, thematisiert das Buch ein für die deutsche Nachkriegsgeneration typisches Verschweigen und Verdrängen. „Ich glaube, die meisten deutschen Familien haben noch heute direkt mit dem Krieg zu tun“, sagt sie. „Akademisch-politisch haben wir das in dieser Gesellschaft schon sehr stark bearbeitet. Aber nicht biographisch-gesellschaftlich. Ich denke, es gibt immer noch eine große Abwehr dagegen, was habe ich persönlich, was hat meine Familie mit dieser Zeit zu tun und was hat das für Auswirkungen auf mein Leben gehabt und was geben wir möglicherweise auch an die nächsten Generationen weiter.“

Alexandra Senfft

Bildunterschrift: ]
Alexandra Senfft, 1961 geboren, war 1988 Nahostreferentin der Grünen-Fraktion im Bundestag, dann UN-Beobachterin in der Westbank und bis 1991 UN-Pressesprecherin im Gazastreifen. Anschließend war sie als Reporterin und Redakteurin tätig. Heute schreibt sie für namhafte Zeitungen und Zeitschriften. Sie ist Vorstandsmitglied des Deutsch-israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten e.V.

 

Buchtipp

Alexandra Senfft: Schweigen tut weh.
Eine deutsche Familiengeschichte.
Claassen Verlag 2007
ISBN 978-3-546-00400-8, Preis: 19,95 Euro

 

Filmtipp

Der Film „ 2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ von Malte Ludin ist als DVD im Buchhandel erhältlich und über www.absolutmedien.de.

Am 7. August 2007 ist der Film um 22.45 Uhr im Ersten zu sehen.

 

Dieser Text informiert über den Fernsehbeitrag vom 11.03.2007. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.

Externe Links

Links in der ARD

  • MDR.deKulturreport über „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“
  • RBB.deFilmbesprechung "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß"
  • Planet WissenStichwort:
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