06/1999

17. November 1999

MUZ


Wenn Arbeit zur Sucht führt

Sozialwissenschaftler untersuchten Zusammenhang zwischen Gratifikation und Stresstrinken

Der Chef macht mal wieder Druck, die Sekretärin fühlt sich überfordert - Entspannung tut Not. Dass der Griff zur Flasche oder in den Medikamentenschrank auch durch beruflichen Stress ausgelöst werden kann, ist inzwischen eine allgemein akzeptierte These. Doch wie die Zusammenhänge tatsächlich sind, ist bisher kaum erforscht worden. Die
[Alkohol, Tabletten oder Tabak]
Ob Alkohol, Tabletten oder Tabak - für viele sind sie Trost, wenn der Druck bei der Arbeit zu groß wird.
Foto: Anton Guekov   
Forschungsstelle "Arbeit und Gesundheit" unter der Leitung des Soziologen Prof. Hanns Wienold hat in empirischen Untersuchungen einen Ansatz aus der Herz-Kreislauf-Forschung auf die Suchtforschung übertragen. Das Bundesforschungsministerium stellte dafür 1,5 Millionen Mark zur Verfügung.

"Bisher wurde vor allem der Zusammenhang zwischen Arbeit und körperlichen Erkrankungen untersucht, psychosomatische Erkrankungen standen eher im Hintergrund", erläutert Dr. Wichard Puls, Mitarbeiter der Forschungsstelle. Und jene Studien, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und einem riskanten Alkoholkonsum beleuchteten, führten zu widersprüchlichen Ergebnissen.

Zentrale These des münsterschen Forschungsteams ist die Annahme des Düsseldorfer Medizinsoziologen Prof. Johannes Siegrist, dass sogenannte Gratifikationskrisen Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorgerufen können. Das bedeutet, dass eine gesundheitliche Gefährdung bei zu wenig Anerkennung - sei es in materieller oder immaterieller Form - in Verbindung mit zu hoher Arbeitsbelastung eintreten kann. Dieser Eindruck ist zwar subjektiv, lässt sich aber an Hand objektiver Kriterien nachweisen. Die Gratifikationskrise wird besonders groß, wenn ein Arbeitnehmer beispielsweise durch die Probleme seines Betriebes in Existenznot gerät. In zwei Befragungen unter Arbeitslosen und Arbeitnehmern in der Metallindustrie ermittelten die Sozialwissenschaftler den Gratifikationskrisen-Index und setzten ihn in Verbindung mit den Wirkungserwartungen, die an Alkohol gerichtet sind. Eindeutiges Ergebnis der Studien: Gratifikationskrisen erhöhen das Suchtrisiko. Allerdings nur das Risiko, denn Alkoholmissbrauch ist noch von anderen Faktoren abhängig. Einer von ihnen ist zum Beispiel fehlendes Selbstvertrauen und mangelnde soziale Kompetenzen. Besonders gefährdet sind Menschen mit ausgeprägten Kontrollambitionen, die nicht aufgeben, bevor nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind und sich so selbst unter Druck setzen.

Ein wichtiger Teil der Arbeit liegt in der Prävention. "Wir wollen das Risiko aufzeigen und darauf hinwirken, dass Stressbewältigungsprogramme eingesetzt werden", erklärt Puls. Ein von den Düsseldorfern entwickeltes Programm wurde um Elemente zur Sucht erweitert. Doch die Bereitschaft zur Teilnahme ist erstaunlich gering. Puls vermutet: "Menschen mit hohen Stressbelastungen haben keine Zeit."

BN            

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Hans-Joachim Peter
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Informationskennung: MUZ9065C
Datum: 1999-11-24