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Osnabrück/Bielefeld. Schon wieder nur eine Vier in der Klassenarbeit. Der Sitznachbar hat kaum etwas anderes geschrieben und dafür eine Drei bekommen, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Viele Schüler kennen solche Situationen - manche ziehen daraus die Konsequenz, die Schule zu wechseln. Andere wollen weg, weil sie mit den Klassenkameraden nicht klar kommen. An der neuen Schule wird alles besser! Aber stimmt das wirklich?
Der Wechsel ist jedenfalls kein Schritt, der garantiert alle Probleme löst. Markus Dinkel hat ihn schon hinter sich: Zum Start des Schuljahres 2006/07 wechselte er von einem Osnabrücker Gymnasium auf ein anderes. "Ich hatte das Gefühl, von einem Lehrer benachteiligt zu werden", erzählt der 17-Jährige. Immer wieder sei da der Verdacht gewesen, dass Mitschüler bessere Noten bekommen, obwohl sie auch nicht mehr geleistet hätten. "Das hat sich ein Jahr lang so hingezogen." Nach allerhand Überlegen stand für Markus fest: Ich versuche es an einer anderen Schule.
Josef Kraus kennt solche Situationen - quasi von der anderen Seite des Schreibtisches aus: Er leitet ein Gymnasium in Bayern und ist Präsident des Deutschen Lehrerverbands in Bonn. Da bleibt es nicht aus, dass hin und wieder Schüler oder deren Eltern bei ihm sitzen, die im Schulwechsel die einzige Chance sehen. Er rät dann zum einen meist, das Gespräch mit demjenigen zu suchen, der scheinbar das Leben schwer macht, also zum Beispiel mit dem Lehrer.
Das hat Markus Dinkel getan: "Ich habe ihn gefragt, was ich aus seiner Sicht tun könnte, um bessere Noten zu bekommen", erzählt er. "Aber da kam nicht viel Hilfe." Eine andere Möglichkeit ist es laut Josef Kraus, den Klassen- oder auch der Vertrauenslehrer einzuschalten. "Man sollte wirklich nichts unversucht lassen."
Dazu gehört auch - Kraus' zweiter Rat -, sich zu hinterfragen und dabei so ehrlich zu sein, wie es nur geht: "Hab ich die schlechten Leistungen wirklich nicht selbst zu verantworten? War ich vielleicht faul?" Es gebe zwar "richtig schlimme Finger" unter den Lehrern, gibt Prof. Eiko Jürgens, Schul- und Lernforscher von der Uni Bielefeld zu. Aber auf der anderen Seite gebe es auch Schüler, die die Flinte allzu schnell ins Korn werfen oder sich von Lehrern provoziert fühlen, die sie eigentlich fördern wollen - und das vielleicht auf ruppige Art.
Vorsicht ist laut Jürgens auch geboten, wenn Gleichaltrige genau zu wissen glauben, dass die Anforderungen an Schule B viel niedriger sind als an Schule A. "Viele Schüler haben ein fast seismographisches Wissen, an welcher Schule es leichter und an welcher es schwieriger ist." Der Haken: Oft stecken dahinter lediglich Gerüchte - irgendwann aufgebracht und dann nach und nach zur scheinbaren Wahrheit geworden.
Es gibt aber auch Fälle, in denen nicht Probleme mit Lehrern eine Rolle spielen, sondern in denen Schüler von ihren Kameraden gemobbt werden. "Oft ist es gar nicht körperliche, sondern subtile Gewalt, die lange unter der Decke bleibt", erzählt Josef Kraus. Wenn sie mit derartigem konfrontiert werden, haben die Lehrer oft eher Verständnis für Schüler, die sich das nicht mehr antun wollen. "Ich kann den Wunsch nach einem Wechsel nachvollziehen, bei dem ein Schüler klar sagt: Ich brauche einen Neuanfang." Leichter macht das den Wechsel aber nicht unbedingt. Denn egal ob Mobbing oder Probleme mit Lehrern: Es gibt eine Reine scheinbar ganz banaler Dinge, die bedacht werden müssen: "Meist bedeutet ein Wechsel mehr Aufwand für die Fahrt, vor allem auf dem Land", sagt Kraus. Und unter Umständen bezahlt keine Kommune die ab sofort nötige Fahrkarte für den Bus - und das kann teuer werden. Vielleicht ticken an der neuen Schule auch die Uhren im Unterricht anders - weil andere Bücher zum Einsatz kommen oder die Klasse mit dem Lernstoff schon weiter ist.
"Man muss sich auf bis zu 16 neue Lehrer einstellen - und auf bis zu neue 30 Mitschüler", sagt Kraus. Eiko Jürgens rät, gerade den Lehrern und dem Rektor gegenüber mit offenen Karten zu spielen: "Ich würde zum Beispiel sagen: "Ich hatte Probleme, und die möchte ich nun nicht mehr haben." Markus Dinkel war es wichtig, zu wissen, dass er auf ein paar bekannte Gesichter treffen würde. "Ich kannte da schon Leute, weil ich mit denen zur Grundschule gegangen bin." Irgendwo als ganz neues Gesicht anzufangen, dazu gehöre viel Selbstvertrauen.
Ein Jahr nach seinem Wechsel ist sich Markus Dinkel sicher: Für ihn hat er sich gelohnt. Zwar ist nicht alles ganz so glatt gelaufen, wie er sich das vorgestellt hatte: "Zum Beispiel muss ich jetzt viele Referate halten." Das sei an seiner bisherigen Schule ganz anders gewesen. Aber negativ ausgewirkt hat sich der Wechsel nicht - im Gegenteil: "Ich habe jetzt bessere Noten als vorher." (dpa)
21. Juni 2007
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