Von einer "kulturellen Revolution" spricht Valérie Pécresse, die französische Forschungsministerin. Alle Hochschulen des Landes sollen innerhalb der kommenden fünf Jahre autonom werden und ihren Haushalt sowie ihr Personal eigenverantwortlich verwalten. Schon ab dem kommenden Semester können die ersten Unis selbstständig werden. Der Staat unterstützt den Reformprozess mit zusätzlich 5 Mrd. Euro. Das hat die Nationalversammlung in der vergangenen Woche beschlossen. "Das neue Gesetz wird den Hochschulen ermöglichen, modern und wirkungsvoll zu arbeiten", sagt die Ministerin.
Das ist überfällig, denn der Ruf der akademischen Bildung in Frankreich ist angeschlagen. In internationalen Vergleichen schneiden die Hochschulen des Landes nur mittelmäßig ab. Allein die sogenannten Grandes Écoles stechen positiv hervor. Sie dürfen ihre Studenten in rigorosen Auswahlverfahren rekrutieren. Während die übrigen Hochschulen jeden Studenten nehmen müssen, der bei ihnen studieren will - mit absurden Folgen: "Schon im ersten Jahr scheitert fast jeder zweite Student", sagt Jean-Paul Fitoussi. Die größte Schwäche der französischen Universitäten sieht der Hochschulexperte und Leiter des angesehenen Wirtschaftsforschungsinstituts OFCE in der Orientierungslosigkeit vieler Studenten. Er fordert schon lange eine umfassende Reform des verkrusteten Systems.
Die schlechte Betreuung an den Hochschulen führt dazu, dass sich nur wenige Uniabsolventen ausreichend auf den Arbeitsmarkt vorbereitet fühlen. Ein Jahr nach ihrem Abschluss suchen immer noch 53 Prozent eine Stelle. Geldmangel ist eine Ursache für die praxisferne Ausbildung. Während der Staat für einen Gymnasiasten pro Jahr im Schnitt 10.170 Euro ausgibt, fallen auf einen Studenten nur 6700 Euro ab. Bei einem Studenten im Vorbereitungskurs für eine Grande École liegt der Betrag hingegen bei 13.100 Euro. Damit, sagt auch Hochschulforscher Fitoussi, sei eine Budgetplanung nicht möglich. "Den Universitäten hat es nie an Ideen gefehlt. Problem war, Projekte durchzusetzen und Geld dafür zu bekommen", bestätigt Jean-Pierre Finance, Rektor der Uni Henri Poincaré in Nancy.
Die neue Autonomie käme tatsächlich einer kleinen Revolution gleich. Bislang sind französische Hochschulen zentral organisiert. Eine Behörde des Ministeriums teilt ihnen das Verwaltungspersonal zu. Künftig dürfen die Unis ihre Mitarbeiter selbst auswählen und einstellen. Hemmende beamtenrechtliche Vorschriften entfallen, ein Vorteil im Wettbewerb um gute Mitarbeiter. Auch Professoren werden dann von einem Gremium der Universität bestimmt. Der Rektor hat bei allen Personalentscheidungen ein Vetorecht, was seine Stellung stärkt.
Das neue Gesetz ermöglicht es den Universitäten zudem, Sponsoren für Forschungs- und Lehrprojekte zu gewinnen. "Denkbar ist, dass Unternehmen Projekte an Universitäten finanzieren", so Rektor Finance. Dazu kann er demnächst Leute aus der Wirtschaft einstellen.
Die neue Freiheit französischer Unis hat jedoch Grenzen. So dürfen die Hochschulen auch weiterhin keine Studiengebühren erheben, die Auswahl der Studenten folgt mehr dem Grundsatz der Gleichheit als der Freiheit. Und der Rektor muss auch künftig aus den eigenen Reihen kommen. Nach dem ursprünglichen Gesetzesplan hätte auch jemand von außerhalb der Wissenschaft an die Spitze rücken können. Nach reichlich Widerstand wurde der Plan zurückgezogen. Selbst dem reformfreudigen Rektor Finance wäre das zu weit gegangen: "Die kulturellen Unterschiede zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sind schon sehr groß."
FTD.de, 31.07.2007
© 2007 Financial Times Deutschland
Auf die Kritik des Uno-Inspektors reagierten Bildungsfunktionäre zum Teil mit scharfen Worten. mehr
CDU-Generalsekretär Pofalla versucht, den Streit schön zu reden. mehr
Nach einer kontroversen Debatte votierten die Abgeordneten der regierenden Koalition aus CDU und SPD für ein neues Schulgesetz. mehr
Ein völkerrechtlich bindender Vertrag von 1976 soll den Gegnern des Bildungs-Obolus neue Munition für Klagen liefern. mehr
Arbeitnehmer sollen ihre Vermögenswirksamen Leistungen auch vor Ablauf der Sperrfrist einsetzen können - doch das ist noch nicht alles. mehr
Mittlerweile lernen fast eine Million Schüler an privaten Einrichtungen. mehr
Als Dozenten für seine Elite-Hochschule will der Multimilliardär ehemalige Staats- und Regierungschefs gewinnen. mehr
Vor fünf Jahren offenbarte der Pisa-Test die Schieflage des deutschen Bildungssystems. Was hat sich seitdem verändert? mehr
Die Bundesforschungsministerin reagierte damit auf neue Daten des Statistischen Bundesamtes. mehr
Eine neue Pisa-Studie hat Deutschlands Schülern in Mathematik und Naturwissenschaften ein durchwachsenes Zeugnis ausgestellt. mehr
Die OECD will in einer repräsentativen Erhebung das Wissen der gesamten Bevölkerung testen. mehr
Trotz leichter Verbesserungen belegt Deutschland im Vergleich der Innovationsfähigkeit von Industrieländern nur einen Platz im Mittelfeld. mehr
Print-Archiv
Alle Ausgaben
der FTD
Print-Ausgabe
Zeitung zum
Herunterladen
FTD-
Sonderbeilagen
Trends und Themen
gebündelt
900 Headhunter
3.000 Researcher
60.000 + Jobs
Kostenfreie Reg!
Go Ahead:
Jetzt Ltd.
online gründen
beim Marktführer.
Bookmarken bei ...